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Österreichs Bundespräsident van der Bellen will am Montag mit FPÖ-Chef Kickl über eine Regierungsbildung sprechen.

© AFP/ALEX HALADA

Update

Gespräche über Regierungsbildung in Österreich: Darum führt kaum ein Weg an der FPÖ vorbei

Nach dem Scheitern der Koalitionsgespräche wollen Bundespräsident van der Bellen und die konservative ÖVP mit der rechtspopulistischen FPÖ sprechen.

Stand:

In Österreichs Politik führt nach den gescheiterten Koalitionsverhandlungen derzeit kaum ein Weg an der rechtspopulistischen FPÖ und ihrem Parteivorsitzenden Herbert Kickl vorbei.

Das wurde am Sonntagnachmittag bei einem Auftritt des österreichischen Bundespräsidenten, Alexander van der Bellen, deutlich.

Die FPÖ ist geschlossen und über eigene Kanäle gut aufgestellt – etwa FPÖ-TV und Social Media. Ihre Themen wie Arbeitsplätze, Zuwanderung und Terror spielen ihr in die Hände.

Kathrin Stainer-Hämmerle, Politik- und Rechtswissenschaftlerin an der Fachhochschule Kärnten

Der 82-Jährige kündigte an, am Montag mit Kickl über eine Regierungsbildung sprechen zu wollen, er habe am Sonntag bereits mit ihm telefoniert. Das Gespräch soll am heutigen späten Vormittag stattfinden.

Koalitionsverhandlungen mit FPÖ – oder Neuwahlen

Zudem sagte der 82-Jährige, dass der bisherige Bundeskanzler Karl Nehammer noch bis kommende Woche im Amt bleiben werde. Danach solle ein anderer Kanzler die Geschäfte der noch aktiven Übergangsregierung übernehmen.

Was van der Bellen, der Kickl als Kanzler eigentlich ablehnt, von einer neuen Regierung erwartet, machte er bereits in der Vergangenheit deutlich: Respektierung des Rechtsstaates, der Menschen- und Minderheitenrechte sowie unabhängige Medien und die EU-Mitgliedschaft. Mit all dem hat die FPÖ Probleme, zudem ist sie äußerst Russland-freundlich.

Doch tat sich am Sonntag direkt eine Koalitionsoption für die FPÖ auf. Der Interimsvorsitzende der ÖVP und bisherige Generalsekretär Christian Stocker sagte, dass seine Partei zu Verhandlungen mit der rechten FPÖ über eine Regierungskoalition bereit sei.

Die ÖVP wolle solche Gespräche führen, wenn sie dazu eingeladen werde, sagte er. Der 64-Jährige war zumindest bislang ein scharfer Gegner von Kickl und FPÖ.

Kickl selbst gab sich im Vorfeld des Treffens eher vage. „Manches scheint heute um einiges klarer zu sein als in den letzten Tagen, manches liegt noch im Ungewissen“, schrieb Kickl auf Facebook. Zugleich hielt er mit Blick auf die jüngsten dramatischen Entwicklungen fest: „Uns trifft keine Verantwortung für verlorene Zeit, für chaotische Zustände und den enormen Vertrauensschaden, der entstanden ist.“

Die jüngsten Entwicklungen sind die Folge der gescheiterten Koalitionsverhandlungen in Österreich. Nach dem Rücktritt von Bundeskanzler Karl Nehammer und dem Platzen der Koalitionsgespräche mit der SPÖ herrschte zunächst völlige Konfusion.

Nehammer hatte am Samstagabend seinen Abgang als Regierungschef und als Vorsitzender der konservativen ÖVP verkündet.

Zwei Szenarien wurden am Sonntag gehandelt: Die äußerst rechte FPÖ und deren Parteichef Herbert Kickl treten in Verhandlungen mit der ÖVP. Das erscheint nach der Aussage des designierten ÖVP-Chefs Stocker wahrscheinlich.

Denkbar ist derzeit allerdings auch, dass Neuwahlen eingeleitet werden, auch wenn Österreich erst am 29. September vergangenen Jahres gewählt hatte.

Die FPÖ war mit 28,8 Prozent stärkste Partei geworden. Schwere Verluste gab es für die ÖVP mit 26,3 Prozent, auch die SPÖ büßte mit 21,1 Prozent Stimmen ein.

Mit Blick auf Neuwahlen meint die Politik-Professorin Kathrin Stainer-Hämmerle gegenüber dem Tagesspiegel, dass es sehr wahrscheinlich sei, dass die FPÖ dann noch besser abschneidet.

