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Ein Mädchen hat sich die Decke über den Kopf gezogen und liest auf einem Tablet. (Symbolbild)

© freepik

Wenn digitale Medien krank machen: Millionen Kinder von Mediensucht betroffen

Viele junge Menschen in Deutschland sind abhängig von digitalen Medien, besonders soziale Medien führen zu einer problematischen Nutzung. Das gefährdet die Gesundheit, wie die Mediensuchtstudie der DAK-Gesundheit zeigt.

Stand:

Die Nutzung digitaler Medien stieg unter Kindern und Jugendlichen während der Corona-Pandemie sprunghaft an. Damit nahmen auch problematische Nutzungsmuster zu. Während die Nutzungszeit zuletzt zwar rückläufig war, bleibt die Mediensucht weiter hoch. Das zeigt die aktuelle Suchtstudie, die die DAK-Gesundheit heute veröffentlicht und Tagesspiegel Background bereits vorliegt.

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Prozent der 10- bis 17-Jährigen hat ein problematisches Nutzungsverhalten sozialer Medien.

Dem Bericht zufolge verbringen Kinder und Jugendliche an einem gewöhnlichen Wochentag zweieinhalb Stunden auf Tiktok, Instagram und Co. In der Vor-Corona-Zeit, also im Jahr 2019, war es durchschnittlich eine halbe Stunde weniger. Außerdem nutzt jede:r vierte der befragten 10- bis 17-Jährigen soziale Medien problematisch, 4,7 Prozent von ihnen gelten als abhängig. Betroffen von der riskanten und pathologischen Nutzung sind demnach 1,3 Millionen junge Menschen.

Mediensucht führt oft zu weiteren Problemen

In der zugrundeliegenden Längsschnittuntersuchung hat das Deutsche Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) im Auftrag der DAK-Gesundheit neben sozialen Medien auch digitale Spiele und Video-Streaming-Dienste in den Blick genommen. Grundlage der Auswertung bildeten die offiziellen Kriterien der Computerspielstörung der Internationalen Klassifikation von Krankheiten (ICD-11).

Wir erleben im klinischen Alltag, dass die digitale Welt zunehmend auch als störend empfunden wird.

Rainer Thomasius, Studienleiter

Die Befragung unter jungen Menschen und ihrer Erziehungsberechtigten hat ergeben, dass die tägliche Nutzungszeit beim Gaming unter der Woche bei 105 Minuten liegt. Im Jahr 2019 waren es 91 Minuten. Streaming hat im Jahr 2021 einen deutlichen Peak mit knapp drei Stunden erreicht, während die Nutzungszeit ansonsten konstant bei um die 100 Minuten liegt. Im Jahr 2024 lag sie bei eineinhalb Stunden. „Gleichzeitig weist der deutliche Anstieg von 117 Prozent im pathologischen Video-Streaming auf die zunehmende Relevanz und das gesteigerte Suchtpotenzial videobasierter Inhalte hin“, heißt es in dem Studienbericht.

„Wir erleben im klinischen Alltag, dass die digitale Welt zunehmend auch als störend empfunden wird“, sagt Rainer Thomasius, Studienleiter und Ärztlicher Leiter des DZSKJ. Außerdem bildeten sich laut Thomasius auch die Studienbefunde im klinischen Zusammenhang ab: „Ein Drittel der in unserem Institut behandelten Jugendlichen leidet mittlerweile unter einer medienbezogenen Störung. Diese jungen Menschen tendieren dann auch zu anderen psychischen Problemen oder gar stoffgebundenen Süchten.“

Phubbing als neues Phänomen

Neben aktuellen Entwicklungen haben die Forschenden auch analysiert, wie sich der Smartphone-Gebrauch auf soziale Interaktionen auswirkt. Das sogenannte Phubbing bezeichnet eine unangemessene Smartphone-Nutzung in sozialen Situationen, wie etwa während Gesprächen. Es ist eine Wortzusammensetzung aus „Snubbing“ (jemanden brüskieren) und „Phone“ (Telefon).

Medien- und Gesundheitskompetenz sind nah beieinander, weshalb deren Vermittlung in der Schule einen viel höheren Stellenwert einnehmen muss.

Michael Hubmann, Präsident BVKJ

Den Befragungsergebnissen zufolge ist Phubbing ein weit verbreitetes Phänomen: Mehr als jedes dritte Kind und knapp ein Drittel der befragten Eltern fühlen sich in sozialen Interaktionen manchmal durch die Smartphone-Nutzung des Gegenübers ignoriert. In vielen Fällen hat Phubbing bereits zu Konflikten geführt. Darüber hinaus führen häufige Phubbing-Erfahrungen laut der Untersuchung zu mehr Einsamkeit, Depression, Angst und Stress.

Gesundheitskompetenz in der Schule fördern

Psychische und medienbezogene Störungen nehmen Michael Hubmann zufolge zu. Außerdem seien Eltern überfordert und wüssten nicht, wie sie die Nutzung digitaler Geräte sinnvoll reglementieren können, so der Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzt:innen (BVKJ) weiter. Insgesamt nimmt die schutzbezogene Medienerziehung der Eltern mit zunehmendem Alter der Kinder stark ab, wie die Studienergebnisse zeigen. Außerdem legten 40 Prozent der Eltern den zeitlichen Umfang der Mediennutzung nicht hinreichend fest und ein Viertel moderiert die Inhalte nicht.

Die Gesamtgesellschaft müsse hier in die Verantwortung genommen werden, fordert BVKJ-Präsident Hubmann: „Medien- und Gesundheitskompetenz sind nah beieinander, weshalb deren Vermittlung in der Schule einen viel höheren Stellenwert einnehmen muss.“ Auch Andreas Storm, Vorstandschef der DAK-Gesundheit, sieht die Institution Schule als wichtigen Ort, um Kinder zu stärken. „Deutschland braucht ein neues Schulfach Gesundheit“, schlägt er deshalb vor.

Hoffnung liegt auf Kultusministerkonferenz und Screening

Mediennutzung sollte im Schulfach Gesundheit ein zentrales Thema sein, sagt Storm. Schließlich führten die langen Online-Zeiten von jungen Menschen häufig zu Gesundheitsproblemen und sozialen Konflikten. „Die Kultusminister der Länder sollten dieses Thema offen diskutieren“, sagt er über das Schulfach Gesundheit mit Blick auf die Kultusministerkonferenz in der kommenden Woche.

Auch die Krankenkasse selbst will verstärkt gegen das Problem vorgehen. Die DAK-Gesundheit bietet seit 2020 in fünf Bundesländern ein Mediensuchtscreening für 12- bis 17-Jährige an. In Reaktion auf die Mediensuchtstudie will sie das Screening zum 1. April um den Fragebogen der Längsschnittstudie erweitern. Bei Auffälligkeiten sollen Ärzt:innen den Eltern und Betroffenen selbst Möglichkeiten aufzeigen, wie sie einer beginnenden Mediensucht entgegenwirken und eine bestehende Sucht professionell behandeln können.

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