
© dpa/Soeren Stache
Angebliche Zensur: USA verhängen Einreiseverbot gegen Führung von deutscher Organisation HateAid
US-Außenminister Marco Rubio kritisiert „Ideologen“ in Europa, die amerikanische Plattformen zensieren wollten. Die HateAid-Geschäftsführerinnen sprechen von einem „Akt der Repression“.
Stand:
Die gegen Hass und Hetze im Internet eintretende deutsche Beratungsstelle HateAid ist ins Visier der Regierung von US-Präsident Donald Trump geraten. Die beiden Leiterinnen der gemeinnützigen Organisation wurden ebenso wie drei andere Europäer wegen angeblicher Zensur amerikanischer Online-Plattformen mit Einreiseverboten belegt, wie das US-Außenministerium auf X mitteilte.
In einer Stellungnahme sprachen die HateAid-Geschäftsführerinnen Josephine Ballon und Anna-Lena von Hodenberg von einem „Akt der Repression“. Auch die französische Regierung reagierte empört.
„Wir sind nicht überrascht. Es ist ein Akt der Repression einer Regierung, die zunehmend Rechtsstaatlichkeit missachtet und versucht, ihre Kritiker mit aller Härte zum Schweigen zu bringen“, erklärten Ballon und von Hodenberg auf dpa-Anfrage. Die US-Regierung versuche mit allen Mitteln zu verhindern, dass sich US-Konzerne in Europa an geltendes Recht halten müssen, und stelle damit „die europäische Souveränität infrage“. Mit diesem Vorgehen sei eine neue Eskalationsstufe erreicht.
Das von der US-Regierung am Dienstagabend (Ortszeit) verkündete Einreiseverbot richtet sich nach offizieller Darstellung gegen „radikale Aktivisten“ und Nichtregierungsorganisationen, die Zensurmaßnahmen durch Drittstaaten vorangetrieben hätten. „Viel zu lange haben Ideologen in Europa organisierte Bemühungen angeführt, um amerikanische Plattformen dazu zu zwingen, amerikanische Standpunkte zu bestrafen, die ihnen nicht passen“, schrieb Außenminister Marco Rubio auf X. Er drohte: Wenn es keine Kurskorrektur gebe, werde die Liste der Sanktionierten noch länger.
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Rubio betonte, die Trump-Regierung werde „exterritoriale Zensur“ nicht länger tolerieren. Das Ministerium leite daher Schritte des Einreiseverbots gegen führende Persönlichkeiten des globalen „Zensur-Industrie-Komplexes“ ein. Man sei bereit, die Liste zu erweitern, wenn es keine Kurskorrektur gebe.
Justizministerin: US-Vorwürfe gegen HateAid inakzeptabel
Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD)) bezeichnete die Vorwürfe der US-Administration gegen die Geschäftsführerinnen von HateAid als „inakzeptabel“. Die Organisation unterstütze Betroffene von rechtswidriger digitaler Hassrede und leiste „einen wichtigen Beitrag dazu, dass Persönlichkeitsrechte auch im digitalen Raum geschützt werden“. „Wer das als Zensur bezeichnet, stellt unser rechtsstaatliches System falsch dar“, fügte sie hinzu.
HateAid unterstütze Betroffene, aber die Organisation selbst verbiete keine Meinungsäußerungen, erklärte Hubig weiter. „Nach welchen Regeln wir in Deutschland und in Europa im digitalen Raum leben wollen, wird nicht in Washington entschieden“, betonte sie.
Die Maßnahmen der Regierung von US-Präsident Donald Trump „zeigen, dass das zivilgesellschaftliche Engagement mächtigen Plattformen unbequem ist“. Die Geschäftsführerinnen von HateAid, Josephine Ballon und Anna-Lena von Hodenberg, „haben unsere Unterstützung und Solidarität“.
