
© dpa/Karl-Josef Hildenbrand
Zweites Alzheimer-Medikament zugelassen: Was sind die Nutzen und Risiken von Kisunla und Leqembi?
In Deutschland leiden etwa eine Million Menschen unter Alzheimer. Neue Wirkstoffe können den Krankheitsverlauf etwas verzögern – wenn sie rechtzeitig eingesetzt werden.
Stand:
Die Europäische Kommission hat ein weiteres Medikament gegen Alzheimer zugelassen. Dabei handelt es sich um das Arzneimittel Kisunla des Herstellers Eli Lilly, das den Verlauf der Krankheit verlangsamen kann, wie die Kommission am Donnerstag mitteilte. Die Zulassung gilt allerdings nur für Patientinnen und Patienten, bei denen die Krankheit noch nicht weit fortgeschritten ist.
Außerdem kommt es auf die Gene der Betroffenen an. Der wichtigste genetische Indikator für Alzheimer ist das Risikogen ApoE4, das von beiden Elternteilen vererbt werden kann. Die EU-Kommission empfiehlt das neue Medikament nur für Patientinnen und Patienten, die diese Genvariante entweder gar nicht oder nur einmal – also nur von einem Elternteil – in sich tragen.
Für diese Gruppe überwiegen nach Einschätzung aus Brüssel die Vorteile des Medikaments die Risiken. Zu den möglichen Nebenwirkungen zählen nach Angaben der Initiative für Alzheimer-Forschung Hirnschwellungen und -blutungen, die zum Tod führen können. Die Behandlung mit Kisunla sei deshalb auch aufwendig, weil Patientinnen und Patienten regelmäßig auf Nebenwirkungen kontrolliert werden müssten.
Antikörper richten sich gegen Ablagerungen im Hirn
Die Entscheidung der EU-Kommission basiert auf einer Empfehlung der europäischen Arzneimittelbehörde EMA. Kisunla ist das zweite in der EU zugelassene Alzheimer-Medikament: Im April hatte die EU-Kommission bereits das Mittel Leqembi erlaubt, das nun auch in Deutschland erhältlich ist. Ähnlich wie Kisunla kann auch dieses Medikament den Verlauf der Krankheit lediglich verlangsamen, nicht aber aufhalten oder zurückdrehen.
1 Was ist das Besondere an Leqembi und Kisunla?
Bisherige Alzheimer-Therapien behandeln nur Symptome der Krankheit, aber nicht ursächliche Prozesse im Gehirn. Das ist bei Lecanemab (Handelsname Leqembi) und Donanemab (Handelsname Kisunla) anders: Beide Antikörper richten sich gegen Amyloid-Ablagerungen im Gehirn, die mit dem Absterben der Nervenzellen bei Alzheimer in Verbindung gebracht werden.
Sie sollen bei Alzheimer im frühen Stadium den kognitiven Abbau etwas verlangsamen. Ein Verbesserung oder gar Heilung bringendes Mittel ist weiterhin nicht in Sicht. Lecanemab wurde von der Europäischen Kommission im April zugelassen, nun folgte Donanemab.
Der Zulassungsprozess gestaltete sich jeweils zäh und langwierig, weil klinische Studien nur für eine sehr begrenzte Patientengruppe im frühen Stadium von Alzheimer einen kleinen klinischen Nutzen zeigen. Das Verfahren ist teuer, zudem besteht ein Risiko für im Einzelfall schwere Nebenwirkungen.
2 Wer kann die Wirkstoffe nutzen?
Geschätzt erfüllt nur etwa einer von 100 Menschen mit Alzheimer-Demenz alle Voraussetzungen für die Behandlung. „Vermutlich wird die Zahl eher niedriger sein“, nimmt Peter Berlit, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN), an. Bei geschätzt etwa 1,2 Millionen Alzheimer-Erkrankten in Deutschland wären das weniger als 12.000 Menschen.
Grund ist vor allem, dass die Entfernung der Amyloid-Plaques nichts mehr bringt, wenn sie schon irreversible Schäden im Gehirn angerichtet haben. Die Antikörper sollen darum nur im frühen Stadium der Krankheit, bei nur leichter kognitiver Beeinträchtigung (Gedächtnis- und Denkstörungen) eingesetzt werden. Experten zählen dazu die ersten drei Jahre.
