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Gesundheit: Tuberkulose kann besiegt werden

Jeden Tag sterben 5000 Menschen an der Krankheit. Was getan werden muss, um die Infektion zu bezwingen

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Am 24. März ist es 125 Jahre her, dass Robert Koch den Tuberkelbazillus entdeckte und an der Berliner Charité seinen berühmten Vortrag „Über Tuberkulose“ hielt. Heute sterben weltweit mehr Menschen an Tuberkulose als an jeder anderen bakteriellen Infektionskrankheit. Besonders in Osteuropa ist die Situation kritisch. Doch die Krankheit kann bekämpft werden. Das Problem ist, dass dies nicht ausreichend geschieht.

Tuberkulose ist in Deutschland seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts nicht mehr die weit verbreitete Krankheit, die sie einmal war. Umfassende Gesundheitsvorsorge und bessere Medikamente haben geholfen, TBC hierzulande zu bekämpfen. Allerdings verzeichnet die Weltgesundheitsorganisation WHO in Europa immer noch 450 000 neue Tuberkulosefälle pro Jahr. Zwischen 60 000 und 70 000 davon enden mit dem Tod, vorwiegend in Ländern wie Rumänien, Ukraine, Russland, Türkei, Usbekistan und Kasachstan. Nach WHO-Schätzungen sterben weltweit jedes Jahr zwei Millionen Menschen an Tuberkulose. Das sind 5000 am Tag.

Dies können wir ändern. Das Rote Kreuz hat eine Allianz mit der WHO und 20 weiteren europäischen Akteuren und Nichtregierungsorganisationen gebildet, um Tuberkulose in Europa zu bekämpfen. Vorrangiges Ziel dieser Partnerschaft ist es zunächst, das politische und finanzielle Engagement der Staaten Europas in der TBC-Bekämpfung zu fordern und zu fördern. Ziel ist es auch, dass die von der WHO aufgestellten Kriterien zu Tuberkulosediagnose und -behandlung, im Fachjargon „Dots“ genannt, konsequent von den Ländern akzeptiert und verwendet werden.

Um die Zahl der Tuberkulosefälle in einer Region zu verringern, geht es in erster Linie um zwei Aspekte: erstens, die richtige Diagnosestellung. Also feststellen, ob jemand an Tuberkulose leidet. Zweitens, die Behandlung – dafür sorgen, dass ein Patient Medikamente erhält, korrekt einnimmt, genügend Ruhe bekommt und sich vernünftig ernährt.

Zuerst die Diagnose. Sie ist in den Armenvierteln Europas und ländlichen Regionen in Zentralasien und Russland nicht einfach. Die örtlichen Gesundheitssysteme können Tuberkulose nicht sicher und schnell genug erkennen. Vielerorts in der ehemaligen Sowjetunion und in Asien wird immer noch die Lunge geröntgt um die Krankheit zu entdecken, anstatt in einem früheren Stadium Auswurf aus der Lunge per Mikroskop zu untersuchen.

Der Preis für ein Mikroskop ist vergleichsweise gering, erst recht im Vergleich zu einem Röntgenapparat. Die meisten Länder in Osteuropa und Asien haben sich zwar verpflichtet, internationale Standards der WHO zu benutzen, dazu gehört auch die Diagnosestellung per Mikroskop. Aber die Umsetzung von Reformen dauert in ländlichen und armen Gebieten sehr lange. Tatsache ist, dass viele Länder Tuberkulose nicht richtig bekämpfen können, weil die Krankheit zu spät diagnostiziert wird.

Das Prinzip der Behandlung ist einfach: Ein Patient bekommt einen Medikamentencocktail, der aus bis zu vier verschiedenen Wirkstoffen besteht. Er muss diesen über einen Zeitraum von vier Monaten bis zu zwei Jahren einnehmen, je nach Art des Erregers. Bei Patienten, die diese Behandlung bekommen, liegt die Heilungschance bei fast 85 Prozent. Aber nur ein Bruchteil bekommt eine solch vorbildliche Behandlung, in Ländern der ehemaligen Sowjetunion nur 35 Prozent aller TBC-Erkrankten.