Das Ministerium der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV) fördert nach eigenen Angaben seit 2020 eine bedarfsgerechte Beratung durch HateAid für Betroffene von digitaler Gewalt. Die Entscheidung, ob und in welcher Höhe Organisationen gefördert werden, treffe final der Haushaltsgesetzgeber, also der Bundestag. Das Ministerium habe auf die Geschäftsführung von HateAid keinen Einfluss.
Grünen-Politiker Omid Nouripour forderte derweil Konsequenzen. „Die Bundesregierung sollte umgehend den Geschäftsträger der US-Botschaft einbestellen. Hier geht es um den Schutz deutscher Staatsbürger“, sagte Nouripour, der auch Vizepräsident des Bundestags ist.
Die förmliche Einbestellung eines Botschafters gilt als scharfes diplomatisches Mittel, mit dem die Regierung des Gastlandes eine deutliche Verstimmung signalisiert.
Die Grünen-Vorsitzende Franziska Brandner schloss sich der Forderung an. „Die Einreiseverbote sind ein autoritärer Einschüchterungsversuch und ein direkter Angriff auf die Rechtsstaatlichkeit in Europa.“ Wer den Einsatz gegen Hass, Bedrohung und digitale Gewalt als „radikalen Aktivismus“ diffamiere, stelle Meinungsfreiheit bewusst auf den Kopf.
Die EU-Kommission von Ursula von der Leyen drohte Vergeltungsmaßnahmen an. Man verurteile die Entscheidung der Vereinigten Staaten aufs Schärfste, teilte die Behörde in Brüssel mit. Man habe von den US-Behörden Klarstellungen erbeten. Falls erforderlich, werde man rasch und entschlossen reagieren, um das Recht zu verteidigen, seine eigenen Regeln festzulegen.
„Unsere digitalen Regeln sorgen für einen sicheren und fairen Wettbewerb für alle Unternehmen und werden ohne Diskriminierung angewendet“, heißt es in der Stellungnahme. Die Meinungsfreiheit gehöre zu den grundlegenden Rechten in Europa und sei ein Wert, den man mit den USA und anderen Demokratien teile.
Wie sie genau auf die Anreiseverbote reagieren könnte, erläuterte die EU-Kommission zunächst nicht. Denkbar wäre etwa, dass sie vorschlägt, die Zusammenarbeit mit den USA in bestimmten Bereichen einzuschränken. Bei einer weiteren Eskalation des Streits sind auch wirtschaftliche Gegenmaßnahmen nicht ausgeschlossen.
„Die Völker Europas sind frei und souverän“
Vom US-Einreiseverbot betroffen ist auch der frühere französische EU-Kommissar Thierry Breton, der als Architekt des Digital Services Act gilt, mit dem Online-Plattformen in der EU reguliert werden. Das Gesetzespaket und dessen praktische Anwendung – im Fall der Plattform X von Rubio als „Attacke auf alle amerikanischen Tech-Plattformen und das amerikanische Volk durch ausländische Regierungen“ bezeichnet – sollen verhindern, dass im Internet ein rechtsfreier Raum entsteht.
Breton verglich die US-Sanktionen mit der „Hexenjagd“ auf vermeintliche Kommunisten zu Zeiten der berüchtigten McCarthy-Ära in den USA, in der viele Menschen zu Unrecht ins Visier der Staatsgewalt gerieten. Auf der Plattform X schrieb Breton: „An unsere amerikanischen Freunde: Die Zensur findet nicht dort statt, wo ihr sie wähnt.“
Sowohl er als auch die französische Regierung erinnerten daran, dass der Digital Services Act vom EU-Parlament und allen Mitgliedstaaten mit großer demokratischer Mehrheit beschlossen worden sei. „Die Völker Europas sind frei und souverän und lassen sich von anderen keine Regeln für ihren digitalen Raum aufzwingen“, schrieb Frankreichs Außenminister Jean-Noël Barrot auf X. Er verurteilte das Vorgehen der US-Regierung und betonte, das europäische Gesetz finde in den USA gar keine Anwendung.
