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Wende auf der COP29: So hat die Welt das Finanzziel fürs Klima beschlossen
Die Klimakonferenz in Aserbaidschan stand kurz vorm Scheitern. Dann einigten sich die Staaten zur Frage, wie sie den Kampf gegen die Klimakrise bestreiten wollen.
Stand:
In der Nacht auf Sonntag brachte Aserbaidschans Umweltminister in Baku eine historische Einigung über die Bühne. Es ging um die Frage, wie die Weltgemeinschaft künftig den Klimaschutz in ärmeren Ländern finanzieren und wie ein neues Ziel dafür aussehen soll.
Doch wer gegen 3 Uhr mit den Hunderten Delegierten aus aller Welt im Plenarsaal saß, musste den Worten von Mukhtar Babayev gut lauschen und seine Unterlagen geordnet haben. Nur so ließ sich verstehen, wann es so weit war. Zwischen Verlesung und Annahme der Entscheidung vergingen vielleicht zwei Sekunden.
„Ich lade die Vertragsstaaten ein, sich dem Tagesordnungspunkt 11a zu widmen“, sagte der 57-Jährige mit Blick auf die Unterlagen vor ihm – und meinte damit das neue Finanzziel. Er lade die Länder ein, den Entwurf für eine Entscheidung im Dokument „CMA Schrägstrich Zwei Null Zwei Vier L Punkt Zwei Zwei“ anzunehmen.
Babayev blickte anschließend nicht auf die Diplomaten vor ihm, sondern auf den kleinen Holzhammer neben ihm. Er griff ohne zu zögern nach dem Stiel und ließ den Hammer gegen den Resonanzblock niedersausen. Ein Hall ging durch den Saal. Die Entscheidung war gefallen.
Es applaudierten Einzelne, dann Einige, und dann erhoben sich Dutzende von ihren Plätzen und blickten sich um. Erleichterung machte sich auf einigen Gesichtern breit. Und einige Aktivisten waren schlicht und einfach verwirrt, und fragten Sitznachbarn, was eigentlich gerade passiert war.
Das hier ist passiert: Die Weltgemeinschaft hat sich in Baku auf ein neues Ziel geeinigt, um Klimaschutz und Vorkehrungen gegen Klimafolgen zu finanzieren. Den Beschluss fassten die Staaten in der Nacht auf Sonntag während der Klimakonferenz in Aserbaidschan.
Bis 2035 sollen Industriestaaten wie Deutschland maßgeblich jedes Jahr gemeinsam 300 Milliarden Dollar für ärmere Staaten aufbringen. Die Mittel sollen als „Klimafinanzierung“ zum Beispiel beim Ausbau der erneuerbaren Energien helfen oder etwa den Aufbau von Deichen gegen Überschwemmungen unterstützen.
Ein übergeordnetes Finanzziel in Höhe von 1,3 Billionen Dollar umschließt diesen Kern an angedachten Hilfen. Das neue Finanzziel – auch abgekürzt als „NCQG“ – löst bald die bisherige Maßgabe bei der Klimafinanzierung ab.
Diese sieht noch bis Ende 2025 jährlich 100 Milliarden Dollar seitens der Industrieländer für ärmere Länder vor. Die Lücke zwischen dem neuen Kern (300 Milliarden Dollar) und dem neuen übergeordneten Finanzziel (1,3 Billionen Dollar) soll in erster Linie die Privatwirtschaft stopfen. Schon heute investieren Unternehmen deutlich mehr in die Energiewende als die öffentliche Hand.
Schwellenländer wie China oder reiche Golfstaaten können gemäß der Übereinkunft in Baku freiwillig zum künftigen Kern der Klimahilfen beitragen. Vor allem der Bundesregierung und der Europäischen Union war es im Vorfeld der Einigung wichtig, weitere potenzielle Geberländer wie China in die internationale Klimafinanzierung einzubinden. Diese hatten eine solche Beteiligung zuvor strikt abgelehnt.
