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Auf einer Intensivstation muss ein Arzt mitunter schwierige Entscheidungen treffen.

© dpa/Christoph Soeder

Verfassungsgericht kippt Triage-Regelung : Lasst die Ärzte ihren Job machen!

Mediziner wollen nicht von schwierigen Entscheidungen über Leben und Tod entlastet werden. Sie brauchen vielmehr Vertrauen und die nötigen Ressourcen.

Ingo Bach
Ein Kommentar von Ingo Bach

Stand:

Die Entscheidung, Schwerkranken das Leben zu verlängern oder die Behandlung als aussichtslos zu beenden, ist wohl eine der schwersten, die Ärztinnen und Ärzte treffen müssen. Noch belastender wird es, wenn im Katastrophenfall, wie in einer Pandemie, zu viele Patienten in zu wenige Intensivbetten drängen. Dann müssen die Behandlungsplätze nach Überlebenschancen zugeteilt werden. Das nennt sich Triage. Auch diese gehört zur ärztlichen Pflicht.

Doch es geht noch brutaler: Bei einer sogenannten Ex-Post-Triage muss das Urteil gefällt werden, ein Intensivbett, in dem bereits ein Patient um sein Leben ringt, freizumachen für einen anderen mit besserer Prognose.

Eine solche Entscheidung sei dann doch zu hart und kalt, um sie einem Arzt aufzubürden, befand der Bundestag im Jahr 2022 und ergänzte das Infektionsschutzgesetz. Dies war nötig geworden, nachdem Behindertenvertreter aus Furcht, in einem Katastrophenfall benachteiligt und von der Therapie ausgeschlossen zu werden, erfolgreich vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt hatten.

Ärzte wollen die Verantwortung nicht abgeben

Der Bundestag regelte sehr detailliert, was alles nicht berücksichtigt werden darf bei der Prognosestellung – Gebrechlichkeit, Alter oder Behinderung zum Beispiel. Und er legte fest, dass bei Menschen, denen bereits die Therapie in einem Intensivbett zugewiesen wurde, diese nicht mehr abgebrochen werden darf, weil das Bett ein anderer Patient mit besseren Chancen benötigt.

Aus den Regeln sprach offensichtlich nicht nur das Bemühen, die Ärzte von schweren Entscheidungen zu entlasten. Man kann das Gesetz durchaus auch als Ausdruck des Misstrauens interpretieren, ob Mediziner solche Urteile diskriminierungsfrei treffen könnten.

Auch in Notaufnahmen muss beurteilt werden, wer als erstes behandelt werden muss.

© dpa/Daniel Karmann

Intensivmediziner hätten nun einfach nach dem Prinzip „First come – first serve“ verfahren können. Wer zuerst da ist und ein Bett belegt, wird behandelt. Kämen später andere Menschen, die bessere Überlebenschancen haben, hätten sie sich zurücklehnen und sagen können: „Sorry, we are fully booked.“

Doch die Ärztinnen und Ärzte, die jetzt vor dem Bundesverfassungsgericht Beschwerde erhoben haben, wollen diese schwere Verantwortung offensichtlich nicht abgeben, auch wenn die Entscheidungen noch so hart für sie selbst sind.

Es ehrt den Bundestag, dass er per Gesetz eine diskriminierungsfreie Therapie festschreiben wollte. Doch ebenso ehrt es die jetzt klagenden Ärztinnen und Ärzte, dass sie sich zu ihrer beruflichen Verantwortung bekennen. Diesem Gedanken folgte das Bundesverfassungsgericht. Der Eingriff in die Berufsfreiheit der Ärzteschaft sei in diesem Fall verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt.

Spätestens jetzt ist es an der Zeit, dafür zu sorgen, dass die Ärztinnen und Ärzte möglichst niemals in eine solche Situation knappster Ressourcen kommen und entscheiden müssen, wessen Überlebensprognose günstiger ist.

Ingo Bach

Es ist jedoch bedauerlich, dass die Verfassungsrichterinnen und -richter bei ihrem Urteil auch formal blieben. Der Bund sei nicht zuständig für solche Regelungen, sondern die Länder. Nun droht ein Flickenteppich von Regelungen, schlimmstenfalls gibt es in jedem Bundesland Abweichungen. Experten fürchten bereits, dass das zu mehr Rechtsunsicherheit führt.

Ein inhaltliches Urteil wie im Jahr 2022 wäre da vielleicht hilfreicher gewesen. Zum Beispiel in der Frage, ob es eine Diskriminierung im Sinne des Grundgesetzes ist, wenn Faktoren wie eine bestehende Gebrechlichkeit bei der Prognose der Überlebenswahrscheinlichkeit berücksichtigt werden.

Noch besser und gerechter aber wäre etwas anderes: Spätestens jetzt ist es an der Zeit, dafür zu sorgen, dass die Ärztinnen und Ärzte möglichst niemals in eine solche Situation knappster Ressourcen kommen und entscheiden müssen, wessen Überlebensprognose günstiger ist. Die nächste Pandemie kommt bestimmt. Bereiten wir uns darauf vor, jetzt! Gebt den Kliniken ausreichend Personal und Ausstattung, um für Krisen gerüstet zu sein!

Und lassen wir die Ärzte ihren Job machen. Denn dass sie es offensichtlich ablehnen, den bequemeren Weg zu gehen, denen ihnen der Bundestag weisen wollte, das haben sie mit dieser Klage deutlich bewiesen. Vertrauen wir darauf, dass diese Ärztinnen und Ärzte ihren Eid ernst nehmen und nach bestem Wissen und Gewissen ihre Entscheidungen diskriminierungsfrei treffen.

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