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Die Konfliktregion Berg-Karabach im Südkaukasus ist nach Angaben örtlicher Behörden am Mittwochmorgen vom aserbaidschanischen Militär erneut mit Raketen und Artillerie angegriffen worden.

© Imago/SNA/Aik Arutunyan

Update

Dutzende Tote, viele Verletzte: Aserbaidschan greift Armenier in Region Berg-Karabach weiter an

Die Armee von Aserbaidschan setzt ihre Militäroperation in der umstrittenen Region vor. Proarmenischen Quellen zufolge sind dabei bereits dutzende Menschen gestorben.

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Die Konfliktregion Berg-Karabach im Südkaukasus ist nach Angaben örtlicher Behörden am Mittwochmorgen vom aserbaidschanischen Militär erneut mit Raketen und Artillerie angegriffen worden. Dabei seien auch zivile Infrastrukturobjekte getroffen worden, berichtete die armenische Nachrichtenagentur Armenpress am Mittwoch.

„Die Einheiten der Verteidigungskräfte leisten mit Abwehrhandlungen den Streitkräften Aserbaidschans erbitterten Widerstand und fügen dem Feind Verluste zu“, teilte das Verteidigungsministerium der international nicht anerkannten Republik Berg-Karabach (Arzach) mit.

Die Ex-Sowjetrepublik Aserbaidschan hat am Dienstag einen groß angelegten Militäreinsatz zur Eroberung Berg-Karabachs gestartet. Dabei sind nach Angaben des Menschenrechtsbeauftragten von Arzach, Gegam Stepanjan, bereits mehr als zwei Dutzend Menschen getötet und mehr als 100 verletzt worden. Unter den Opfern sind auch Zivilisten und Kinder. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages, Michael Roth (SPD), forderte Konsequenzen für Aserbaidschan.

Aserbaidschans Präsident Alijew fordert Kapitulation Armeniens

Mehr als 7000 Bewohner wurden demnach aus 16 Ortschaften evakuiert. Vertreter westlicher Staaten forderten ein sofortiges Ende der Kämpfe. Der seit dem Tod seines Vaters 2007 autoritär regierende Präsident Aserbaidschans, Ilham Alijew, erklärte in einem Telefonat mit US-Außenminister Antony Blinken, dass der Militäreinsatz erst beendet werde, wenn die Armenier ihre Waffen niederlegten.

Die aserbaidschanischen Streitkräfte versuchten am Dienstag, tief in das Gebiet von Berg-Karabach vorzudringen.
Die aserbaidschanischen Streitkräfte versuchten am Dienstag, tief in das Gebiet von Berg-Karabach vorzudringen.

© AFP/Paz Pizzaro und Robin Bjalon

Im Fall einer Kapitulation schlug Baku Gespräche „mit Vertretern der armenischen Bevölkerung Karabachs“ in der aserbaidschanischen Stadt Jewlach vor.

Berg-Karabachs Hauptstadt Stepanakert stand nach Angaben eines AFP-Reporters auch am Dienstagabend weiter unter Beschuss. Gleichzeitig gab Baku bekannt, 60 armenische Stellungen erobert zu haben.

Die aserbaidschanische Regierung sprach von „örtlich begrenzten Anti-Terror-Einsätzen“ in Berg-Karabach. Diese zielten auf armenische Militärpositionen und von „Separatisten“ genutzte Einrichtungen. Laut dem Verteidigungsministerium in Baku wurden humanitäre Korridore zur Evakuierung von Zivilisten eingerichtet.

Der armenische Regierungschef Nikol Paschinjan sprach hingegen im Fernsehen von einem aserbaidschanischen „Einsatz von Bodentruppen“ mit dem Ziel einer „ethnische Säuberung“ der armenischen Bevölkerung in der Enklave.

In Armeniens Hauptstadt Eriwan demonstrierten derweil hunderte Menschen gegen Paschinjan. Sie warfen ihm Versagen bei der Verteidigung Berg-Karabachs vor und forderten seinen Rücktritt.