„Die FPÖ ist geschlossen und über eigene Kanäle gut aufgestellt – etwa FPÖ-TV und Social Media. Ihre Themen wie Arbeitsplätze, Zuwanderung und Terror spielen ihr in die Hände.“

Auch greife sie die hohe Unzufriedenheit und Unsicherheit in der Bevölkerung auf und habe erfolgreich ein „Anti-Establishment-Narrativ“ entwickelt. „ÖVP und SPÖ hingegen sind zerrissen und wirken strategisch orientierungslos.“

Bis in die Nacht zum Freitag hatten ÖVP und SPÖ noch mit den kleinen liberalen Neos über ein Dreier-Bündnis verhandelt. Dann war Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger ausgestiegen mit der Begründung, die beiden anderen Parteien wollten den Haushalt nicht entschieden genug konsolidieren und hielten an vielen alten Pfründen fest.

ÖVP und SPÖ wollten es alleine versuchen – und scheiterten

Am Samstag wollten es ÖVP und SPÖ alleine versuchen. Im Nationalrat hätten sie eine hauchdünne Mehrheit von einer Stimme.

Nach wenigen Stunden verkündete Kanzler Nehammer allerdings: „Eine Einigung ist in wesentlichen Kernpunkten nicht möglich, so hat es keinen Sinn für eine positive Zukunft Österreichs.“

Den ganzen Samstagabend bis spät in die Nacht wurde dann die Schuld am Platzen der Verhandlungen dem jeweils anderen zugeschoben. SPÖ-Chef Andreas Babler behauptete, mit Nehammer hätte man schon ein Ergebnis erzielen können.

Die Positionen erwiesen sich letztlich als schwer vereinbar. Die ÖVP lehnte zusätzliche Steuern ab, während die SPÖ Kürzungen in Bereichen wie Pensionen, Gesundheit und Bildung vermeiden wollte.

Julia Partheymüller, Politikwissenschaftlerin am Institut für Staatswissenschaft der Universität Wien.

Allerdings hätten die Wirtschaftskreise innerhalb der ÖVP die Gespräche mit immer neuen Forderungen torpediert. Deren Ziel sei es nämlich, ein Bündnis mit der FPÖ zu schmieden. Die SPÖ wiederum habe, sagte Babler, „bis zuletzt Lösungen angeboten“.

Von Seiten der ÖVP hörte sich das komplett anders an: Man habe leider mit verschiedenen Gruppen der SPÖ verhandelt – mit Gemäßigten, aber auch mit jener um den weit links aufgestellten Chef Andreas Babler.

Immer wieder seien neue Forderungen aufgekommen. Im Wahlkampf hatte die SPÖ unter anderem eine Erbschaftssteuer für Reiche, die Erhöhung der Vermögenssteuer für Millionäre sowie die Heranziehung der Gewinne der Banken verlangt, um die Finanzmisere anzugehen.

Die Verhandlungsstreitigkeiten präzisiert Julia Partheymüller vom Institut für Staatswissenschaft der Uni Wien: „Die Hauptschwierigkeit bei den Verhandlungen war, Kompromisse zur Schließung des beträchtlichen Budgetlochs zu finden“, sagt sie.

„Die Positionen erwiesen sich letztlich als schwer vereinbar. Die ÖVP lehnte zusätzliche Steuern ab, während die SPÖ Kürzungen in Bereichen wie Pensionen, Gesundheit und Bildung vermeiden wollte.“

Unterdessen sieht sich die FPÖ in ihrer bisherigen Fundamentalkritik an der „Verlierer-Ampel“ bestärkt. Herbert Kickl meint, Nehammer und Babler stünden nun „vor den Trümmern ihrer Kickl-Verhinderungsstrategie“. Karl Nehammer habe „auf Kosten Österreichs experimentiert, nur um seinen Job behalten zu können“. 

In der ÖVP ist nun erneut die Personalie Sebastian Kurz als neuer maßgeblicher Politiker ins Spiel gebracht worden – was für politische Beobachter eigentlich als undenkbar galt.

Der mittlerweile 38-jährige einstige Kanzler und beliebte Sonnyboy hatte die politische Bühne im Oktober 2021 im Zuge der sogenannten Inseratenaffäre verlassen.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt weiterhin. Jetzt hat Kurz vorerst abgewunken und erklären lassen, dass er nicht als Vize-Kanzler in einem Bündnis mit der FPÖ zur Verfügung stehe. Weitere Planungen für ein Comeback hält er damit aber offen.

Dass sich die Parteien der gescheiterten Koalitionsverhandlungen doch noch irgendwie zusammenraufen, um eine Beteiligung der FPÖ an der Regierung zu verhindern, glaubt Kathrin Stainer-Hämmerle nicht.

„Sollten sich ÖVP und SPÖ wieder zusammen an einen Tisch setzen, wäre ihre Glaubwürdigkeit wohl endgültig verspielt“, sagt sie. „Was hätte dann diese tagelange Aufregung für einen Sinn gehabt?“ 

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