zum Hauptinhalt
22.08.2024, Ukraine: Auf diesem Standbild aus einem vom russischen Verteidigungsministerium veröffentlichten Video feuert ein russischer Soldat aus einer Haubitze D-30 auf ukrainische Stellungen an einem nicht genannten Ort.

© dpa/Uncredited

„Kämpfe sind außergewöhnlich hart“: Russland kurz vor Eroberung wichtiger Stadt – der Ukraine-Wochenüberblick

Massenweise Raketen, gegen die Kiew mangels westlicher Erlaubnis nicht viel machen kann. Eine löchrige Front im eigenen Land. Lesen Sie hier das Wichtigste aus der Kriegswoche.

Stand:

Russische Drohnen- und Raketenschläge sind Alltag in der Ukraine. Anfang der Woche aber feuerte die russische Armee unter Oberaufsicht von Diktator Wladimir Putin dermaßen viele Geschosse an zahlreiche Orte des Nachbarlands, dass die Ukraine offiziell vom schwersten Luftschlag seit Beginn der Invasion im Februar 2022 sprach. Und das ist nur eines von mehreren Problemen. Es folgen die wichtigsten Entwicklungen der Woche. 

1 Der schwerste Luftangriff seit Kriegsbeginn

236 Raketen, Marschflugkörper und Drohnen – so lautete am Montag die Bilanz des russischen Luftangriffs in der Nacht zuvor. Er traf Städte im ganzen Land, Tote und Verletzte waren die Folge. Wieder war die Energieinfrastruktur ein Ziel. Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko berichtete von einer unterbrochenen Strom- und Wasserversorgung.

Wie kann es sein, dass es trotz einer eingespielten Luftabwehr zu so vielen Schäden kommt? Die ukrainische Luftwaffe sichtete in der Nacht zu Montag elf Langstreckenbomber vom Typ Tu-95 im russischen Luftraum, gestartet von den russischen Militärflugplätzen Olenja und Engels – und damit außerhalb der Reichweite ukrainischer Raketen. Die Orte liegen gut 2000 bzw. gut 1000 km von Kiew entfernt.

Ein Tu-95-Bomber startet in Russland zu einem Trainingsflug.

© dpa/-

Also erneuerte Präsident Wolodymyr Selenskyj seine längst zum medialen Grundrauschen verkommene Bitte an den Westen, doch bitte endlich den Einsatz westlicher Waffen tief im russischen Hinterland zu erlauben. Das tut der Westen aus Angst vor einer Eskalation des Krieges jedoch weiterhin nicht, auch wenn es zumindest in Großbritannien und Frankreich ein wenig Bewegung in der Sache zu geben scheint.

Russland weiß um seinen Vorteil und denkt offenbar bereits einen Schritt voraus. Das „Wall Street Journal“ berichtete diese Woche, dass Moskau 90 Prozent seiner Flugzeuge außerhalb der Reichweite von ATACMS-Raketen aus den USA verlegt hat. Mit diesen 300 km weit reichenden Geschossen darf die Ukraine derzeit zwar ohnehin nicht weit nach Russland feuern – aber selbst wenn die USA ihre Meinung ändern würden, wären die russischen Bomber nun längst außer Reichweite.

2 Russland rückt im Osten auf wichtige Stadt Pokrowsk vor

Auch an der Front im Osten des Landes hat die Ukraine Probleme. Selenskyj bezeichnete die Situation an der strategisch wichtigen Stadt Pokrowsk als „extrem schwierig“. In diesem Gebiet in der Region Donezk gelingt der russischen Armee derzeit ein langsamer Vormarsch. Am Donnerstag meldete die russische Armee die Einnahme einer nur 15 Kilometer von Pokrowsk entfernten Ortschaft.

Pokrowsk hat als Knotenpunkt zentrale Bedeutung für die Versorgung der ukrainischen Armee an der Front. Die Zivilisten in der Stadt wurden von der Polizei bereits zur Evakuierung aufgerufen. 

Der ukrainische Oberbefehlshaber Oleksandr Syrskyj schrieb auf Facebook: „Die Kämpfe sind außergewöhnlich hart.“ Er verbrachte eigenen Angaben zufolge mehrere Tage an der Front bei Pokrowsk. Russland schmeiße alles ins Gefecht, um die ukrainischen Verteidigungslinien zu durchbrechen.

Die russischen Landgewinne werfen auch Fragen zum Erfolg der ukrainischen Offensive in Kursk auf, die seit dem 6. August läuft. Denn der überraschende Angriff auf russisches Territorium verhindert angeblich, dass Russland den ohnehin hohen Druck auf die ostukrainische Region Donezk weiter erhöhen kann, so Selenskyj. Das mag stimmen oder auch nicht. Eine spürbare Entlastung an der Ostfront ist aber bis dato eben auch nicht eingetreten. Das britische Verteidigungsministerium berichtete am Freitag, dass Russland den Vormarsch im Osten gegenüber Kursk priorisiere.