Bolivien: 300 Milliarden sind eine „Beleidigung“
Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) sagte am Sonntag in ihrer Rede in Baku, die vereinbarten Klimahilfen in Höhe von 300 Milliarden Dollar seien „nur ein Ausgangspunkt“ – und bedankte sich bei den Vertretern von Inselstaaten und den ärmsten Ländern für ihr Vertrauen während der Verhandlungen.
Bolivien dagegen bezeichnete die Summe von 300 Milliarden Dollar als „eine Beleidigung“ und sprach dabei im Namen von 23 weiteren Schwellen- und Entwicklungsstaaten, einschließlich Pakistan und Indonesien. Die Vertreterin Indiens hielt nach dem Beschluss eine Brandrede und sagte, ihr Land könne das neue Finanzziel nicht akzeptieren – es würde nicht die Finanzbedarfe abdecken. Die Diplomatin griff Aserbaidschan auf offener Bühne scharf dafür an, vor der Verabschiedung nicht wie angefragt das Wort erteilt bekommen zu haben.

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Deutschlands Herzensanliegen kam diesmal nicht durch
Vertagt wurde bei den Klimaverhandlungen eine Einigung zum Vorantreiben der globalen Energiewende. Zuvor hatte Saudi-Arabien Beschlüsse verhindert, die die vereinbarte „Abkehr“ von den fossilen Brennstoffen erwähnten. Dies war besonders Deutschland und der Europäischen Union wichtig.
Ein entscheidender Streitpunkt in der internationalen Klimapolitik konnte damit nicht mehr beigelegt werden. Bis zur Einigung in der Nacht auf Sonntag spielten sich in Baku teils dramatische Szenen ab.
Einigung stand auf der Kippe
Diplomaten boykottierten Verhandlungsgespräche, Delegationen buchten ihre Flüge um und das Gastgeberland sah sich mit schweren Vorwürfen konfrontiert: Samstagabend war mehr als unklar, ob die Klimaverhandlungen in Baku doch noch eine Übereinkunft bringen – oder im Chaos versinken und ergebnislos versanden.
Dass bis einen Tag nach dem planmäßigen Ende der Konferenz keine Einigung in Sicht war, hängt maßgeblich mit zwei Ländern zusammen.
Zum einen ist da Saudi-Arabien. Der Ölstaat hat seit Beginn der Klimakonferenz offenbar drei Dinge mit Blick auf Fortschritte beim Klimaschutz getan: blockiert, verzögert und abgewürgt. Das Königreich wollte nicht nur einzelne Wörter zur Kehrtwende bei klimaschädlichen Energieträgern streichen. Hinter verschlossenen Türen brachte das Königreich sogar die gesamten Verhandlungen zur Emissionsminderung zwischendurch an den Rand des Scheiterns.
Saudi-Arabien hat nach offiziellen Gesprächen zwischen den Staaten die diplomatische „Löschtaste“ zum Besprochenen gedrückt und sich dabei auf spezielle Protokollregeln berufen. Technokraten konnten wegen dieses Vorgehens nicht mit der Formulierung von Entwurfstexten beginnen – und das mehrere Tage nach Beginn der Klimakonferenz.
Heftiger Protest Großbritanniens
Zunächst verhindert wurde ein Scheitern der Gespräche zur Emissionsminderung nur durch den heftigen Protest Großbritanniens und weiterer Staaten.
Grund für die Blockadehaltung Saudi-Arabiens war dem Vernehmen nach das Ergebnis der zurückliegenden Klimakonferenz in Dubai. Damals stimmte der Ölstaat nach großem Druck am Ende der „Abkehr von fossilen Brennstoffen“ zu – und damit auch der Abkehr von der Grundlage seines heutigen Reichtums.
Zu groß war die Entschlossenheit der übrigen Nationen, den Energiewende-Beschlüssen zuzustimmen.
Heute, ein Jahr später, will das Land offenbar so tun, als habe es die COP28 nie gegeben. Für Deutschland, die Europäische Union und kleine Inselstaaten ist eine solche Kehrtwende ausgeschlossen – das hat Außenministerin Baerbock auch immer wieder deutlich gemacht.