US-Regierung nimmt Musk-Kritiker ins Visier
Sanktionen verhängte die US-Regierung auch gegen die Gründerin des britischen Global Disinformation Index (GDI), Clare Melford, und gegen den Gründer des in den USA und Großbritannien tätigen Center for Countering Digital Hate (CCDH), Imran Ahmed. Der Brite lebt der Organisation zufolge in Washington, ihm droht nun die Abschiebung aus den USA. Beide setzen sich gegen Hass und Desinformation im Internet ein.
X-Eigentümer Elon Musk hatte das Center for Countering Digital Hate vergangenes Jahr als „kriminelle Organisation“ bezeichnet. Das CCDH hatte die von ihm verbreitete Behauptung, Trump solle durch Betrug bei der US-Präsidentenwahl um den Sieg gebracht werden, als Desinformation eingestuft.
Im Falle des Global Desinformation Index hatte Musk die Schließung der Organisation gefordert, die unter anderem vor den Risiken generativer Künstlicher Intelligenz (KI) warnt – ein wichtiges Geschäftsfeld des Tech-Milliardärs. Die Organisation entlarvte auch Verschwörungsmythen rund um das Attentat auf Trump im Juli 2024. Die UN-Organisation Unesco stuft den GDI als „neutral, unabhängig und transparent“ ein.
Europa als neues Feindbild
Rubio und andere US-Regierungsvertreter hatten in der Vergangenheit schon mehrfach angebliche Internetzensur in Europa kritisiert. So löste etwa die Entscheidung der EU-Kommission, der Plattform X wegen Transparenzmängeln eine Strafe von 120 Millionen Euro aufzuerlegen, heftige Reaktionen in Washington aus. Rubio kündigte danach an, die Tage der Online-Zensur für Amerikaner seien vorbei.
Trump kritisierte die europäischen Digitalgesetze in der Vergangenheit als wettbewerbsverzerrend. Sein Vize JD Vance sprach von angeblicher Unterdrückung der Meinungsfreiheit in Europa, bei der vorwiegend politische Positionen aus dem rechtskonservativen Spektrum zensiert würden.
Menschenrechtsorganisationen und Thinktanks, die sich für den Erhalt von Rechtsstaat und Demokratie einsetzen, werfen hingegen der US-Regierung vor, ihre Kritiker mundtot zu machen und unliebsame Meinungen mit Hilfe einer auf Regierungskurs getrimmten Tech-Branche aus dem politischen Diskurs zu verbannen.
„Wir lassen uns nicht einschüchtern“
In seiner Sanktionsmitteilung warf das US-Außenministerium nun auch HateAid vor, die Organisation sei nach der Bundestagswahl 2017 mit dem Ziel gegründet worden, ein Gegengewicht zu „konservativen Gruppen“ zu bilden.
Die Antwort der beiden Gründerinnen, die eine politische Agenda von sich weisen, fiel klar aus: „Wir lassen uns von einer Regierung nicht einschüchtern, die Zensurvorwürfe instrumentalisiert, um diejenigen, die sich für Menschenrechte und Meinungsfreiheit einsetzen, mundtot zu machen“, hieß es in ihrer Stellungnahme. HateAid werde seine Arbeit mit aller Kraft fortsetzen.
HateAid bietet psychologische und rechtliche Unterstützung für Menschen an, die im Internet diskriminiert, beleidigt, bedroht oder angegriffen werden. Im Oktober wurde von Hodenberg für ihre Arbeit mit dem Bundesverdienstorden ausgezeichnet. Damals hieß es, sie habe 2018 mit der Gründung von HateAid Pionierarbeit geleistet und die erste bundesweite Beratungsstelle geschaffen, an die sich Menschen bei Fällen von Gewalt im Netz wenden können. (dpa/Tsp)
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