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Neu gewählte Abgeordnete der Sozialistischen Partei posieren mit François Hollande (M), ehemaliger Präsident von Frankreich, in der Nationalversammlung in Paris.

© dpa/Michel Euler

Update

Chaos in Frankreichs Parlament: Kann die Linke wenigstens Parlamentspräsident?

Am Donnerstag tritt die neue Nationalversammlung zusammen. Das Linken-Bündnis konnte sich bisher nicht auf einen Premier einigen. Jetzt geht es um den Parlamentspräsidenten.

Stand:

Knapp zwei Wochen nach der Parlamentswahl hat das siegreiche Linken-Bündnis es erst einmal aufgegeben, sich auf den Namen eines Premierministers zu einigen. Am Donnerstag geht es bescheidener darum, ob Sozialisten, Grüne, Kommunisten und die „France Insoumise“ es schaffen, ihren immerhin gemeinsamen Kandidaten für den Posten des Parlamentspräsidenten durchzubringen.

Um 15 Uhr tritt die neue Nationalversammlung erstmals zusammen. Dann müssen die Fraktionen gebildet sein und erklären, ob sie die Regierung unterstützen oder in der Opposition sind.

Das ist für die Zuteilung von Ausschussvorsitzen entscheidend. Außerdem werden der neue Parlamentspräsident und die übrigen 21 Mitglieder des Präsidiums gewählt; die Entscheidungen über die Ausschussvorsitze und andere Parlamentsämter fallen Freitag und Samstag.

Mindestens elf Fraktionen – eine Rekordzahl

Doch weiterhin unklar ist, welche Fraktion in der Opposition und welche in der Regierungsmehrheit ist. Allerdings müssen sich die Abgeordneten bis 15 Uhr entschieden haben, welcher Fraktion sie angehören. Mindestens elf wird es wohl geben – eine Rekordzahl.

Denn außer beim rechtsextremen Rassemblement National (RN) von Marine Le Pen gehen die Risse, ausgelöst durch Differenzen im Sprint-Wahlkampf oder durch unterschiedliche Ansichten über Koalitionen, durch fast alle Parteien.

Interne Mélenchon-Gegner gehen zu den Grünen

Die Republikaner sind in zwei Gruppen zerfallen, seit Parteichef Ciotti gegen den Widerstand der restlichen Parteigrößen zu Marine Le Pen übergelaufen war – um seine Wahl zum Bürgermeister von Nizza, Hochburg der RN, nächstes Jahr zu sichern.

Fünf Politiker, parteiinterne Kritiker von Jean-Luc Mélenchon, die von ihm nicht wieder für die linke „La France Insoumise“ (LFI) aufgestellt worden waren, aber dennoch gewählt wurden, sind in der Fraktion der Grünen unterkommen.

Auch wenn Ex-Premierministerin Élisabeth Borne nach längerem Zögern und Treffen mit Abtrünnigen nun doch wieder der Fraktion der Regierungspartei angehören will, schließen das andere Renaissance-Abgeordnete noch aus.

„Ausschließen“ ist das Wort der Stunde

Beim Ausschließen sind die französischen Politiker ohnehin gut: Die Nicht-RN-Republikaner schließen es aus, mit der Partei von Präsident Emmanuel Macron zu paktieren – darauf hatte Macron wohl gesetzt.

Sie wollen auch jede Regierung stürzen, die einen grünen Minister hat. Die rechtsextreme Marine Le Pen will jede Regierung stürzen, in der ein Minister der linken LFI oder der Grünen sitzt. Und Mélenchon von der linken LFI will ohnehin mit niemandem koalieren außerhalb des siegreichen Linken-Bündnisses, das aber auch keine Mehrheit hat.

Grünen-Chefin „wütend“ auf Blockade im Linken-Bündnis

Die Chefin der Grünen, Marine Tondelier, hatte sich am Dienstag „wütend und angewidert“ davon gezeigt, dass das Linken-Bündnis unfähig ist, sich auf einen Namen für den künftigen Premierminister zu einigen. „Ich habe die Nase voll“, sagte sie im Radio-Interview.

Vor allem die Sozialisten und die linksradikale La France Insoumise von Jean-Luc Mélanchon zeigten sich unnachgiebig. Die Sozialisten hatten einen Vorschlag Mélenchons abgelehnt, dann hatte er öffentlich sofort einen gemeinsamen Vorschlag von Sozialisten, Grünen und Kommunisten zurückgewiesen. Das Bündnis hat seine Verhandlungen jetzt erst einmal unterbrochen, um sich auf die Postenvergabe im Parlament zu konzentrieren.

Sollen Rechtsextreme Ausschussvorsitzende werden?

Dort ist dann die große Frage, wie jede Fraktion es mit dem rechtsextremen RN bei der Vergabe und Wahl von Parlamentsposten hält. Verhindert man im Namen der Verteidigung der Republik, dass die Rechtsextremen wichtige Posten übernehmen, oder ist das undemokratisch – Le Pens Partei ist mit 125 Abgeordneten immerhin die mit Abstand größte Fraktion.

Die Parteien des Linken-Bündnisses und die Präsidentenpartei haben bereits erklärt, dass sie verhindern wollen, dass der RN einen wichtigen Posten im Parlamentsbetrieb besetzen kann. Bisher hatte er zwei stellvertretende Parlamentspräsidenten. Diesmal wollen sie den Präsidenten stellen.

Und fast als einzige Partei ist der RN sicher, dass er in der Opposition sein wird. Daher will er den Vorsitz im Haushaltsausschuss übernehmen, der traditionell der größten Oppositionsfraktion zusteht.

Warum sich alle umbenennen

Um die Verwirrung noch zu vergrößern, ändern einige Parteien jetzt auch noch ihre Namen. Die bisherige Präsidentenpartei Renaissance hat sich in „Ensemble pour la Republique“ (Gemeinsam für die Republik) umbenannt – eine klare Distanzierung von Präsident Macron, dem viele Abgeordnete die Aufrufung von Neuwahlen ohne Not nicht verziehen haben.

Die Rest-Republikaner, die nicht zu Le Pen übergelaufen sind, wollen sich zukünftig „La Droite Républicaine“ (Republikanische Rechte) nennen.

Was fest steht

Klar ist: Die Präsidentenpartei, die noch Renaissance heißt, und Noch-Premier Gabriel Attal haben sich von Macron emanzipiert: Die Abgeordneten haben am Wochenende mit großer Mehrheit Attal zum Fraktionsvorsitzenden gewählt.

Der Präsident hatte Innenminister Gérald Darmanin favorisiert, der schließlich nicht antrat, weil Attal offensichtlich den Rückhalt der Parlamentarier hatte.

Und mittlerweile hat der Präsident auch den Rücktritt der Regierung Attal am Mittwoch angenommen, sie bleibt nun lediglich geschäftsführend im Amt.

Macron hatte das am Montag nach der Wahl noch abgelehnt, aber die Regierungsmitglieder könnten sonst im Parlament nicht mitstimmen und keine Posten übernehmen.

„Klarheit“ wolle er schaffen, hatte Macron erklärt, als er das Parlament am Abend der Europawahl am 9. Juli auflöste. Das ist nicht gelungen. Seit dem zweiten Wahlgang am 7. Juli will er die „Strukturierung“ des neuen Parlaments abwarten. Vielleicht sieht man ab Donnerstag klarer.

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