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Ebrahim Raisi, Präsident des Iran, spricht im Parlament vor Abgeordneten.

© dpa/AP/Vahid Salemi

Protest und Hinrichtungen im Iran : Das Regime in Teheran sucht sich westliche Sündenböcke

Die Exekution des Ex-Vizeministers Akbari offenbart einen Machtkampf in Irans Führung. Einige verstehen, dass es Zugeständnisse geben muss an die, die mehr Freiheiten fordern.

„Der Feind“ habe mit einem ausgeklügelten Plan die Protestwelle im Iran organisiert, sagte der iranische Revolutionsführer Ali Chamanei vor wenigen Tagen. Deshalb müsse der Feind – der Westen – bekämpft werden, bis er die Hoffnung aufgebe, den Iran in die Knie zwingen zu können, sagte Chamanei.

Sein Regime handelt entsprechend: Am Wochenende ließ die Justiz den ehemaligen Vize-Verteidigungsminister Alireza Akbari hinrichten, der außer dem iranischen auch einen britischen Pass besaß.

Akbari werde nicht der letzte westliche „Spion“ sein, dem das Handwerk gelegt werde, kündigte die Regierungspresse. Vier Monate nach Beginn der Proteste im Iran am 16. September sucht Chamaneis Regierung westliche Sündenböcke.

Akbari war Vizeminister unter dem Reformpräsidenten Mohammad Khatami, der bis zum Jahr 2005 regierte, und emigrierte später nach Großbritannien. Im Iran war Akbari ein Mitarbeiter des damaligen Verteidigungsministers Ali Shamkhani, der heute Sekretär des iranischen Sicherheitsrates ist.

Vor vier Jahren kehrte Akbari in den Iran zurück, um Shamkhani zu beraten, und wurde festgenommen. Ein Gericht verurteilte ihn wegen Spionage für den britischen Geheimdienst zum Tode. Der britische Premierminister Rishi Sunak sowie andere westliche Politiker und Politikerinnen wie Bundesaußenministerin Annalena Baerbock verurteilten die Hinrichtung und kündigten Konsequenzen an.

Der Iran-Experte Sanam Vakil von der britischen Denkfabrik Chatham House kommentierte in der BBC, das iranische Regime benutze Akbari, um das „Narrativ von der westlichen Verwicklung“ in die Proteste zu stützen.

Aliresa Akbar im Jahr 2019
Aliresa Akbar im Jahr 2019

© dpa/AP/KhabarOnline News Agency

Akbaris Neffe Ramin Forghani sagte dem britischen Sender SkyNews, das Regime wolle die internationale Aufmerksamkeit von den Unruhen im Land ablenken. Sein Onkel sei einem „politischen Spiel“ zum Opfer gefallen. Andere Beobachter spekulieren, Teile des iranischen Regimes wollten mit Akbaris Hinrichtung dessen Chef Shamkhani schaden.

Dass die Führung der Islamischen Republik bereit ist, Häftlinge mit westlichen Pässen hinzurichten, könnte auch deutsch-iranische Angeklagte in Gefahr bringen. Dem Aktivisten Jamshid Sharmahd, der seit 2020 in iranischer Haft sitzt, droht nach Angaben seiner Familie ebenfalls die Todesstrafe.

Urbane Mittelschicht fordert Rechte

In der Auseinandersetzung mit der Protestbewegung stecke das Regime in der Sackgasse, weil die Führung einer grundsätzlichen Fehleinschätzung erlegen sei, sagt Ali Alfoneh vom Arab Gulf States Institute in Washington. Die Islamische Republik habe in der Hoffnung auf Vorteile für den Staat eine urbane Mittelschicht geschaffen.

Autokratische Herrscher glauben ernsthaft, dass sie den Bürgern gute Bildungschancen bieten können, um den Staat zu modernisieren, ohne dass dabei politische Freiheitsrechte eingefordert werden.

Ali Alfoneh, Iran-Experte

Diese Mittelschicht fordert jetzt politische Rechte. „Autokratische Herrscher glauben ernsthaft, dass sie den Bürgern gute Bildungschancen bieten können, um den Staat zu modernisieren, ohne dass dabei politische Freiheitsrechte eingefordert werden“, sagte der Iran-Experte dem Tagesspiegel.

Fast jeden Tag gibt es seit dem 16. September Proteste gegen das Regime und Chamanei, mehr als 500 Menschen sind bei Zusammenstößen zwischen Demonstranten und staatlichen Einsatzkräften ums Leben gekommen. Das Regime hat vier Demonstranten durch Erhängen hingerichtet und weitere zum Tode verurteilt.

Einige Regimevertreter haben nach Beobachtung von Alfoneh verstanden, dass Kompromisse in der Kopftuchfrage – dem Anlass für die Unruhen – überfällig sind. Er verweist auf Äußerungen von Parlamentspräsident Mohammad Baker Kalibaf, einem Hardliner und Ex-Offizier der Revolutionsgarde, der das brutale Vorgehen der Polizei bei Verstößen gegen den Kopftuchzwang kritisiert hat.

Auch der 83-jährige Revolutionsführer Chamanei, der Anführer der Hardliner, lässt in jüngster Zeit durchblicken, dass er zu Zugeständnissen bereit sein könnte.

Zwar sei das Kopftuch zweifellos eine religiöse Pflicht, schrieb Chamanei auf Twitter. Doch er sei dagegen, Frauen wegen eines nicht korrekt gebundenen Kopftuches vorzuwerfen, sie seien unreligiös oder Gegnerinnen der Islamischen Revolution.

Mit Kompromissen in der Kopftuchfrage werde das Regime sein „grundlegendes Problem mit der Mittelschicht nicht lösen“, möglicherweise aber Zeit gewinnen, meint Alfoneh: „Mindestens zehn weitere Jahre an der Macht“ seien für die Führung dadurch erreichbar. Ein denkbarer Weg sei, dass die Regierung die Verstöße gegen die Kopftuchpflicht künftig nicht mehr bestraft. In der Hauptstadt Teheran werde das schon jetzt so gehalten.

Als Modell für einen solchen Kompromiss hatte Chamanei-Berater Ali Laridschani schon im vergangenen Jahr das Beispiel der Satellitenschüsseln ins Gespräch gebracht. Die Empfangsgeräte sind offiziell verboten, doch viele Iraner benutzen sie, ohne vom Regime behelligt zu werden. Ähnlich sollte es der Staat mit dem Kopftuchverbot halten, sagte Laridschani.

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