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Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock sitzt im UN-Sicherheitsrat neben ihrem Kollegen aus Armenien, Ararat Mirsojan.

© dpa/Michael Kappeler

„Ethnische Säuberungen in Bergkarabach“: Armenien greift Aserbaidschan im UN-Sicherheitsrat scharf an

Armenien spricht von Hunderten Toten und Zehntausenden Vertriebenen durch den Angriff Aserbaidschans in der Kaukasusregion. Baku verteidigt den Angriff als legitim.

Nach der Eroberung der von Armeniern bewohnten Region Berg-Karabach durch Aserbaidschan haben sich beide Länder vor dem UN-Sicherheitsrat schwere Vorwürfe gemacht. „Die Intensität und Grausamkeit der Offensive macht deutlich, dass die Absicht darin besteht, die ethnische Säuberung der armenischen Bevölkerung von Berg-Karabach abzuschließen“, warf Armeniens Außenminister Ararat Mirzoyan (Bild rechts) der Regierung in Baku vor.

Aserbaidschans Außenminister Jeyhun Bayramo bezeichnete das Vorgehen in der Dringlichkeitssitzung in New York am Donnerstag (Ortszeit) als „Anti-Terror-Maßnahme“. Das autoritär geführte Aserbaidschan hatte am Dienstagmorgen einen breit angelegten Militäreinsatz zur Eroberung Berg-Karabachs begonnen. Die Region liegt zwar auf aserbaidschanischem Staatsgebiet, wird aber mehrheitlich von Armeniern bewohnt.

Mirzoyan zufolge gab es bislang mehr als 200 Tote und 400 Verwundete, darunter Zivilisten, Frauen und Kinder. Mehr als 10.000 Menschen seien gewaltsam vertrieben worden, darunter Frauen, Kinder und ältere Menschen, die ohne Nahrung und andere Lebensmittel im Freien leben müssten.

Was die Menschen in der Region brauchen, ist ein dauerhafter Frieden zwischen Aserbaidschan und Armenien. Und das kann nur am Verhandlungstisch erreicht werden.

Annalena Baerbock, deutsche Außenministerin

Tausende Familien seien getrennt worden. Die Lage sei seit längerem alarmierend gewesen. Die internationale Gemeinschaft habe sich aber geweigert, die Alarmzeichen ernst genug zu nehmen.

Der UN-Sicherheitsrat habe in der Vergangenheit nicht angemessen reagiert, beklagte der armenische Minister – nun müsse er endlich handeln. „Die Rechte und die Sicherheit des armenischen Volkes von Berg-Karabach müssen angemessen berücksichtigt und international garantiert werden“, verlangte Mirzoyan.

Aserbaidschans Außenminister Bayramov hielt dagegen: „Was Armenien der internationalen Gemeinschaft als Angriff auf friedliche Bewohner der Region Karabach in Aserbaidschan darzustellen versucht, sind in Wirklichkeit Anti-Terror-Maßnahmen Aserbaidschans“, sagte er.

Es gebe Tausende Einheiten Armeniens in Region. Diese seien mit schweren Waffen wie Panzern und anderen gepanzerten Fahrzeugen, Artilleriegeschützen, Mehrfachraketenwerfern, Mörsern sowie elektromagnetischen Waffen ausgestattet.

Diese Truppen hätten die Streitkräfte Aserbaidschans immer wieder beschossen, ihre Kampfstellungen befestigt sowie Schützengräben und Militärunterkünfte gebaut, sagte der Außenminister weiter.

Das autoritär geführte Aserbaidschan hatte am Dienstagmorgen einen breit angelegten Militäreinsatz zur Eroberung Berg-Karabachs begonnen. 
Das autoritär geführte Aserbaidschan hatte am Dienstagmorgen einen breit angelegten Militäreinsatz zur Eroberung Berg-Karabachs begonnen. 

© AFP/Paz Pizzaro und Robin Bjalon

Bayramov hielt Fotos hoch, die seine Worte untermauern sollten. In der Folge sei es zum Angriff auf diese gekommen, wobei innerhalb von 24 Stunden mehr als 90 Außenposten, 20 Kampffahrzeuge, 40 Artilleriegeschütze, 30 Mörser und zwei Flugabwehrraketensysteme zerstört worden seien. Armenien allein trage die Verantwortung für die Vorfälle.

Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) verlangte eine Deeskalation: „Was die Menschen in der Region brauchen, ist ein dauerhafter Frieden zwischen Aserbaidschan und Armenien. Und das kann nur am Verhandlungstisch erreicht werden“.

Baerbock, die sich wegen der UN-Generaldebatte in New York aufhielt, warnte davor, die armenische Demokratie zu destabilisieren und forderte eine vollständige Einstellung der Militäraktionen. Man habe zwar die Berichte über einen Waffenstillstand zur Kenntnis genommen. „Was wir aber brauchen, ist ein völliges Ende der Gewalt.“ Aserbaidschan trage die Verantwortung, die Zivilbevölkerung von Berg-Karabach zu schützen.

Baerbock warnt vor Vertreibung von Armeniern

Eine Vertreibung oder erzwungene Abwanderung ethnischer Armenier aus Berg-Karabach sei nicht akzeptabel. Zugleich dürfe die territoriale Integrität und Souveränität Armeniens und Aserbaidschans nicht infrage gestellt werden.

Aus deutschen Delegationskreisen in New York verlautete, es sei bedauerlich, „dass Ungarn als einziger Mitgliedstaat nicht bereit war, eine gemeinsame EU-Erklärung mitzutragen und diese blockiert hat.“ Es habe Diskussionen über Sanktionen gegeben, zu denen Deutschland durchaus bereit gewesen wäre.

Die Vereinten Nationen mahnten in der Sicherheitsratssitzung einen „echten Dialog zwischen der Regierung Aserbaidschans und Vertretern der Region“ an. Oberste Priorität habe der Schutz der Zivilbevölkerung.

Am Mittwoch hatten sich die Führung in Baku und die proarmenischen Kämpfer nach dem aserbaidschanischen Militäreinsatz in Berg-Karabach auf eine Waffenruhe geeinigt. Der nun gebrochene Widerstand der proarmenischen Kräfte in Berg-Karabach wird als bedeutender Sieg für Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew gedeutet.

Russlands Vize-UN-Botschafter Dmitri Poljanski sagte, nun müsse „eine Wiederaufnahme der Kämpfe zu verhindert und die Situation wieder in eine politische Richtung gelenkt“ werden. Die Präsidenten von Aserbaidschan und Armenien, Ilham Alijew und Wahagn Chatschaturjan, hätten sich in Telefonaten mit Kremlchef Wladimir Putin zu einer Deeskalation verpflichtet.

Die beiden ehemals sowjetischen Länder Armenien und Aserbaidschan kämpfen seit Jahrzehnten um Berg-Karabach. Die Waffenruhe nach dem letzten Krieg im Jahr 2020, in dem das durch Gas- und Öleinnahmen hochgerüstete Aserbaidschan bereits große Teile Karabachs erobert hatte, wurde immer wieder gebrochen. (dpa, AFP)

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