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International geächtete Waffen: USA wollen der Ukraine offenbar auch Minen liefern
Besonders im Osten des Landes geraten Kiews Truppen mehr und mehr unter Druck der russischen Invasoren. Jetzt plant Washington Medienberichten zufolge, mit einem Tabu zu brechen.
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Am Sonntag wurde bekannt, dass die USA der Regierung in Kiew bereits erlauben, mit von Washington gelieferten Waffen mit größerer Reichweite auch bestimmte militärische Ziele auf russischen Territorium anzugreifen. Die Freigabe für die ATACMS-Raketen ist eine umstrittene Entscheidung. Nun hat US-Präsident Joe Biden einem Medienbericht zufolge auch die Lieferung von sogenannten Antipersonenminen an die Armee der Ukraine angeordnet.
Biden sei damit von seiner bisherigen Position abgerückt, um der Regierung von Präsident Wolodymyr Selenskyj im Abwehrkampf gegen die russische Armee noch stärker zu helfen, berichtete die „Washington Post“ unter Berufung auf ranghohe Vertreter der US-Regierung. Grund für die Meinungsänderung im Weißen Haus sei das stetige Vorrücken russischer Truppen im Donbass. Die Lieferung dieser Minen sei nach Meinung des Pentagon ein wirksames Mittel, um das Vordingen der russischen Einheiten zu verlangsamen.
Das ist eine schockierende und verheerende Entwicklung.
Mary Wareham, Human Rights Watch
Der Einsatz dieser auch Schützenminen genannten Waffen werde dem Bericht zufolge jedoch auf den Osten der Ukraine beschränkt. Zudem sollten spezielle Minen geliefert werden, die sich nach einer gewissen Zeit selbst zerstören oder deren Batterieladung zeitlich begrenzt sei. Auch die Nachrichtenagentur AFP berichtete unter Berufung auf einen US-Beamten, Washington wolle der Ukraine die auch Schützenminen genannten Systeme liefern.
Dem Bericht der Zeitung zufolge haben ukrainische Militärs zugesagt, diese Minen nicht in dicht besiedelten Gebieten auszulegen.
„Russland greift die ukrainischen Linien im Osten mit immer neuen Truppen an, ohne Rücksicht auf die Verluste, die sie erleiden müssen“, zitiert die Zeitung einen Beamten. Aber auch die Ukrainer erlitten Verluste und es bestehe die Gefahr, dass weitere Städte fallen. „Diese Minen wurden speziell dafür entwickelt, um genau das zu bekämpfen.“
Der Beamte weiter: „Wenn sie zusammen mit der anderen Munition, die wir der Ukraine bereits zur Verfügung stellen, eingesetzt werden, sollen sie zu einer effektiveren Verteidigung beitragen.“ Landminen könnten der Armee der Ukraine dabei helfen, ihre Verteidigung zu verstärken, indem sie den Vormarsch der russischen Truppen verlangsamen und sie in Gebiete lenken, in denen sie mit Artillerie und Raketen beschossen werden können.
Ein ukrainischer Beamter begrüßte der Zeitung gegenüber die Kursänderung der USA trotz der potenziellen Risiken, die mit einem breiten Einsatz der Waffen verbunden sein könnten. „Russland setzt sie trotzdem ein“, sagte der Beamte, der wegen der Sensibilität des Themas anonym bleiben wollte.
Ukraine gilt als das am stärksten verminte Land weltweit
Das russische Militär hat am Rande der besetzten Gebiete in der Ukraine dichte Minenfelder ausgelegt und unter anderem damit eine ukrainische Offensive zum Scheitern gebracht. Die Vereinten Nationen (UN) stufen die Ukraine als das am stärksten verminte Land der Erde ein. Eine Fläche doppelt so groß wie Bayern ist demnach potenzielles Gefahrengebiet, hinzu kommen verminte Meeresgebiete.
Das UN-Entwicklungsprogramm UNDP geht zwar davon aus, dass womöglich nur auf zehn Prozent der Fläche wirklich Munition liege, aber das ganze Areal muss abgesucht werden. „Diese Risiken beeinflussen das Leben von über sechs Millionen Ukrainern negativ“, sagt der Leiter der nationalen ukrainischen Minenräumbehörde, Ruslan Berehulja, Mitte Oktober bei einer internationalen Konferenz zur Minenräumung in der Schweiz.
Dem am Donnerstag veröffentlichten Landminen-Monitor zufolge haben diese Waffen sowie Blindgänger und Munitionsreste 2023 Tausende Menschen verletzt oder getötet. Mindestens 5.757 Menschen seien Opfer der geächteten Sprengkörper geworden, teilte Handicap International Deutschland am Donnerstag in München mit, wie die Nachrichtenagentur epd schreibt. Dies seien 22 Prozent mehr als noch 2022, 84 Prozent der registrierten Opfer waren Zivilisten, 37 Prozent waren Kinder.
Opfer von Landminen-Explosionen habe es 2023 in 55 Ländern gegeben, die meisten Betroffenen gab es dem Monitor zufolge in Myanmar (1.003 Betroffene), Syrien (933), Afghanistan (651) und in der Ukraine (580). Neue Antipersonen-Minen eingesetzt hätten zwischen Mitte 2023 und Oktober 2024 die Staaten Myanmar, Iran, Nordkorea und Russland.
Der „Landminen Monitor“ wird jährlich von der International Campaign to Ban Landmines (ICBL) erstellt. Handicap International ist Mitbegründer und Vorstandsmitglied der ICBL, die 1997 den Friedensnobelpreis erhielt.
Protest von Human Rights Watch
Menschenrechtsaktivisten erklärten, die Entscheidung der USA, der Ukraine – einem Unterzeichner des Minenverbotsvertrags – Antipersonenminen zur Verfügung zu stellen, sei ein Armutszeugnis für Washington.
„Das ist eine schockierende und verheerende Entwicklung“, sagte Mary Wareham, stellvertretende Direktorin der Abteilung für Krisen, Konflikte und Waffen bei der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch, der „Washington Post“. Sie verwies darauf, dass selbst nicht langlebige Minen Risiken für die Zivilbevölkerung bergen, komplizierte Aufräumarbeiten erfordern und nicht immer zuverlässig entschärft werden.
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