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Die überwiegende Mehrheit der Georgier will den Beitritt zur EU. Sie fühlen sich von ihrer Regierung betrogen.

© IMAGO/NurPhoto/IMAGO/Jerome Gilles

„Das Volk wird nicht aufgeben“ : Kann die Protestbewegung in Georgien einen Machtwechsel erzwingen?

Trotz drakonischer Strafen gehen die Demonstrationen gegen Georgiens Regierung weiter. Die Protestierenden riskieren viel, aber werden sie auch Erfolg haben?

Von Daniel Pelz

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Simon Janashia ist an seinem Platz. Lässig lehnt er an den Stufen zum Parlament, andere Demonstranten neben ihm blockieren den breiten Rustaveli-Boulevard im Herzen der Hauptstadt Tbilissi.

Einige tragen EU-Flaggen um die Schultern, auf der Straße wird Fußball gespielt. „Es ist wichtig, dass wir mit diesen Protesten weitermachen, damit es Druck von innen auf die Regierung gibt und die Leute, die im Knast sitzen, wissen, dass wir nicht aufhören“, sagt der 50-Jährige.

Vergangenes Jahr stand er noch mit Hunderttausenden hier, nun sind es noch einige Hunderte. Viele sind maskiert, die Gegend ums Parlament wird mit vielen Kameras überwacht.

Wer blockiert, muss kräftig zahlen

Wer demonstriert, riskiert hohe Strafen: Das illegale Blockieren einer Straße kostet 5000 Lari, umgerechnet rund 1600 Euro – mehr als der doppelte monatliche Durchschnittslohn.

Elene Devidze kann das nicht abhalten. „Freiheit für Mate Devidze“ steht auf dem Poster, mit dem sie langsam durch die Menge geht. Ihr Bruder Mate soll bei den Massenprotesten im Dezember drei Polizisten geschlagen haben, seitdem sitzt er in Haft.

Elene Devidze (l.) demonstriert für die Freilassung ihres Bruders.

© Daniel Pelz

Beweise gebe es keine, sagt Elene, der es längst um mehr als seine Freiheit geht: „Die Geschichte darf sich nicht wiederholen. Wir wollen nicht in Russland leben. Dafür sind wir bereit, weiter auf die Straße zu gehen und mit friedlichen Mitteln zu kämpfen“, sagt die 22-Jährige.

Die Geschichte darf sich nicht wiederholen. Wir wollen nicht in Russland leben.

Elene Devidze, Demonstrantin

Sätze, die auch Salome Surabischwili sofort unterschreiben würde. Im Ausland ist Georgiens Ex-Präsidentin das Gesicht des Widerstands, seit sie nach den umstrittenen Parlamentswahlen im Oktober 2024 scharfe Kritik am Sieg der Regierungspartei „Georgischer Traum“ äußerte.

Zweifel am Wahlsieg der Regierungspartei

Nach offiziellen Angaben holte diese fast 54 Prozent der Stimmen, doch auch internationale Wahlbeobachter hatten Zweifel. Seit Dezember 2024 ist Surabischwili nicht mehr im Amt, doch sie sieht sich noch immer als rechtmäßige Präsidentin und kämpft aus angemieteten Büroräumen weiter.

Georgiens frühere Präsidentin Salome Surabischwili.

© AFP/THOMAS SAMSON

„Wir wissen nicht, ob der Georgische Traum nachgeben wird, aber das georgische Volk wird nicht aufgeben“, sagt die 73-Jährige. Die Ringe um ihre Augen sind tief, doch an Schärfe haben ihre Forderungen nicht verloren.

Surabischwili fordert von der EU, eine klare Botschaft an Georgiens Regierung zu senden: „Entweder ihr haltet bis zu einem bestimmten Datum eine Neuwahl ab, dann werden wir einige Sanktionen aufheben. Wenn ihr das nicht macht, werden wir neue Sanktionen verhängen.“

Doch an Neuwahlen denkt Georgiens Regierung nicht. „Der Georgische Traum hat die Wahlen mit überwältigender Mehrheit gewonnen. Es ist Teil der Demokratie, dass die Minderheit die Mehrheit akzeptiert“, sagt Vize-Außenminister George Zurabashvili.

Staatliche Sicherheitskräfte gehen hart gegen Demonstranten vor.

© IMAGO/MAXPPP/IMAGO/Nicolas Liponne

Gewaltvorwürfe gegen die Sicherheitskräfte, wie sie zahlreiche Menschenrechtsorganisationen und Demonstranten nach den Massenprotesten im Dezember erhoben hatten, kontert der eloquente Diplomat routiniert.

Natürlich hätten Menschen das Recht, ihre Meinung friedlich auszudrücken. Aber: „Eine Regierung muss den Staat schützen. Angriffe auf Gebäude oder Fenster einzuwerfen sind nicht etwas, was irgendeine Regierung tolerieren würde. Friedliche Demonstrationen sind völlig in Ordnung.“

„Massive Krise der Menschenrechte“

Aussagen, die Menschenrechtsaktivisten in Rage bringen. „Georgien befindet sich in einer massiven Menschenrechtskrise“, sagt Tazo Kitava von der Georgischen Vereinigung junger Juristen, die verhafteten Demonstranten juristischen Beistand leistet. Die Sicherheitskräfte seien mit massiver Gewalt gegen friedliche Demonstranten vorgegangen.

300
Fälle von Folter und Misshandlungen hat die Georgische Vereinigung junger Juristen dokumentiert.

Kitavalas Organisation hat nach eigenen Angaben 300 Fälle von Folter und Misshandlungen dokumentiert. „Wir sprechen hier nicht von Einzelfällen, sondern von einer gut organisierten Operation gegen Meinungsfreiheit und politischen Dissens“, sagt Kitava.

Das wirkt sich auf die Machtverhältnisse im Land aus. „Viele, die dem Regime kritisch gegenüberstehen, sind eingeschüchtert“, sagt Sonja Schiffers vom Südkaukasus-Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Tbilissi.

Die demokratischen Kräfte in Georgien müssen sich neu orientieren und sortieren, aber noch ist nicht alles verloren.

Sonja Schiffers, Südkaukasus-Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Tbilissi

Sie rechnet mit weiteren Repressionen der Regierung, außerdem sei die Opposition derzeit völlig machtlos und ohne unverbrauchte Führungspersönlichkeiten.

„Doch der Georgische Traum wird weitere Fehler machen, was die Menschen erneut auf die Straße treiben wird. Die demokratischen Kräfte in Georgien müssen sich neu orientieren und sortieren, aber noch ist nicht alles verloren“, sagt Schiffers.

Auch Demonstrant Simon Janashia gibt die Hoffnung nicht auf. Langsam leert sich der Boulevard neben ihm, die heutige Demonstration ist vorbei.

„Wir haben sehr viel gelernt, wir haben die Welt gesehen. Die demokratische Welt ist Teil von uns und wir sind Teil von ihr“, sagt er. Morgen wird er mit großer Wahrscheinlichkeit wieder hier stehen.

Hinweis: Dieser Artikel entstand anlässlich einer Journalistenreise des katholischen Hilfswerks Renovabis nach Georgien.

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