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Die meisten illegalen Migranten erreichen Großbritannien über den Ärmelkanal.

© dpa/Gareth Fuller

Großbritannien will Asylregeln drastisch verschärfen: „Das könnte zu einer Art Wettlauf nach unten führen“

Die britische Labour-Regierung will im Kampf gegen irreguläre Migration durchgreifen. Wie sehen die Pläne aus – und was könnte das für Europa bedeuten?

Stand:

Die britische Labour-Regierung plant die größte Asylreform seit Jahrzehnten. Erklärtes Ziel ist es, die Zahl illegal einwandernder Menschen deutlich zu reduzieren.

„Dieses Land hat eine stolze Tradition, diejenigen willkommen zu heißen, die vor Gefahr fliehen“, erklärte Innenministerin Shabana Mahmood am Sonntag. „Aber diese Großzügigkeit zieht illegale Migranten über den Ärmelkanal an.“ So würden Menschen Europa durch „sichere Länder“ durchqueren und sich dann über den Ärmelkanal auf den Weg nach Großbritannien machen.

Die britische Innenministerin Shabana Mahmood erklärte ihren Plan am Sonntag in einem TV-Interview.

© REUTERS/Jeff Overs/BBC

„Ich werde Großbritanniens Goldenen Pass für Asylsuchende abschaffen“, kündigte Mahmood an, denn „illegale Migration zerreißt dieses Land“. Vorbild sei die strenge Asylpolitik Dänemarks.

Gleichzeitig sollen aber auch neue Wege der legalen Zuwanderung geschaffen werden.

Welche Änderungen im Asylsystem sind geplant?

Mahmood will unter anderem die 2005 – also 15 Jahre vor dem Brexit – unter EU-Recht eingeführte staatliche Pflicht zur Unterstützung von Asylbewerbern abschaffen.

Seit Monaten gibt es immer wieder große Proteste in Großbritannien gegen irreguläre Migration.

© REUTERS/JACK TAYLOR

Wer prinzipiell in Großbritannien arbeiten und seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten kann, es aber dennoch nicht tut, würde gemäß der geplanten Reform seinen gesetzlich garantierten Anspruch auf Unterbringung und finanzielle Beihilfen verwirken. Gleiches soll für Asylbewerber gelten, die Gesetze brechen.

Zudem soll der Status als Flüchtender nun künftig regelmäßig überprüft und widerrufen werden, wenn das Herkunftsland als sicher eingestuft wird.

Der Status eines Flüchtenden soll der Ministerin zufolge künftig alle zweieinhalb Jahre überprüft werden. Eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung soll es erst nach 20 Jahren geben. Bislang war dies nach fünf Jahren der Fall.

Wie sehen die Zahlen zur irregulären Migration in Großbritannien aus?

Bis Juni dieses Jahres sind nach offiziellen Angaben 49.341 Menschen illegal nach Großbritannien gekommen. Das ist ein Anstieg von 27 Prozent verglichen mit dem Vorjahr. Die überwiegende Mehrheit erreicht das Land über Gummiboote von Frankreich aus über den Ärmelkanal.

Zwischen Juni 2024 und Juni 2025 wurden 111.000 Asylanträge gestellt, 14 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum.

In Deutschland wurden durch die Bundespolizei bei Ende September 47.552 unerlaubte Einreisen registriert. 2024 wurden rund 250.000 Asylanträge gestellt.

Gibt es auch andere Gründe für die Verschärfung?

Die Labour-Regierung um Premier Keir Starmer steht seit Monaten in Umfragen schlecht da, deutlich hinter der rechtspopulistischen Reform UK von Nigel Farage. „Die angekündigte Reform spiegelt den öffentlichen Druck auf Labour, in Bezug auf Einwanderung streng zu erscheinen“, sagt die Migrationsforscherin Marta Welander dem Tagesspiegel.

Im Sommer hatte es mehrfach große Demonstrationen gegen irreguläre Migration und die Politik der Regierung gegeben. Darauf folgt nun die Reaktion. „Der politische Spielraum bei diesem Thema ist in Großbritannien inzwischen so eng geworden, dass eben auch eine Mitte-Links-Regierung gezwungen ist, eine derart restriktive Position zu beziehen“, sagt Welander.

Warum gilt das dänische Modell als vorbildhaft?

Dänemarks Asylpolitik gilt als strengste Europas. Aufenthaltsgenehmigungen sind grundsätzlich befristet, Leistungen für Asylbewerber gekürzt. Die Zahl der Abschiebungen abgewiesener Asylbewerber wurden in den vergangenen Jahren deutlich erhöht, auch die Regeln für den Familiennachzug verschärft. Die Zahl der Asylanträge ist dadurch auf das niedrigste Niveau seit 40 Jahren gefallen.

Expertin Michelle Pace von der Universität Roskilde aber warnt davor, sich nur auf Zahlen zu fokussieren und das dänische Modell damit als Erfolg zu beurteilen. „Wir reden über Frauen, wir reden über Kindern und unsere Politik und Regierungen haben einen riesigen Einfluss auf ihre Leben“, sagt Pace im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

„Ich habe mit vielen Geflüchteten gesprochen, die mir gesagt haben: Ich habe alles gemacht, was erwartet wird, spreche Dänisch und zahle Steuern und trotzdem muss ich alle zwei Jahre zur Einwanderungsbehörde, wo über meine Zukunft entschieden wird“, berichtet Pace. Das Leben in dauerhafter Ungewissheit mache Integration fast unmöglich.

In Großbritannien müssten Geflüchtete künftig 20 Jahre lang damit leben, dass ihr Status alle 30 Monate überprüft wird. Im schlimmsten Fall würden Migranten nach 19 Jahren im Land abgeschoben.

„Du wirst nie beschützt, du wirst immer nur überwacht oder überprüft.“ In Dänemark zeige sich laut Pace schon jetzt ein starkes Gefühl der Ausgrenzung bei Migranten. „Und selbst Dänen der 2. oder 3. Generation, die hier geboren und aufgewachsen sind, fühlen sich unerwünscht.“

Migrationsforscherin Matilde Rosina glaubt zudem, dass man ein Modell nicht einfach übertragen könne. „Das Vereinigte Königreich ist nicht Dänemark: Seine größere Wirtschaft, seine globale Sprache und seine ausgedehnten Migrantennetzwerke machen es zu einem weitaus attraktiveren Ziel.“

Welche Auswirkungen kann die britische Politik auf die Migration in Europa haben?

„Abschreckung stoppt die Migration nicht – sie leitet sie nur um“, sagt Expertin Rosina gegenüber dem Tagesspiegel. Die meisten Flüchtlinge seien sich der Politik gar nicht bewusst. Mit weniger Menschen, die sich auf den Weg nach Europa machen, könne also nicht gerechnet werden.

Marta Welander befürchtet, dass künftig mehr Flüchtlinge auf dem Weg nach Großbritannien in Frankreich, Belgien oder Deutschland stranden werden. „Daher verkompliziert die neue britische Politik die Lage eher, als das Problem zu lösen.“

Außerdem könnten sich andere europäische Länder durch Großbritannien zu einer strengeren Politik motiviert fühlen. „Das könnte zu einer Art Wettlauf nach unten führen, was die Schutzstandards von Asylbewerbern angeht.“ (mit dpa/AFP)

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