Das Misstrauen gegen Aserbaidschan wächst
Und hier kommt Aserbaidschan ins Spiel. Das Gastgeberland hatte wie vorgesehen auch die Präsidentschaft der Klimakonferenz inne, es organisierte und führte die Verhandlungen also maßgeblich mit.
Zu den Aufgaben dieses zentralen Jobs gehört, rote Linien der beteiligten Länder zu erkennen, den Weg aus Sackgassen zu weisen und Kompromisse in sorgfältig austarierten Verhandlungsvorlagen herbeizuführen.
Am Samstag dann verschickte die COP29-Präsidentschaft an die Delegationen neue Entwurfstexte zu Fragen des Klimaschutzes. Europäische Diplomaten konnten offenbar ihren Augen kaum trauen: Die in Dubai vereinbarte „Abkehr von den fossilen Brennstoffen“ wurde nirgends genannt – zur Freude Saudi-Arabiens.
Eine rote Linie Deutschlands und Europas wurde damit wissentlich überschritten, und das während der besonders heiklen Nachspielzeit der Klimaverhandlungen. Wie konnte das sein? Nach Informationen des Tagesspiegels verdächtigen Diplomaten die COP29-Präsidentschaft wahlweise der „Inkompetenz“, der Beratungsresistenz oder auch des mangelnden Willens, ein ehrgeiziges Ergebnis herbeizuführen.
Niemand will die COP ohne ein gutes Ergebnis verlassen.
Mukhtar Babayev, COP29-Präsident
Dabei hat Aserbaidschan für die Klimakonferenz eine Beratungsfirma mit erfahrenen Leuten an der Seite gehabt – und Großbritannien und Brasilien, die den Verhandlungsführenden seit einigen Tagen zur Seite standen und unterstützen sollten. Auch deshalb wuchs die Skepsis gegenüber den Verhandlungen.

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COP29-Präsident Mukhtar Babayev sagte noch am Samstagabend vor versammelter Weltgemeinschaft in Baku: „Niemand hier will die COP ohne ein gutes Ergebnis verlassen.“ Die Augen der Welt würden auf der Klimakonferenz ruhen. Angesichts der Vorgänge im Hintergrund fiel es Beobachtenden schwer, Babayev zu glauben.
Vertreter der Inselstaaten und ärmsten Länder der Welt verließen noch am späten Samstagnachmittag unter Protest die Verhandlungen – und signalisierten, übergangen und getäuscht worden zu sein. Baerbock und der EU-Klimakommissar Wopke Hoekstra liefen den Vertretern hinterher, um sie noch umzustimmen.
Wie geht es jetzt weiter? Auf der Klimakonferenz in Brasilien im kommenden Jahr wird es um die nationalen Klimaschutzpläne gehen, die sogenannten NDCs. Diese sollen maßgeblich dazu beitragen, dass die Weltgemeinschaft beim Klimaschutz wieder auf Kurs kommt und die globale Erwärmung auf 1,5 Grad begrenzen kann.
Ärmere Länder hatten bereits im Vorfeld signalisiert: Ohne Klimafinanzierung wollen sie auch keine ehrgeizigen Klimaschutzpläne fassen und vorlegen. Gerade Menschen aus solchen Staaten könnte das Ergebnis zu denken geben: Ihre Länder brauchen gemeinsam jedes Jahr 1,3 Billionen Dollar Finanzierung von außen, um die Klimaziele zu erreichen – und damit fast zehnmal so viel wie bisher.
Delegierte und Aktivisten aus aller Welt werden nun mit dem Ergebnis der COP29 in ihre Heimatländer zurückreisen: jährliche Hilfen von 300 Milliarden Dollar für Klimaschutz und Klimaanpassung – und ein großes Fragezeichen, was die Zukunft der fossilen Energien angeht. Viele werden sich unweigerlich mit der Frage beschäftigen, wer die Verantwortung für das Ergebnis der Klimakonferenz trägt.
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