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In Sunderland brennt ein Auto.

© REUTERS/@whatsthecracklike

Update

Großbritannien außer Kontrolle: Schwere Krawalle werden zum ersten Test für den neuen Premier

In zahlreichen britischen Städten kommt es zu Gewalt zwischen Migrations-Gegnern, Gegendemonstranten und der Polizei. Ein Angriff auf den Rechtstaat?

Stand:

Plötzlich sieht sich der Polizist von Randalierern umstellt. Er versucht seine schwere Maschine zu wenden, verliert dabei die Balance, Mann und Motorrad landen auf der Straße – und sofort attackiert die Meute den kurzzeitig Wehrlosen mit Schlägen und Fußtritten. Kurz darauf befreit ein Dutzend Beamte mit Helmen und Schildern den Kollegen aus seiner prekären Lage.

Das Stadtzentrum von Liverpool am Samstagnachmittag: Hunderte weißer junger Männer, die meisten vermummt, liefern sich immer wieder kurzzeitige Gefechte mit der Polizei, werfen Pflastersteine, Bierflaschen und Feuerwerkskörper.

Das Szenario wiederholt sich in einem knappen Dutzend anderer Städte Englands, von Manchester über Stoke-on-Trent und Bristol bis Hull.

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Mit dem Kinderwagen zum „Krawall“-Spaziergang

In Sunderland mischen sich Familien mit Kindern in Buggies unter die Demonstranten; solche „Krawall-Spaziergänge“ erschwerten den Sicherheitskräften die Arbeit erheblich. Auch in Liverpool muss die Polizei Passanten im Stadtzentrum dringend dazu raten, das Feld zu räumen.

Seit Anfang vergangener Woche erschüttern gewalttätige Krawalle englische Innenstädte. Die Gewalttäter steckten Polizeiautos in Brand und griffen immer wieder Moscheen an. Experten zufolge werden die Ausschreitungen von bekannten Rechtsextremisten wie dem verurteilten Straftäter Tommy Robinson und dessen Leuten koordiniert.

„Angriff auf den Rechtsstaat“

Es handele sich um „einen Angriff auf den Rechtsstaat“, hat Labour-Premier Keir Starmer, der an diesem Montag seit genau einem Monat amtiert, gesagt und harte Konsequenzen angekündigt.

Landesweit müssen Polizisten auf freie Tage verzichten, dadurch stehen 4000 zusätzliche Beamte zur Verfügung. Die Gerichte bereiten sich auf Zusatzschichten vor, um mit der rasant wachsenden Zahl von Festgenommenen – bis Sonntag waren es der Polizei zufolge landesweit mehr als 150 Menschen, darunter 13-jährige Kinder – kurzen Prozess zu machen.

Kommt das Unterhaus aus dem Urlaub zurück?

Schon sitzen nach Straftaten in Hartlepool und Southend erste Hooligans in Haft. Ihnen wird Brandstiftung, schwerer Landfriedensbruch und Widerstand gegen die Staatsgewalt, in einem Fall sogar versuchter Mord, zur Last gelegt.

Sie werde „gewalttätige Ausschreitungen und Plünderungen auf unseren Straßen“ nicht dulden, bekräftigte Innenministerin Yvette Cooper am Samstag nach einem Treffen mit Starmer. Offenbar wird auch ein Rückruf des Unterhauses aus dem Sommerurlaub in Erwägung gezogen, um politische Handlungsfähigkeit zu demonstrieren.

Premier Keir Starmer bei einer Pressekonferenz nach den Bluttaten von Southport. Dort hatte ein junger Mann drei Mädchen getötet.

© AFP/Henry Nicholls

Die Mobilisierung für die unangemeldeten Demonstrationen geschieht online mit Slogans wie „Jetzt ist es genug“ (enough is enough) und „Schützt unsere Kinder!“ – eine Anspielung auf den Amoklauf in der Stadt Southport, 30 Kilometer nördlich von Liverpool, am vergangenen Montag.

Dort hatte ein knapp 18-Jähriger Brite mit ruandischem Migrationshintergrund eine Tanz- und Yogagruppe gestürmt, drei Mädchen im Alter von sechs, sieben und neun Jahren ermordet und acht weitere Kinder sowie zwei Erwachsene teils schwer verletzt. Der mutmaßliche Täter sitzt in Haft, sein Motiv bleibt unklar.

Soziale Medien verbreiten Falschmeldungen

Die schreckliche Bluttat nutzten rechtsextreme Agitatoren auf Plattformen wie Telegram, TikTok und X zur Verbreitung von Falschmeldungen: Der Täter sei Muslim und „illegal“ ins Land gekommen. Prompt belagerten Protestierer in Hull ein Asylhotel in der Stadt, warfen Fenster ein und skandierten: „Stop the boats“.

Die Plattformen könnten sofort reagieren, doch fehlt ihnen der Wille dazu.

Sunder Katwala, Thinktank British Future

„Stop the boats“ – das war das Versprechen der abgewählten Tory-Regierung, die jahrelang die Hysterie über Migranten geschürt hatte. Er werde den gefährlichen Überfahrten in Schlauchbooten über den Ärmelkanal Einhalt gebieten, beteuerte Ex-Premier Rishi Sunak dauernd.

Hier bleibt es friedlich: Protest gegen Migranten nahe einem Asylbewerberheim ins Aldershot. In Rotherham wurde am Sonntag eine Flüchtlingsunterkunft angegriffen.

© AFP/JUSTIN TALLIS

Hingegen dürften in diesem Jahr an die 50.000 Menschen auf diesem Weg auf die Insel kommen. Während die Torys zuletzt gegen alle Regeln des Völkerrechts die Asyl-Prüfung verweigerten, hat Labour eine Rückkehr zu ordentlichen Verfahren und Abschiebungen angekündigt.

Dauerthema Migration

Das Unbehagen über die starke Immigration versuchte schon Sunaks Vorgänger David Cameron 2010 aufzunehmen, indem er die „Netto-Einwanderung“ auf unter 100.000 Menschen zu drücken versprach.

50.000
Migranten kommen voraussichtlich 2024 über den Ärmelkanal ins Land

Abgesehen davon, dass die Regierung keinen Einfluss darauf hat, wie viele Briten und Ausländer das Land auf Dauer verlassen: Die „Netto-Einwanderung“ lag in jedem Jahr konservativer Regierung bei mehreren Hunderttausenden und ist seit dem EU-Austritt, für den sich die Briten nicht zuletzt aus Angst vor weiterer Immigration entschieden, nochmals sprunghaft angestiegen. Im vergangenen Jahr lag sie bei 685.000 Menschen.

Konsequenzen dürfte der Krawallsommer für die sozialen Medien haben. Ein Gesetz der Vorgängerregierung zur Online-Sicherheit enthält keinen Passus zu Fake News. Dabei trügen die Plattformen eine Mitverantwortung, glaubt Premier Starmer, wenn auf „ihrem Gelände zu Straftaten aufgerufen“ wird.

Rechtsextreme Organisationen wie Robinsons English Defence League (EDL) sind nach zeitweiligem Verbot wieder auf X aktiv, X-Boss Elon Musk verbreitete sogar eine Nachricht von Robinson persönlich weiter. Sunder Katwala vom Thinktank British Future ist sicher: „Die Plattformen könnten sofort reagieren, doch fehlt ihnen der Wille dazu.“

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