Für Frauen ist es riskanter
In Deutschland befinden sich aktuell schätzungsweise etwa 250.000 Menschen in dieser Frühphase. Die Mittel sollen zudem nur Alzheimer-Patienten bekommen, die keine oder maximal eine Kopie von ApoE4 haben, einer Variante des Gens für das Protein Apolipoprotein E. Bei ihnen ist die Wahrscheinlichkeit für Schwellungen und Blutungen im Gehirn im Zuge der Behandlung geringer als bei Menschen mit zwei ApoE4-Kopien.
Hinzu kommen weitere einschränkende Voraussetzungen, zum Beispiel dürfen keine Gerinnungshemmer eingenommen werden. Bei Frauen ist der beobachtete klinische Effekt der Behandlung zudem wohl noch geringer als bei Männern – das Risiko für Nebenwirkungen hingegen höher.
Ob sie in der Bilanz überhaupt merklich profitieren, ist der Alzheimer Forschung Initiative zufolge noch unklar. Bei Frauen werde eine noch kritischere Nutzen-Risikoabwägung erfolgen müssen, sagt auch Berlit. Rund zwei Drittel aller Menschen mit Alzheimer sind Frauen.
3 Wie verläuft die Behandlung?
Zunächst wird diagnostisch abgeklärt, ob ein Patient überhaupt für die Behandlung infrage kommt. Alzheimer muss gesichert durch Biomarker-Tests nachgewiesen sein, gefolgt von einem genetischen Test zur ApoE4-Variante. Lecanemab wird dann alle zwei Wochen intravenös verabreicht, Donanemab alle vier Wochen.
Zur Risikominimierung mit Blick auf die möglichen Schwellungen und Mikroblutungen im Gehirn werden vor Beginn der Behandlung und auch später regelmäßig MRT-Scans durchgeführt, zusätzliche Scans bei Warnzeichen wie Kopfschmerzen, Sehstörungen und Schwindel.
Sobald das Vollbild einer Alzheimer-Erkrankung vorliegt, sind die statistisch beschriebenen Effekte für den Patienten und sein Umfeld zumeist nicht mehr wahrnehmbar.
Walter Schulz-Schaeffer, Direktor des Instituts für Neuropathologie am Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg.
Die Patientinnen und Patienten müssen also mobil und körperlich belastbar sein. Anzunehmen ist, dass sich ein Teil der potenziellen Nutzer diesem aufwendigen Prozedere nicht aussetzen möchte oder kann. Die meisten Alzheimer-Betroffenen sind älter als 80 Jahre, nur in seltenen Fällen beginnt die Krankheit vor dem 65. Lebensjahr.
Die Behandlung wird Berlit zufolge beendet, wenn sich die Alzheimer-Erkrankung merklich verschlechtert und in ein mittelschweres Stadium übergeht.
4 Was für ein Erfolg können Betroffene erwarten?
Die der Zulassung zugrunde liegenden Studiendaten weisen auf einen um einige Monate verzögerten kognitiven Abbau hin. Donanemab entfernt Berlit zufolge Ablagerungen etwas deutlicher als Lecanemab und könnte das Voranschreiten der Krankheit um bis zu sechs Monate verlangsamen.
Fraglich ist Experten zufolge, wie alltagsrelevant diese leichte Verzögerung ist. „Sobald das Vollbild einer Alzheimer-Erkrankung vorliegt, sind die statistisch beschriebenen Effekte für den Patienten und sein Umfeld zumeist nicht mehr wahrnehmbar“, hatte Walter Schulz-Schaeffer vom Universitätsklinikum des Saarlandes in Homburg zur Zulassung von Lecanemab gesagt.
5 Was kostet die Behandlung?
Den Preisvorstellungen der Hersteller zufolge könnten allein die Medikamente etwa 24.000 Euro jährlich pro Patient kosten, wie Berlit erklärt. Die Verhandlungen mit den Krankenkassen bezüglich Vordiagnostik, Durchführung der Therapie und vor allem Überwachung laufen demnach noch. Diese zusätzlichen Kosten könnten geschätzt bei etwa 10.000 Euro pro Patient und Jahr liegen. (AFP/dpa)
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