
© Leire Cavia
Bodypositivity und die Folgen: Wie viel Selbstakzeptanz ist gesund?
Bodypositivity feiert jeden Körper. Aber kann das dazu führen, dass die gesundheitlichen Folgen von Über- oder Untergewicht untergehen? Eine Expertin fordert mehr Fokus auf Funktionalität.
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Die Bodypositivity-Bewegung hat in den vergangenen Jahren große mediale Aufmerksamkeit erhalten. Ursprünglich aus der sogenannten Fat-Acceptance-Bewegung entstanden, verfolgt sie das Ziel, Körper jenseits von gesellschaftlich propagierten Schönheitsidealen sichtbar zu machen und zu normalisieren – unabhängig von Größe, Form, Hautfarbe oder Behinderung.
Reale Probleme bestehen dennoch: Laut Daten des Robert Koch-Instituts (RKI) von 2024 sind in Deutschland über die Hälfte der Erwachsenen übergewichtig, davon etwa 19 Prozent adipös. Bei Kindern und Jugendlichen liegt der Anteil an Übergewichtigen bei rund 15 Prozent. Zugleich leidet etwa ein Prozent der Bevölkerung an Untergewicht – wobei insbesondere Essstörungen wie Magersucht oder Bulimie unter jungen Frauen stark verbreitet sind.
Auch beim Bodypositivity-Ansatz geht es wieder nur um Äußerlichkeiten und Ästhetik. Viel wichtiger wäre es, über Funktionalität von Körpern und Gesundheit zu sprechen.
Claudia Luck-Sikorski, Psychologin und Adipositasforscherin
Diese Zahlen zeigen, dass extreme Körpergewichte – in beide Richtungen – keine Randphänomene sind. Damit verbunden sind erhebliche gesundheitliche Risiken, von Herz-Kreislauf-Erkrankungen über Diabetes bis hin zu psychischen Belastungen. Kritiker schlagen nun Alarm: Das Konzept Bodypositivity könne zur Verharmlosung dieser Risiken beitragen.
„Akzeptanz ist wichtig – aber nicht alles“
Wissenschaftliche Belege dafür gebe es allerdings nicht, sagt Claudia Luck-Sikorski, Psychologin und Professorin für Adipositasforschung von der SRH University of Applied Science Heidelberg. Sie sieht in der Grundidee von Bodypositivity eine wichtige Botschaft: „Die Grundidee der Fat-Acceptance-Bewegung, die sich gegen die jahrelange Abwertung gegenüber dicken Körpern gerichtet hat – dass alle Körper schön sind, egal wie sie aussehen – ist grundsätzlich erstmal gut, denn wir haben bis heute kein Wundermittel gegen Adipositas.“ Tatsächlich wirken auch Operationen oder Spritzen keine Wunder.
Auf Instagram und in anderen sozialen Medien dominieren weiße, junge, kurvige, aber dennoch gesellschaftlich akzeptable Frauen die Darstellung.
Claudia Luck-Sikorski
Kritik übt Luck-Sikorski trotzdem: „Auch beim Bodypositivity-Ansatz geht es wieder nur um Äußerlichkeiten und Ästhetik. Viel wichtiger wäre es, über Funktionalität von Körpern und Gesundheit zu sprechen.“ Der Fokus sollte nicht nur auf dem äußeren Erscheinungsbild liegen, sondern auf dem, was ein Körper leisten kann – unabhängig von seiner Form. Es gehe darum, Selbstakzeptanz mit einem realistischen Blick auf Gesundheit zu verbinden.
Bodypositivity hat blinde Flecken
Hinzu komme: „Die Bodypositivity-Bewegung präsentiert sich oft als inklusiv - doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich: Auch sie folgt gewissen ästhetischen Normen“, sagt Luck-Sikorski. „Auf Instagram und in anderen sozialen Medien dominieren weiße, junge, kurvige, aber dennoch gesellschaftlich akzeptable Frauen die Darstellung.“ Körperformen, die deutlicher von der Norm abweichen, seien weiterhin unterrepräsentiert: „Die Bewegung ist insofern exklusiv, da sie ihrerseits ästhetischen Regeln unterliegt.“
Für neuerliche Diskussionen sorgte zuletzt die Sommer-Werbekampagne der Modekette Zara. Sie präsentierte extrem dünne Models in minimalistischen Outfits – Bilder, die Erinnerungen an die „Heroin Chic“-Ästhetik der 1990er-Jahre weckten. Die Reaktionen waren heftig: Viele warfen dem Unternehmen vor, ein gefährliches Schönheitsideal zu vermitteln und Bodypositivity mit Füßen zu treten. Allerdings meldeten sich auch Stimmen, die davor warnten, dünne Körper per se zu stigmatisieren.
Neuer Druck durch veränderte Erwartungen
Diese Diskussion zeigt, wie komplex das Thema ist. Bodypositivity soll Menschen davor bewahren, sich minderwertig zu fühlen. „Der Druck, dass jeder seinen Körper schön finden muss, ist aber auch nicht hilfreich“, sagt Luck-Sikorski. „Extreme Gewichte sind mit hohen gesundheitlichen Risiken verbunden. Zur Wahrheit gehört auch, dass wir in der Medizin den Adipositas-Patienten einfach noch zu wenig anbieten können.“ Doch die Expertin sieht auch Chancen für viele Menschen, die mit Gewichtsproblemen kämpfen: „Das Gewicht zu halten, ist oft schon ein sehr gutes Therapieziel – und dafür ist Akzeptanz, also Bodypositivity, wieder ein guter Gedanke.“ (KNA)
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