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Krieg und Chaos seit dem 7. Oktober: Im Nahen Osten herrscht jetzt die Logik der Eskalation
Der Iran strauchelt, Israel triumphiert, in Syrien entflammt erneut der Bürgerkrieg: Einstige Gewissheiten über den Nahen Osten gelten nicht mehr. Ist das die neue Ordnung?

Stand:
Es war einmal eine Zeit, in der Politiker und Experten von Amerika bis Europa glaubten: Der Nahe Osten gehöre trotz seiner Anfälligkeit für Krisen und Konflikte zu den eher ruhigeren Weltgegenden.
Der 7. Oktober 2023 zerschmetterte diese Einschätzung in nur wenigen Stunden. Heute ist man sich einig, dass das mörderische Massaker der Hamas, dem 1200 Menschen zum Opfer fielen, nicht weniger ist als ein epochaler Einschnitt.
Dieser Tag und das verheerende Danach haben die Region nicht zurückkatapultiert Richtung eines gehuldigten Status quo, der alle Probleme mehr oder weniger geflissentlich ignorierte. Das wäre fast schon tröstlich.
Wer angeschlagen wirkt, muss sich in Acht nehmen
Aber es stimmt nicht. Betrachtet man die vergangenen Monate, wird rasch klar, wie sehr der Nahe Osten mit schwindelerregender Geschwindigkeit in Chaos und Krieg versinkt. Einstige Gewissheiten sind längst von Raketen und Kugeln durchsiebt worden.
Die Logik der Eskalation hat die Herrschaft übernommen. Gewalt wird anscheinend als einzig probates Mittel gesehen, sich gegen den Feind zu behaupten, Vergeltung zum berechtigten Motiv für jede Art machtberauschter Rücksichtslosigkeit verklärt. Wer im Nahen Osten angeschlagen wirkt, muss sich in Acht nehmen.

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Das zeigt sich aktuell in Syrien. Wie aus dem Nichts kommend, überrennen Gegner des Diktators Baschar al Assad Stellungen der Regierungsarmee und nehmen handstreichartig Aleppo ein. Sie wollen den Despoten stürzen, sich an ihm rächen für seine unzähligen Gräueltaten. Ermutigt hat sie die Schwäche seiner Verbündeten.
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Die Hisbollah kann sich kaum selbst schützen, für den Iran gilt Ähnliches; Russland ist mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine vollauf beschäftigt. Dennoch: Nur die Wenigsten dürften damit gerechnet haben, dass so etwas in Syrien passieren könne.
Hamas hat die Region in Brand gesetzt
Nicht anders verhält es sich mit Israel, dem Iran und der ihm treu ergebenen libanesischen Hisbollah. Wer konnte sich vorstellen, dass der jüdische Staat es innerhalb von Monaten schafft, den Nahen Osten wie vielleicht nie zuvor zu dominieren?

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Was sprach dafür, dass Israels Streitkräfte fast zeitgleich die Schiitenmiliz an den Rand ihrer Existenz bomben und den Mullahs in Teheran ihre Schutz- und Machtlosigkeit drastisch vor Augen führen würden?
Nichts ist mehr, wie es noch vor Kurzem war oder zumindest schien. Die Hamas wollte die Region mit ihrem Angriff in Brand setzen. Das ist ihr gelungen. Auch dass Israel erbarmungslos gegen seine Feinde vorgehen und deshalb an den Pranger gestellt würde, gehörte zum Kalkül der Gaza-Islamisten.
Es herrscht das Prinzip der Gewalt
Allerdings ist die Rechnung der Hamas nur in Teilen aufgegangen. Denn Israels Siegeszug, dessen Triumph über seine Gegner, gehörte nicht zum Plan.

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Doch was folgt aus dem Prinzip Krieg? Worin mündet Gewalt, wenn es das Mittel erster Wahl ist, um etwas zu erreichen? Die einen werden sagen: Auch das ist eine Form von Ordnung, wenngleich eine schreckliche. Die anderen werden einwenden: Unsinn, so ist nichts in Ordnung.
Keine Macht kann Ordnung schaffen
Verständigen könnte man sich womöglich darauf, dass wir in Zeiten völliger Unübersichtlichkeit leben. Der 7. Oktober und seine Folgen haben gelehrt, wie schnell sicher geglaubte Weisheiten in der brutalen Realität untergehen.
Keine Macht der Welt besitzt ausreichend Stärke und Respekt, um dies zu ändern. Auch Donald Trump als selbsternannter Heilsbringer wird es nicht schaffen, Ordnung im Nahen Osten wiederherzustellen. Selbst wenn ihm kleine Erfolge gelingen mögen.
So dürften Kampf und Krieg die Geschicke der Region auf absehbare Zeit bestimmen. Dies ist die neue Realität.
Kompromissbereitschaft oder sogar Annäherung – diesen Geist atmeten beispielsweise die Abraham-Abkommen zwischen Israel und einigen arabischen Staat – sind keine relevanten Größen mehr. Das war einmal.
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