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Auch Lebensversicherungen haben das Krebsrisiko im Visier (Symbolbild)

© stock.adobe.com/ArtemisDiana

„Mit Sorge beobachte ich die Zunahme von Darmkrebs bei unter 50-Jährigen“: Bekommen Krebsüberlebende noch eine Lebensversicherung?

Die onkologische Versorgung in Deutschland sei eine der besten in Europa, sagt Tobias Schiergens vom Rückversicherer Swiss Re. Er muss es wissen, denn er kalkuliert weltweit Krankheits- und Sterberisiken.

Stand:

Herr Schiergens, Versicherungsunternehmen prüfen vor Vertragsabschluss die Risiken, dass der Versicherungsfall eintritt. Dafür stehen ihnen Algorithmen und viele Daten zur Verfügung. Sollten Menschen, die eine Krebserkrankung überstanden haben, eine Lebensversicherung beantragen, um zu erfahren, ob ein Rückfall droht?
Nein, selbstverständlich sollen sie auf ihren Arzt vertrauen. Behandelnde Ärzte haben den individuellen Blick auf die persönliche Krankengeschichte und bei der Nachsorge beispielsweise ist vieles zu beachten. Versicherer haben den Blick auf das Kollektiv der Versicherten und arbeiten mit Durchschnittswerten und statistischen Wahrscheinlichkeiten aus großen Populationen. Das dient auch dazu, die errechneten Prämien so niedrig wie möglich zu halten und den Zugang zu Versicherungsschutz vielen Menschen zu ermöglichen.

Als ein leitender Mediziner bei einem weltweit tätigen Rückversicherungsunternehmen kalkulieren auch Sie unter anderem die Wahrscheinlichkeiten, an Krebs zu erkranken oder daran zu sterben. Wie wahrscheinlich ist es also, dass wir an einem bösartigen Tumor erkranken?
Krebs ist stark vom Lebensalter abhängig. Unsere Lebenserwartung ist über die letzten Jahrzehnte gestiegen. Je älter man wird, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass ein bösartiger Tumor diagnostiziert wird. Daneben spielen eine genetische Veranlagung, aber auch beeinflussbare Risikofaktoren eine Rolle. Dazu zählen Rauchen und Alkohol, aber auch mangelnde körperliche Aktivität, eine ungesunde Ernährung oder Erkrankungen wie Adipositas und Typ 2 Diabetes.

Statistisch liegt die Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens an Krebs zu erkranken, bei über 45 Prozent. Fast die Hälfte von uns erkrankt also irgendwann an einem bösartigen Tumor.

Eine deprimierende Aussicht …
Auf der anderen Seite stehen aber auch Erfolge. Die Heilungschancen sind dank der Fortschritte in der Prävention, Vorsorge, Diagnostik und Therapie gestiegen. Zusätzlich zu den Chancen auf Genesung hat sich auch die Lebensqualität krebskranker Menschen verbessert.

Wo innovative Krebsmedizin betrieben wird, sind die Kosten meist höher – und die Erfolge wahrscheinlicher, auch wenn sie nicht garantiert sind.

Tobias Schiergens, Swiss Re

Bei welchen Versicherungen spielen solche Kalkulationen eine Rolle?
Bei praktisch allen Lebensversicherungsprodukten sind Krebserkrankungen aufgrund ihrer Häufigkeit und den resultierenden Auswirkungen von großer Bedeutung. Das betrifft zum Beispiel die Absicherung der Familie mit einer Risikolebensversicherung für den Todesfall, aber auch die Sicherung der eigenen Arbeitskraft durch eine Berufsunfähigkeitsversicherung. In vielen Ländern bieten Versicherer auch Produkte an, die im Fall einer schweren Erkrankung wie Krebs die möglicherweise hohen Therapiekosten abdecken. Andere Policen ermöglichen den Zugang zu medizinischer Expertise oder innovative Behandlungen. In Deutschland spielen solche Krebs-Versicherungen aber eine untergeordnete Rolle.

