
© Photographer: Dragos Condrea
Wie viel Bewusstsein haben Menschen im Koma?: „Die Patienten können auf Berührung oder Schmerz reagieren“
7000 Menschen versinken in Deutschland pro Tag in tiefe Bewusstlosigkeit. Ihr „Ich“ ist nicht erreichbar, obwohl der atmende, warme Körper anderes suggeriert. Für Angehörige ist das schwer erträglich.
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Erst nach 100 Jahren kommt es bei „Dornröschen“ zum großen Moment: Ein Prinz küsst Dornröschen wach. Das funktioniert aber leider nur im Märchen so. Zu schön wäre es, einen Menschen, der im Koma liegt, durch einen Kuss wieder aus diesem „tiefen Schlaf“ erlösen zu können, so die altgriechische Bedeutung von Koma.
Schätzungsweise 7000 Menschen fallen in Deutschland pro Tag in diese tiefe Bewusstlosigkeit. Ein Koma kann Ausdruck einer schweren Störung von Funktionen des Gehirns sein, dann ist es lebensbedrohend. Es gibt aber auch Patienten, die sich in einem künstlichen Koma befinden.
Ärzte führen bei schwerkranken Menschen diesen tiefschlafähnlichen Zustand mit Medikamenten bewusst herbei, um als Schutzmaßnahme das Bewusstsein und das Schmerzempfinden vorübergehend auszuschalten. Mediziner sprechen dann auch von einer Narkose. Werden die Medikamente abgesetzt, kommt der Mensch langsam ins Leben zurück.
Für Angehörige ist dieser Zustand oft kaum zu ertragen
Das „richtige“ Koma beschreibt dagegen medizinisch den Zustand einer tiefen Bewusstlosigkeit. Das ist eine schwere neurologische Störung, bei der Patienten dem Tod häufig näher sind als dem Leben. Für Angehörige ist dieser Zustand oft kaum zu ertragen.
Das Bewusstsein ihrer Liebsten ist nicht erreichbar, obwohl der atmende, warme Körper etwas anderes suggeriert. Am unerträglichsten wird es, wenn der geliebte Mensch im sogenannten Wachkoma liegt, er also die Augen geöffnet hat und sogar scheinbar auf Reize aus der Umwelt reagiert.
„Ein Koma kann viele verschiedene Ursachen haben – das Spektrum reicht von der leichten Hirnschädigung bis hin zu ganz schweren Fällen“, sagt die Neurologin Franziska Scheibe von der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Handelt es sich um ein „gewöhnliches“ Koma, sind die Augen der Betroffenen geschlossen. Sie sind nicht ansprechbar. Außerdem ist ihre Atmung gestört, weshalb viele dieser Patienten künstlich beatmet werden müssen.
Die Gründe, warum ein Mensch vorübergehend oder auch länger tief in einen solchen Zustand der Unerreichbarkeit fällt, sind unterschiedlich. Am „leichten Ende“ der Ursachen für ein Koma steht die Unterzuckerung, eine Hypoglykämie. Da das Gehirn auf Zucker als Energielieferant angewiesen ist, macht sich eine Unterzuckerung, wie sie vor allem Diabetespatienten, aber auch gesunden Menschen widerfahren kann, mit neurologischen Ausfallerscheinungen bemerkbar.
Wenn sie rechtzeitig erkannt und behandelt wird, liegt nur eine starke Bewusstseinstrübung vor. Die Betroffenen kommen schnell wieder zu sich. Hält der Zustand der Unterzuckerung aber länger an, sodass Nervenzellen zugrunde gehen, dann wird das Gehirn schwerer und oft auch bleibend geschädigt.
Sauerstoffmangel führt rasch zu einer unumkehrbaren Schädigung von Hirnzellen.
Stephan Brandt, Neurologe
Ein weiterer Auslöser für ein Koma ist mitunter eine Infektion mit Viren oder Bakterien, die in das Gehirn vordringen können, wie Meningokokken und Streptokokken, die eine Hirnhaut- oder Hirnentzündung verursachen.
