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Die frostigen Beziehungen zwischen Berlin und Peking: „Deutschlands strategische Handlungsfähigkeit ist stark eingeschränkt“
In letzter Minute sagt Außenminister Wadephul eine China-Reise ab. Die dortige Regierung hat offenbar kein Interesse an Gesprächen. Ein Affront mit Vorgeschichte.
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Ein derart deutliches diplomatisches Zeichen hat es lange nicht gegeben: Quasi auf den letzten Drücker verschiebt Außenminister Johann Wadephul (CDU) eine seit Monaten für diesen Montag und Dienstag geplante und akribisch vorbereitete China-Reise.
Peking habe außer einem Treffen des Ministers mit seinem Kollegen Wang Yi keine hinreichenden weiteren Termine bestätigt, begründete die Sprecherin des Auswärtigen Amts in Berlin öffentlich den außergewöhnlichen Schritt.
Für die bekanntermaßen sehr auf Gesichtswahrung bedachte chinesische Führung dürfte die Verschiebung der Ministerreise einem diplomatischen Eklat sehr nahekommen.
Baerbock sorgte 2023 für einen Eklat
„Die jüngsten Interaktionen zwischen der chinesischen Regierung und dem deutschen Außenminister stellen einen diplomatischen Affront dar, der jedoch nicht überraschend kommt“, sagt Andreas Fulda, Politikwissenschaftler und China-Experte an der Universität Nottingham, dem Tagesspiegel.
Schon seit längerem sind die Beziehungen beider Länder eher frostig. So hatte die damalige Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) im September 2023 für schwerste Verärgerung in der chinesischen Staatsführung gesorgt, als sie Staats- und Parteichef Xi Jinping in einem Interview im US-Fernsehen mit einem Diktator verglich. Das Außenamt in Peking hatte damals auch die deutsche Botschafterin einbestellt.
Und auch die Reiseroute von Xi Jinping während seiner Europareise 2024, die Frankreich, Serbien und Ungarn umfasste, jedoch Deutschland aussparte, „deutet auf eine veränderte Prioritätensetzung der chinesischen Führung hin“, sagt der Experte. „Dies könnte ein Indikator dafür sein, dass Deutschland in der strategischen Ausrichtung Chinas derzeit eine weniger prominente Rolle einnimmt.“
Es gebe ein Ungleichgewicht, denn Deutschland sei durch wirtschaftliche Verflechtungen stark von China abhängig. „Während deutsche Akteure oft glauben, ihre Interessen autonom zu vertreten, wird ihr Handeln in Wirklichkeit durch strategischen Entscheidungen Pekings erheblich beeinflusst“, sagt Fulda.
Deutschland fällt es schwer, eine selbstbewusste Haltung gegenüber China einzunehmen.
Andreas Fulda, Politikwissenschaftler und China-Experte an der Universität Nottingham
„Die Sorge vor möglichen Vergeltungsmaßnahmen aus China, gepaart mit einer politischen Passivität in Berlin, hat Deutschlands strategische Handlungsfähigkeit stark eingeschränkt.“ Die aktuelle Episode rund um Wadephul „unterstreicht diese Dynamik und zeigt, wie schwierig es Deutschland fällt, eine selbstbewusste Position gegenüber China einzunehmen“.
In vielen Punkten herrscht zwischen beiden Ländern Uneinigkeit. Da ist etwa Chinas Rolle im seit mehr als dreieinhalb Jahre andauernden russischen Angriffskrieg auf die Ukraine. In Berlin gilt es als offenes Geheimnis, dass Moskau den Krieg gegen seinen Nachbarn ohne Unterstützung aus Peking etwa durch sogenannte Dual-Use-Güter, die sowohl zivil als auch militärisch eingesetzt werden können, kaum so lange durchhalten würde. Ganz zu schweigen davon, dass China zu den größten Abnehmern von russischem Öl gehört und so die Kriegskasse von Kremlchef Wladimir Putin füllt.

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Wadephul hätte in Peking sicher auch die Probleme der deutschen Wirtschaft adressiert – den Unternehmen bereiten Handelsbeschränkungen vor allem in den Bereichen seltene Erden und der Halbleiter große Sorgen.
Nicht ausgeschlossen, dass auch eine Äußerung aus China vom Vormittag in Berlin sauer aufgestoßen ist. China fordere Deutschland auf, eine klare und entschiedene Haltung gegen jegliche Aktivitäten für eine Unabhängigkeit Taiwans einzunehmen und das Ein-China-Prinzip strikt einzuhalten, sagte Außenamtssprecher Guo Jiakun. Die Wahrung des Status quo in der Region zu fordern, ohne dabei eine Unabhängigkeit Taiwans abzulehnen, komme einer Unterstützung „taiwanischer Unabhängigkeits-Aktivitäten“ gleich.
Nach dem Ein-China-Prinzip erkennen die meisten Staaten offiziell nur die Volksrepublik China und nicht den unabhängig regierten Inselstaat Taiwan an. So auch Deutschland. Peking betrachtet Taiwan als Teil seines Territoriums. Doch dass China fordert, man solle die Unabhängigkeit Taiwans klar ablehnen – das dürfte dann in Berlin doch als neue und weitgehende Forderung wahrgenommen worden sein.
Wadephul hatte China in den vergangenen Monaten immer wieder auch für Drohungen aus Peking kritisiert, den Status quo in der Meerenge zwischen Taiwan und China einseitig verändern zu wollen. Zudem hatte er Peking vorgehalten, in der Indopazifikregion immer aggressiver vorzugehen. (mit dpa)
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