Wieso?
Die onkologische Versorgung in Deutschland ist im europäischen, aber auch im globalen Vergleich auf einem hohen Niveau. Der Zugang zu moderner Diagnostik und Therapie ist sehr gut und die Behandlungskosten werden von den Krankenversicherungen übernommen.

Krebs ist noch immer eine Erkrankung, die allzu oft tödlich verläuft. Deshalb werden Parameter wie Sterblichkeit oder Fünf-Jahres-Überleben herangezogen, um die medizinische Versorgung von Ländern zu vergleichen. Wie steht Deutschland in Europa da?
Die Fünf-Jahres-Überlebensraten liegen in Deutschland bei den meisten Krebsarten über dem EU-Durchschnitt. Deutschlands Pro-Kopf-Ausgaben für die Versorgung von Krebspatienten liegen im europäischen Vergleich im Spitzenbereich. Wo innovative Krebsmedizin betrieben wird, sind die Kosten meist höher – und die Erfolge wahrscheinlicher, auch wenn sie nicht garantiert sind.

Deutschland gehört in Europa zu den Nationen mit den besten Überlebenschancen nach Krebs.

Tobias Schiergens, Swiss Re

An der Spitze steht Deutschland nicht, obwohl die Gesundheitsausgaben pro Kopf – nach den USA und der Schweiz – die dritthöchsten aller OECD-Staaten sind. Über alle Krebsarten hinweg liegt die Sterblichkeit hierzulande knapp unter dem EU-Durchschnitt. Das reicht unter 27 EU-Staaten laut dem Europäischen Krebsregister ECIS gerade mal für den zehnten Platz. Können wir damit wirklich zufrieden sein?
Deutschland gehört in Europa zu den Nationen mit den besten Überlebenschancen nach Krebs, das wird bei der Betrachtung der Überlebensraten vieler Krebserkrankungen deutlich. Es liegt aber in der Tat nicht überall an der Spitze.

Die Anzahl der Sterbefälle ist allerdings auch abhängig von der Zahl der Neuerkrankungen, also wie häufig Krebs insgesamt überhaupt auftritt. Während in den letzten 20 Jahren die Heilungschancen gestiegen sind, ist die absolute Zahl der Krebssterbefälle gestiegen. Neben dem Alter spielen die bereits erwähnten Risikofaktoren dabei eine Rolle, die neueren Studien zufolge in Deutschland weit verbreitet sind. Mit Sorge beobachte ich die Zunahme von Darmkrebserkrankungen bei unter 50-Jährigen. Das ist ein weltweit in zahlreichen Studien beobachteter Trend, der auch Deutschland betrifft.

Was sind die Gründe dafür?
Die Ursachen hierfür sind wissenschaftlich nicht eindeutig geklärt. In der Fachwelt werden unter anderem Faktoren wie eine ungesunde Ernährung, Übergewicht und ein dauerhaft hoher Insulinspiegel durch zu zuckerreiche Lebensmittel diskutiert. Ebenso könnten dahinter Veränderungen der Darmflora, auch Mikrobiom genannt, sowie mangelnde körperliche Aktivität stehen. Biologische Alterungsprozesse scheinen hier eine Rolle zu spielen. Dieser Trend könnte die Erfolge der breitangelegten Darmkrebs-Vorsorge konterkarieren, die die Neuerkrankungs- und Sterblichkeitsraten in Deutschland bei den über 50-Jährigen gesenkt hat.

Die steigenden Überlebenszahlen dürften auch die Lebensversicherer freuen, die sicher kein Interesse daran haben, dass der Versicherungsfall eintritt.
Lebensversicherer wollen ein langes und gesundes Leben für ihre Versicherten, ebenso wie die Versicherten sich das auch wünschen. Daraus ergibt sich ein gemeinsames Interesse, die Anzahl der Krebsfälle und somit der Versicherungsfälle zu reduzieren.