Am anderen Ende des Ursachenspektrums sind plötzliche schwere Verletzungen oder Zwischenfälle, die das Gehirn schädigen. Eine der häufigsten Ursache für ein Koma ist ein schweres Schädel-Hirn-Trauma nach einem Sturz oder Verkehrsunfall.
Der Ausgang bei schweren Fällen eines Komas ist stets ungewiss
Weitere häufige Auslöser sind ein Schlaganfall, bei dem Areale im Gehirn aufgrund eines verstopften oder geplatzen Gefäßes nicht mehr mit sauerstoffreichem Blut versorgt werden. Ebenso führt ein Herz-Kreislauf-Stillstand schnell zu einer Unterversorgung des Gehirns mit Sauerstoff. „Ein Sauerstoffmangel führt rasch zu einer unumkehrbaren Schädigung von Hirnzellen“, berichtet der Neurologe Stephan Brandt, stellvertretender Direktor der Klinik für Neurologie mit Experimenteller Neurologie der Charité am Campus Charité Mitte.
Und schließlich können auch Medikamente, Drogen und Alkohol ein Koma herbeiführen.
Es kann sein, dass Wachkoma-Patienten schneller atmen, schwitzen oder ihr Blutdruck ansteigt.
Franziska Scheibe, Neurologin
Der Ausgang bei schweren Fällen eines Komas – also die Antwort auf die Frage, kehrt das Bewusstsein vollständig zurück – ist stets ungewiss. „Wenn im Laufe der Zeit ein Umbau im Gehirn stattfindet, zerstörte Strukturen regeneriert werden und das Organ sich etwas erholen kann, dann ist eine Verbesserung des Zustandes möglich“, sagt Franziska Scheibe. „Die Betroffenen werden etwas wacher.“ Oder kehren ganz zurück. Und das sei immer etwas Besonderes.
Im Wachkoma ist kein Bewusstsein vorhanden
Bei einer sehr schweren Hirnschädigung ist eine andere, für Angehörige extrem irritierende Form eines Komas wahrscheinlicher: ein sogenanntes „Wachkoma“, medizinisch auch Syndrom reaktionsloser Wachheit genannt.
„Von einem Wachkoma sprechen wir, wenn die Patienten die Akutphase des Komas hinter sich haben, und in einen Status übergehen, in dem die Augen zeitweilig geöffnet sind“, sagt Neurologe Stephan Brandt. „Dennoch können wir diese Patienten nicht kontaktieren. Es sind keine Hinweise, die auf ein Vorhandensein von Bewusstsein hindeuten, erkennbar.“
Obwohl die Augen der Wachkoma-Patienten offen sind, diese sich sogar bewegen können, nehmen sie ihre Umgebung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht bewusst wahr. Das Großhirn ist nicht in der Lage, Umweltreize angemessen zu verarbeiten. Unbewusste Antworten auf Reize sind aber möglich. „Die Patienten können auf Berührung oder Schmerz mit unbewussten Symptomen reagieren“, sagt Franziska Scheibe. „Es kann sein, dass sie dann schneller atmen, schwitzen oder ihr Blutdruck ansteigt.“
Erstaunlicherweise können die Betroffenen in dieser reaktionslosen Wachheit selbstständig atmen, was zuvor in der Akutphase nicht möglich war. Es sind sogar Schlaf-Wach-Phasen unterscheidbar. „Das liegt daran, dass in diesem Zustand die Funktion des Großhirns zwar erloschen ist, die des Hirnstamms, wo das Atemzentrum liegt, aber erhalten bleibt“, erklärt Brandt.
Und er fügt etwas hinzu, was Angehörige, die sich an solche scheinbaren Anzeichen für ein Bewusstsein klammern, zusammenzucken lassen dürfte. „Nach derzeitigem Wissensstand ist kein Bewusstsein mehr vorhanden.“
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