Fernsehbildern zufolge kam es am Abend zu Ausschreitungen. Demonstranten versuchten, Polizeiabsperrungen vor dem Regierungssitz zu durchbrechen und bewarfen Polizisten mit Flaschen. Mehrere Menschen mussten verletzt ins Krankenhaus gebracht werden.

Die armenischen Sicherheitsdienste warnten vor der Gefahr „allgemeiner Unruhen“ im Land. Sie kündigten Schritte zur „Aufrechterhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung“ an.

In Armenien werden Unruhen befürchtet

Das armenische Außenministerium appellierte an die in Berg-Karabach stationierten russischen Friedenstruppen, die aserbaidschanische „Aggression“ zu beenden.

Vor der russischen Botschaft in Eriwan versammelten sich Dutzende Demonstranten. Die russischen Friedenstruppen in Berg-Karabach riefen laut dem Verteidigungsministerium in Moskau die Konfliktparteien auf, „die Kampfhandlungen unverzüglich einzustellen“.

Vertreter westlicher Staaten forderten ebenfalls ein sofortiges Ende der Kämpfe. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte am Rande der UN-Vollversammlung in New York, es gehe darum, „wieder zurückzukehren zum Pfad der Diplomatie“.

US-Außenminister Blinken kritisiert Aserbaidschan scharf

US-Außenminister Blinken nannte das Vorgehen Aserbaidschans „ungeheuerlich“. Der französische Präsident Emmanuel Macron verurteilte „mit größter Entschiedenheit die Gewaltanwendung Aserbaidschans“ in Berg-Karabach. Das französische Außenministerium forderte eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrats.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (rechts) unterstützt traditionell den Präsidenten von Aserbaidschan, Ilham Alijew – hier bei einem Besuch in Ankara im April 2018.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan (rechts) unterstützt traditionell den Präsidenten von Aserbaidschan, Ilham Alijew – hier bei einem Besuch in Ankara im April 2018.

© Imago/Xinhua/Mustafa Kaya

Die traditionell mit Aserbaidschan verbündete Türkei stützte hingegen das Vorgehen Bakus. „Wir unterstützen die von Aserbaidschan unternommenen Schritte zur Verteidigung seiner territorialen Integrität“, erklärte der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan. Gleichzeitig sprach sich Ankara für eine „Fortsetzung umfassender Verhandlungen zwischen Aserbaidschan und Armenien“ aus.

Berg-Karabach gehört völkerrechtlich zu Aserbaidschan, in dem Gebiet leben aber überwiegend Armenier. Aserbaidschan und Armenien streiten seit dem Zerfall der Sowjetunion um die Enklave und lieferten sich deshalb bereits zwei Kriege, zuletzt im Jahr 2020. Damals gelang es dem durch Öl- und Gaseinnahmen hochgerüsteten Aserbaidschan, große Teile der Region zurückzuerobern.

Russland hatte nach sechswöchigen Kämpfen mit mehr als 6500 Toten ein Waffenstillstandsabkommen vermittelt, das Armenien zur Aufgabe großer Gebiete zwang. In den vergangenen Monaten hatten die Spannungen um das stark verminte Berg-Karabach wieder deutlich zugenommen. (dpa)

Der SPD-Außenpolitiker Roth forderte angesichts der militärischen Eskalation in Berg-Karabach Konsequenzen für Aserbaidschan. „Wir sollten ein klares Signal an Baku senden, dass wir diese kaltblütige Aggression nicht einfach hinnehmen werden“, sagte er der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.

Mit Blick auf aktuelle Handelsvereinbarungen mit dem rohstoffreichen Land fügte Roth hinzu: „Selbstverständlich gehört auch dazu, dass man wirtschaftliche Beziehungen auf den Prüfstand stellt, wenn ein Land, mit dem man Handel betreibt, zu militärischer Gewalt greift.“ Er könne sich in der gegenwärtigen Lage kein „business as usual“ vorstellen.

„Es darf nicht der Eindruck entstehen, wir seien erpressbar und würden gegenüber einem wichtigen Energielieferanten alle Augen zudrücken, nur damit wir günstigeres Gas beziehen können“, betonte der Außenpolitiker. (dpa, KNA)

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