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Hände halten einen Pappschnitt eines Kopfes mit Gehirn.

© Getty Images/John Kevin/Bearbeitung Tagesspiegel

Neues Medikament in der Alzheimer-Therapie: Doch die richtigen Patienten zu finden, wird schwer

Ab dem 1. September ist das Alzheimer-Medikament Leqembi in Deutschland erhältlich. Doch Diagnostik und Behandlung seien aufwendig, warnen Ärzte.

Stand:

Es war ein irritierendes Hin und Her, das sich um das Alzheimer-Medikament Leqembi abspielte: Bereits vor über zwei Jahren, im Januar 2023, hatte die US-Arzneimittelbehörde FDA den Wirkstoff Lecanemab – der unter dem Handelsnamen Leqembi vertrieben wird – zur Behandlung von Alzheimer im Frühstadium zugelassen. Die Hoffnungen auf das Medikament, das den Fortschritt der Erkrankung verzögern kann, waren groß.

Trotzdem verweigerte die EU-Zulassungsbehörde EMA vor einem Jahr zunächst eine Zulassungsempfehlung: Das Risiko schwerer Nebenwirkungen des Präparates – sogenannte ARIA – sei höher zu bewerten als die erwartete positive Wirkung, teilte die Behörde damals mit.

Leqembi kann Alzheimer-Demenz verlangsamen

Im April 2025 kam dann die Wende. Auf Empfehlung der EMA erteilte die Europäische Kommission Leqembi die Zulassung für Europa. Ab kommenden Montag, den 1. September, wird das Medikament in Deutschland erhältlich sein und damit neben Österreich als erstes Land in Europa.

Auch die Einnahme oraler Gerinnungshemmer wie Marcumar oder neuer Antikoagulantien ist ein Ausschlussgrund.

Klaus Fließbach, Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Bonn

Leqembi ist es das erste verfügbare Medikament gegen Alzheimer, das nicht auf die Linderung der Symptome der Erkrankung gerichtet ist, sondern deren Ursache angeht: Der Wirkstoff basiert auf synthetisch hergestellten Antikörpern, die schädliche Eiweißablagerungen – sogenannte Amyloid-β-Plaques – im Gehirn reduzieren. Dadurch kann im Frühstadium das Fortschreiten der Alzheimer-Demenz, die durch diese Ablagerungen verursacht wird, verlangsamt werden.

73.000
potenzielle Patientinnen und Patienten kommen für eine Therapie mit Lecanemab infrage.

Die Hintergründe für den zähen Zulassungsprozess: Zum einen besteht das Risiko, dass es während der Behandlung im Einzelfall zu schweren Nebenwirkungen wie Hirnschwellungen oder Mikroblutungen im Gehirn kommt. Laut EMA sei diese Gefahr aber beherrschbar, wenn bestimmte Patienten, die durch eine genetische Vorbelastung ein besonders hohes Risiko dafür tragen, von der Therapie ausgeschlossen werden. Zudem muss die Behandlung genau überwacht werden, um mögliche Probleme schnell erkennen zu können, in der Fachsprache ARIA-Monitoring genannt.

Nach Angaben von Ärzten bestehen weitere Ausschlusskriterien für eine Therapie mit Leqembi: „So dürfen keine schwerwiegenden Gefäßerkrankungen im Gehirn vorliegen – etwa ausgeprägte Durchblutungsstörungen oder bestehende kleine Hirnblutungen“, sagt Klaus Fließbach, Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Bonn, dem Science Media Center (SMC). „Auch die Einnahme oraler Gerinnungshemmer wie Marcumar oder neuer Antikoagulantien ist ein Ausschlussgrund.“

Zum anderen zeigen klinische Studien, dass nur eine begrenzte Patientengruppe von der Therapie profitiert und das auch nur im frühen Stadium von Alzheimer. Das bedeutet, dass es sehr aufwendig ist, diese Patienten zu identifizieren und dass die Ärzte schon bei den ersten Anzeichen eine frühe Diagnose stellen müssen.

Laut dem Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in Deutschland (Zi) gebe es hierzulande 73.000 potenzielle Patientinnen und Patienten, für die eine Therapie mit Lecanemab infrage kommt. Nur gut jeder Dritte der rund 202.000 an Alzheimer erkrankten Menschen könnte also von der Behandlung mit Leqembi einen Nutzen haben – wenn diese rechtzeitig diagnostiziert werden. Dafür sei ein hoher und kostspieliger Aufwand bei den niedergelassenen Ärzten nötig, so das Zi.

Auf dem Medikament Leqembi ruhen viele Hoffnungen. (Symbolbild)

© REUTERS/EISAI

„Da das Medikament nur in den ganz frühen Stadien einer Alzheimer-Demenz wirkt, müssen die Betroffenen erst identifiziert werden“, sagt auch Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) und niedergelassener Neurologe, dem SMC, und verweist ebenfalls auf den hohen Aufwand. „Dies macht eine neuropsychologische Testung, die zerebrale Bildgebung mit Magnetresonanztomografie (MRT) sowie den Nachweis der Alzheimer-Pathologie durch Nervenwasseruntersuchung erforderlich.“

Auf der anderen Seite müssten Betroffene, die ein erhöhtes Nebenwirkungsrisiko haben und deshalb nicht therapiert werden dürfen, gefunden werden. Dafür sei eine genetische Diagnostik und eine Analyse von Gefäßrisikofaktoren nötig.

Die erhobenen Befunde werden in einem zentralen Register erfasst. „Anhand der Befundkonstellation wird festgelegt, wer für das Medikament infrage kommt und wer nicht“, sagt Berlit. Das Register werde „sinnvollerweise in den Gedächtnisambulanzen angesiedelt sein.“

Für niedergelassene Kollegen, die jetzt schon lange Wartezeiten haben, ist die aufwendige Diagnostik vor der Therapie und die komplexe Infusionstherapie kaum durchführbar.

Thomas Duning, Chefarzt der Klinik für Neurologie am Klinikum Bremen Ost

Hinzu kommen die ebenfalls großen Anstrengungen für die Behandlung. Lecanemab müsse über einen Zeitraum von bis zu 18 Monaten alle 14 Tage per Infusion verabreicht werden, teilte das Zentralinstitut (Zi) mit. „Dies und die nötigen MRT-Kontrollen zur Überwachung möglicher Nebenwirkungen führen ebenfalls zu einem erheblichen Anstieg der benötigten Leistungen.“

„Die Therapie kann nur ambulant erfolgen“, sagt Thomas Duning, Chefarzt der Klinik für Neurologie am Klinikum Bremen Ost, dem SMC. „Für niedergelassene Kollegen, die jetzt schon lange Wartezeiten haben, ist die aufwendige Diagnostik vor der Therapie und die komplexe Infusionstherapie kaum durchführbar.“

Ambulanzen in Krankenhäusern haben sich darauf vorbereitet: „Wir sind der Meinung, dass es gerade zu Beginn sinnvoll ist, die gesamte Therapie einschließlich der im Vorfeld notwendigen Screening-Untersuchungen und des notwendigen ARIA-Monitorings aus einer Hand anzubieten“, sagt Wenzel Glanz, Leitender Arzt der Gedächtnissprechstunde an der Universitätsklinik für Neurologie, Universitätsklinikum Magdeburg sowie am Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen (DZNE). „Deshalb haben wir uns mit den entsprechenden Kollegen der Uniklinik Magdeburg vernetzt und intensiv auf die Markteinführung der Amyloid-Antikörper vorbereitet und sind so in der Lage, die Therapie ab September anbieten zu können.“ 

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