
© Marie Staggat für den Tagesspiegel
„High Noon“-Expertentalk beim Tagesspiegel: „Die Alternative hätte noch schlimmer aussehen können“
Beim Land- und Genussmarkt des Tagesspiegels diskutieren Experten der deutsch-amerikanischen Beziehung über den problematischen Zoll-Deal zwischen der EU und den USA und seine Folgen für Deutschland.
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Staaten sind träge. Sie wachen nicht eines Morgens mit dem Vorsatz auf, ihr Leben zu ändern. Obwohl ein solcher Tag für Deutschland und die meisten EU-Staaten mit dem Großangriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 gekommen war, sind sie immer noch damit beschäftigt, sich die Augen zu reiben.
„Deutschlands gute Lage existiert nicht mehr“, hält Julia Friedlander, Geschäftsführerin der Atlantik-Brücke, beim „High Noon“-Expertentalk im Rahmen des Land- und Genussmarkts am Samstag im Haus des Tagesspiegels dagegen. Trotzdem seien die daraus folgenden Entscheidungen von allen Regierungen „verschoben“ worden.
Die Politologin Friedlander, die während Donald Trumps erster Amtszeit im Weißen Haus tätig war, ist an diesem Nachmittag nicht die Einzige, die ein Gefühl von Zäsur vermittelt. Neben ihr steht Lars-Hendrik Röller, früher wirtschaftspolitischer Berater der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Er sieht Europa an der Schwelle zu einer Dynamik stehen, in deren Verlauf es gezwungen sein könnte, seine Werte und Standards zu verraten.
Eine neue Realität für Europa
Stormy-Annika Mildner vom Aspen-Institut pflichtet dem bei. Alle zeigen sich in der vom diplomatischen Korrespondenten der Chefredaktion des Tagesspiegels, Christoph von Marschall, moderierten Diskussionen zum Thema „Trump 2: Ein schlechter Deal für Deutschland“ vom amerikanischen Handelskrieg besorgt. Durch Trumps Zollpolitik würde Europa mit einer neuen Realität konfrontiert.
Zwar hätten sicherheitspolitische Aspekte auch in früheren Perioden eine Rolle in der Handelsbeziehung zwischen USA und EU gespielt, führt Mildner aus, aber Zölle als Sanktionsinstrumente einzusetzen und damit auch noch durchzukommen, wie der Deal mit der EU zeige, stelle eine neue Dimension dar.
Dass die EU Einfuhrzölle auf Industriegüter in Höhe von 15 Prozent akzeptiert hat, wird in der EU selbst als unfair und als politische Bankrotterklärung betrachtet. Mildner zufolge sei es Ergebnis einer Lage, in der die sicherheitspolitische Abhängigkeit von der USA schwerer wöge als Exportnachteile. Bei einem seit Jahren stagnierenden Wachstum auf EU-Ebene böte sich wenig Spielraum für Forderungen.
Auch Röller hält Deutschland „so was von abhängig“ von Washingtons Unterstützung, dass er den Zoll-Deal als notwendiges Übel zu akzeptieren empfiehlt. Mögen US-Gerichte den Deal auch möglicherweise wieder kippen, so stünden dem US-Präsidenten weitere Werkzeuge zur Verfügung, um Handelsbeschränkungen mit Europa einzuführen.
„Die Alternative hätte noch schlimmer aussehen können“, sagt Röller. Von einem härteren Auftreten gegenüber Trump hält der jetzige Professor an der European School of Management and Technology (ESMT) nichts. Härte hätte Ausdauer und europäische Einigkeit vorausgesetzt. Zu beidem sei der Staatenbund derzeit nicht fähig.
Die Alternative hätte noch schlimmer aussehen können.
Lars-Hendrik Röller, früher wirtschaftspolitischer Berater von Angela Merkel (CDU).
Es gibt keine billige Sicherheit mehr
Vielleicht tue Trump Europa sogar gut, formuliert Friedlander etwas zugespitzt. Indem mit Trump nun auch ein westlicher Bündnispartner die EU in die Zange nimmt, zwingt er das träge und überkomplexe Gebilde zu Maßnahmen, die es aus eigenem Antrieb nie ergriffen hätte.
Da es keine billige Sicherheit mehr gibt, keine billige russische Energie, und auch der Absatzmarkt China entschwindet, weil sich die Handelsbilanz umkehrt, müsse Europa zwei Wege beschreiten, so die Experten und Expertinnen: Es müsse seine Marktpräsenz diversifizieren durch Handelsabkommen mit Indien, Südamerika und Kanada. Und es müsse seine Produktionskapazitäten neu sortieren.
Was zu tun sei, dürfe man jedoch „nicht für die USA“ tun, wie Mildner zum Abschluss der angeregten Debatte hervorhebt, sondern „für uns selbst“.
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