Tuberkulose in Europa ist eine Krankheit der armen, sozial benachteiligten Randgruppen wie Obdachlosen, Arbeitslosen, ehemaligen Gefängnisinsassen oder Alkoholiker. Ein TBC-Kranker infiziert im Durchschnitt zehn bis 15 Personen pro Jahr. Die hohe Ansteckungsgefahr für andere bedingt, dass Familie und Nachbarn den Kranken meiden. Ein großer Teil der Patienten leidet alleine.

Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften in Osteuropa und Asien beschäftigen Krankenpfleger und ausgebildete Freiwillige, die sich um TBC-Patienten kümmern. Sie suchen sie in den Slums auf, sorgen dafür, dass sie eine ärztliche Behandlung bekommen und Medikamente nehmen. Sie können auch für den Patienten einkaufen und Lebensmittel besorgen, damit er sich besser ernährt. Eine freiwillige Pflegerin des Roten Halbmondes in Kirgisien beschreibt die Situation so: „Die Patienten sind zu arm, um eine Chance auf Gesundheit zu haben. Sie leben von Brot und Tee.“

Die Betreuung ist für eine erfolgreiche TBC-Bekämpfung ungeheuer wichtig. Jemand – ein freiwilliger Pfleger, eine Krankenschwester oder ein Angehöriger – muss den Patienten bei der Hand nehmen und darauf achten, dass die Behandlung auch wirklich erfolgt. Eine Studie in drei Ländern Zentralasiens hat uns gezeigt, dass 93 Prozent der Patienten, die von Pflegern oder Freiwilligen des Roten Kreuzes betreut wurden, ihre Behandlung auch abgeschlossen haben.

Ohne eine solche Begleitung brechen viele Patienten die Behandlung nach wenigen Wochen ab, wenn Husten und andere Symptome nachlassen. Dass die Medikamente oft Nebenwirkungen wie Appetitlosigkeit und Übelkeit haben, ist für den Kranken ein weiterer Grund die Therapie auszusetzen. Dies ist fatal für den Kampf gegen die Verbreitung von TBC, denn das Bakterium wird nicht ausreichend bekämpft. Die Erreger werden gegen die eingesetzten Medikamente resistent. Wenn die Tuberkulose danach wieder ausbricht, sind die ursprünglichen Arzneimittel wirkungslos. Man spricht von multiresistenter Tuberkulose, die viel schwieriger zu behandeln ist. Ungefähr 20 Prozent aller Tuberkulosefälle sind multiresistent, mit starkem Schwerpunkt in Osteuropa. Von den 20 Ländern der Welt mit der höchsten Verbreitung von multiresistenter Tuberkulose sind 14 unsere osteuropäischen Nachbarn. Das Problem steht vor unserer Haustür.

Die Probleme sind lösbar. Die von der WHO entwickelte Dots-Strategie verlangt dafür konsequentes Handeln von öffentlichen Gesundheitssystemen: Politischen Willen zur Bekämpfung von TBC durch die Regierungen, sichere Diagnosestellung durch qualitätsgesicherte bakteriologische Nachweisverfahren mit Mikroskop, direkt überwachte Medikamenteneinnahme, um die Einhaltung der Behandlung durch den Patienten zu gewährleisten, ausreichende und gesicherte Bereitstellung aller Tuberkulosemedikamente und vernünftige, standardisierte Dokumentationssysteme. Heute haben 183 Länder weltweit die WHO-Strategie zur Bekämpfung der Tuberkulose offiziell übernommen.

Wir wollen die Tuberkulose-Epidemie anhalten und streben sinkende Patientenzahlen im Jahr 2015 an. Dies ist auch eins der Millenniumsziele der Vereinten Nationen. Deutschland muss entschlossen die TBC in Osteuropa bekämpfen. Die Bundesregierung hat Anfang März ihr Budget für die weltweite Bekämpfung von Aids, Malaria und Tuberkulose um ein Drittel auf 400 Millionen Euro erhöht. Ein Schritt in die richtige Richtung.

Der Autor ist Präsident des Deutschen Roten Kreuzes.

Rudolf Seiters

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