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Erfolge von extrem Rechten und Linken: Wie sie das Nullsummen-Spiel vorantreiben
Der wachsende Populismus nutzt den Glauben aus, dass der Wohlstand einer Gruppe auf Kosten einer anderen steigt. Dagegen helfen robustes Wachstum und Chancen für die Jugend.
Stand:
Die wachsende Unterstützung für die rechtsextreme Alternative für Deutschland (AfD) schürt die Sorge, dass Deutschland auf seine tiefste politische Krise seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs zusteuert. Anfang des Jahres kam die AfD in Umfragen sogar bundesweit auf 22 Prozent.
Zwar konnte der Durchmarsch des rechtsextremen Rassemblement National (RN) bei den Wahlen in Frankreich nun gerade noch verhindert werden, doch der Erfolg extremistischer Parteien auch bei der Europawahl oder dem schockierenden Wahlsieg des Rechtspopulisten Geert Wilders in den Niederlanden 2023 lassen mittlerweile viele Deutsche fürchten, der politische Aufstieg der extremen Rechten könnte unaufhaltsam sein.
Die wachsende Unterstützung für Parteien wie die AfD in ganz Europa wird oft auf den öffentlichen Ärger über Einwanderung und Covid-19-Sicherheitsprotokolle wie Lockdowns, Maskenpflicht und Impfstoffe zurückgeführt. Die Regierungen werden auch verantwortlich gemacht, dass ein zu schneller Übergang zu grüner Energie möglicherweise einige der ärmeren Bevölkerungsgruppen schädigen könnte.
Eine Studie der Harvard Universität stellt allerdings eine andere These auf: Demnach könnte der Aufstieg von linken und rechten populistischen Parteien durch einen breiteren gesellschaftlichen Wandel hin zu einem sogenannten nullsummenorientierten Denken getrieben sein.
Nullsummen-Denken: Wenn eine Gruppe gewinnt, verliert eine andere
Nullsummen-Denken ist der Glaube, dass eine Gruppe nur gewinnt, wenn eine andere Gruppe verliert. Politischer Populismus, Online-Verschwörungstheorien und nationalistische Gefühle haben alle ihre Wurzeln im Glauben, dass eine Gruppe auf Kosten anderer gewinnt – sei es eine globale Elite, der „tiefe Staat“ oder Menschen aus anderen Ländern.
Es überrascht nicht, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen Nullsummen-Denken und der Unterstützung für wirtschaftliche Umverteilung und gegen Migranten gerichtete Bewegungen.
Nullsummen-Denker gehen davon aus, dass der zunehmende Wohlstand der Reichen auf Kosten der weniger Glücklichen entsteht. Sie erwarten deshalb, dass die Regierung eingreift.
Im Gegensatz dazu glauben Menschen mit einem positiven summenorientierten Denkansatz, dass alle profitieren, wenn die Reichen reicher werden – eine steigende Flut hebt alle Boote. Ähnlich betrachten Nullsummen-Denker Einwanderung oft als grundsätzlich schädlich für inländische Bürger. Das veranlasst sie dazu, restriktivere Politiken zu unterstützen.
Was treibt dieses Denken? Solche Gefühle herrschen tendenziell in Zeiten wirtschaftlicher Stagnation vor, wenn Ressourcen knapp sind. Im Gegensatz dazu sind Gesellschaften, die robustes wirtschaftliches Wachstum und eine größere soziale Mobilität erleben, deutlich weniger geneigt, die politische Ökonomie in diesen Kategorien zu betrachten.
Dies könnte den jüngsten starken Anstieg der Unterstützung für die AfD erklären. Wie andere europäische Volkswirtschaften hatte sich Deutschland nur mäßig von der globalen Finanzkrise von 2008 erholt, bevor es hart von der Pandemie und der Energiekrise getroffen wurde.
Vor allem junge Deutsche blicken pessimistisch in die Zukunft
Interessanterweise neigen jüngere Menschen eher zu diesem Denken als ältere. Diese Tendenz ist eng mit den wirtschaftlichen Bedingungen verbunden: Wenn junge Menschen begrenzte Berufsaussichten haben und wenig Chancen auf soziale Aufstiegsmöglichkeiten sehen, neigen sie eher zu einer nullsummenorientierten Denkweise.
Junge Menschen heute haben viel eher demotivierende Ansichten – etwa den Glauben, dass Erfolg stärker von Glück und Beziehungen abhängt als von Anstrengung. Dies trifft insbesondere auf Deutschland zu, das eine der niedrigsten Raten an sozialer Mobilität in der OECD hat.
Die wirksamsten Mittel gegen Populismus bleiben robustes wirtschaftliches Wachstum, viele Chancen für junge Menschen und ein hoher Grad an sozialer Mobilität.
Dalia Marin, Professorin für internationale Wirtschaft
Bezeichnenderweise neigen ältere Deutsche, die in ihren prägenden Jahren von den Früchten des Nachkriegsbooms profitierten, eher zu pro-Wachstums-Politiken als zu Umverteilung.
Der Trendstudie „Jugend in Deutschland 2024“ zufolge nimmt das Nullsummen-Denken bei jungen Menschen in Deutschland zu: 22 Prozent der 14- bis 29-Jährigen geben an, dass sie bei einer Bundeswahl heute die AfD wählen würden. 2022 waren es nur 9 Prozent.
Folgen dieses Wandels bleiben unklar
Die politischen Folgen dieses Wandels bleiben unklar. Die AfD, die sowohl gegen Zuwanderung als auch gegen Umverteilung ist, passt nicht genau in diese Kategorie. Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) jedoch zielt darauf ab, konsequent von nullsummenorientierten Gefühlen zu profitieren.
BSW ist gegen Einwanderung, für Umverteilung und lehnt wirtschaftliche und militärische Unterstützung für die Ukraine ab. Sie steht bereit, Wähler von der AfD abzuziehen und deren Aufstieg zu bremsen.
Die wirksamsten Mittel gegen Populismus bleiben robustes wirtschaftliches Wachstum, viele Chancen für junge Menschen und ein hoher Grad an sozialer Mobilität. Wenn es Deutschland nicht gelingt, das Nullsummen-Denken zu überwinden und seine Jugend neu zu motivieren, könnten weniger Innovation und langsames Wachstum langfristig erheblichen wirtschaftlichen Schaden verursachen.
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