Die Risikoprüfung vor Vertragsabschluss ist ein Grundprinzip der privaten Lebensversicherungen.

Tobias Schiergens, Swiss Re

Wie können Sie diese Reduktion erreichen?
Ein gesunder Lebensstil und andere beeinflussbare Faktoren könnten etwa 40 Prozent aller Krebserkrankungen vermeiden. Die Versicherten zu motivieren, einen gesunden Lebensstil zu wählen, ist also sinnvoll. Eine solche Motivierung kann damit beginnen, dass der Versicherer Informationen zu Krebsrisiken und Vorsorgemöglichkeiten zur Verfügung stellt. Und sie kann bis hin zu finanziellen Belohnungen für die Versicherten reichen, Risiken zu verringern – etwa mit dem Rauchen aufzuhören oder sein Körpergewicht zu reduzieren.

Da haben die Kunden die Police aber schon in der Tasche. Manche Interessenten aber bekommen erst gar keinen Vertrag, weil sie mögliche Gesundheitsrisiken haben, die die Versicherung scheut, oder sie müssen exorbitant hohe Beiträge zahlen.
Die Risikoprüfung vor Vertragsabschluss ist ein Grundprinzip der privaten Lebensversicherungen. Dazu werden Interessenten nach relevanten Risiken und Vorerkrankungen befragt. Grundsätzlich aber haben Unternehmen ein starkes Interesse daran, so viele Menschen wie möglich zu versichern.

Solche Risikoprüfungen beinhalten auch die Fragen nach Vorerkrankungen. Ein Beispiel: Bei einer Darmspiegelung wurden Krebsvorstufen entdeckt und entfernt. Bekämen Betroffene, bei denen also offenbar ein höheres Krebsrisiko besteht, noch eine Lebensversicherung?
Versicherer unterstützen Präventionsmaßnahmen oder Vorsorgeuntersuchungen, die medizinisch sinnvoll und geboten sind. Gerade die Darmkrebsvorsorge senkt ja sowohl das Risiko, an Darmkrebs zu erkranken, als auch das, daran zu versterben. Das gilt ebenso für das Hautkrebsscreening. Wird also ein gutartiger Darmpolyp oder Leberfleck im Rahmen der Vorsorge entfernt, sind die Betroffenen diesbezüglich als normales Risiko einzustufen, das Lebensversicherer grundsätzlich versichern.

Gerade bei Krebs gibt es auch genetische Risikofaktoren. Sind Menschen, die genetisch anfällig für eine Krebserkrankung sind, versicherbar?
Das regelt in Deutschland das Gendiagnostikgesetz. Bei privaten Lebensversicherungen muss unter bestimmten Bedingungen nicht angegeben werden, ob eine solche Genmutation vorliegt. Versicherer dürfen unter diesen Bedingungen Ergebnisse oder Daten aus genetischen Untersuchungen weder verlangen noch verwenden. Das Risiko trägt in diesem Fall der Versicherer. Die nationalen Gesetzgebungen unterscheiden sich hier von Land zu Land.

Und wie sieht es bei einem Menschen aus, der eine Krebserkrankung überstanden hat? Gilt dieser dann wieder als „Normalrisiko“?
Auch hier erfolgt wie bei allen Antragstellern eine Risikoprüfung. Das heißt, es hängt davon ab, inwieweit basierend auf neuester wissenschaftlicher Evidenz – auch unter Einbezug des medizinischen Fortschritts – ein erhöhtes Risiko fortbesteht oder nicht mehr. Bei vielen Krebsarten gelten die Betroffenen abhängig von bestimmten Faktoren wie dem Stadium bereits nach relativ kurzer Zeit als geheilt. Bei anderen ist diese Spanne länger. Ein erhöhtes Risiko bedeutet aber nicht automatisch, dass kein Versicherungsschutz möglich ist.

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