3 In Kursk wird weiter gekämpft

In Kursk habe die Ukraine nach Angaben von Selenskyj weitere Gebiete erobert, verkündete er in seiner Videoansprache am Mittwoch. Details nannte er nicht. Erneut sei der Bestand an russischen Kriegsgefangenen aufgefüllt worden. Der Gefangenenaustausch mit Russland gehört zu den Zielen, die Kiew in Kursk verfolgt.

Oberbefehlshaber Syrskyj meldete am Freitag die Eroberung von fünf Quadratkilometern in den vergangenen 24 Stunden. Das deutet auf eine Verlangsamung des Tempos hin, verglichen mit dem Anfang der Offensive. Laut Einschätzung des amerikanischen Geheimdienstes CIA sei die Ukraine aber entschlossen, das von ihnen eroberte russische Territorium „für eine gewisse Zeit“ zu halten.

Rauch an einem russischen Gebäude in der Region Kursk.

© REUTERS/"Black Swan" unit of the 225 Seperate Assault Battalion

4 Versuchter Vorstoß in Belgorod

An anderer Stelle versuchte die Ukraine offenbar einen weiteren Vorstoß auf russisches Territorium. „Es gibt Informationen, wonach der Feind versucht, die Grenze in der Region Belgorod zu überqueren“, teilte der örtliche Regionalgouverneur am Dienstag mit. Die Region liegt südöstlich von Kursk. Die Lage in Belgorod an der Grenze zur Ukraine sei „schwierig, aber unter Kontrolle“, hieß es.

5 F-16 stürzt ab – nur Wochen nach der ersten Lieferung

Von den westlichen F-16-Jets, die inzwischen in offenbar geringer Stückzahl in der Ukraine angekommen sind, versprach sich Kiew viel. Gerade bei der Raketenabwehr sollen die Kampfflugzeuge eine wichtige Unterstützung sein. Nun aber gab es die erste Meldung über den Verlust einer F-16.

Das Flugzeug sei während der Abwehr des schweren Luftangriffs vom Montag abgestürzt, der Pilot kam ums Leben, teilte der ukrainische Generalstab in Kiew mit. Es handle sich allerdings nicht um einen Abschuss, sondern um ein Unglück.

Es wird davon ausgegangen, dass die Ukraine bisher nur über wenige F-16 verfügt und die Anzahl der ausgebildeten Piloten gering ist. Umso stärker fällt jeder Verlust ins Gewicht.

6 Kritik an scheinheiligem Westen

Unterdessen fand der litauische Außenminister Gabrielius Landsbergis deutliche Worte für die nicht eingehaltenen Versprechen der westlichen Unterstützer. „Russische Bomber sind durch die westlichen Zusagen besser geschützt als ukrainische Zivilisten“, sagte der 42-Jährige in einem bei X verbreiteten Video. Der Ukraine fehlen demnach die Waffen, um russische Flugzeuge abzuschießen.

Keines der in Washington versprochenen Patriot-Flugabwehrsysteme sei bisher an die Ukraine geliefert worden, so Landsbergis. Seit Juni sei keine neue Munition angekommen. Der Westen erzähle seinen Bürgern, für die richtige Sache zu kämpfen. Doch wenn es um die tatsächlichen Lieferungen geht, „ist die Geschichte manchmal eine ganz andere.“

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

7 Was der Ukraine diese Woche Hoffnung machen kann

Es war eine brutale Woche für die Ukraine. Es gab aus der Sicht Kiews aber zumindest ein paar gute Nachrichten. Am Dienstag meldete Selenskyj den ersten erfolgreichen Test einer ballistischen Rakete aus eigener Herstellung. Das ist eine Besonderheit, weil die Ukraine für den Fernkampf ansonsten nur Drohnen selbst produziert, die weniger präzise und zerstörerisch sind als Raketen.

Präsidentenberater Mykhailo Podolyak sprach später davon, dass die Rakete eine Reichweite von 600 bis 700 km habe, womit Moskau und der Schwarzmeer-Badeort Sotschi erreichbar wären.

So oder so: Bis zur Massenherstellung eigener Raketen scheint es noch ein weiter Weg zu sein. Mit den vorhandenen Drohnen gelingen aber immerhin Schläge gegen die Kriegs- und Energieinfrastruktur in Russland, wie sich auch diese Woche wieder zeigte. Die Ukraine bestätigte, Treibstofflager und ein Munitionsdepot in den russischen Oblasten Rostow, Woronesch und Kirow angegriffen zu haben. Schon am 18. August fing ein anderes Öllager in Rostow nach einem ukrainischen Drohnenangriff Feuer. Der Brand im Bezirk Proletarsk konnte tagelang nicht gelöscht werden. Das Weihwasser, mit dem russisch-orthodoxe Geistliche Feuerwehrautos besprengten, war keine Hilfe.

Die Geistlichen und die Feuerwehrautos, im Hintergrund das brennende Öllager.

© REUTERS/Volgodonsk Eparchy

Es dürfte jedoch allen Beteiligten klar sein, dass die Ukraine den Krieg nicht mit Drohnenschlägen oder eigenen Raketen gewinnen wird. Es kommt auf die westliche Unterstützung an. Dafür muss Kiew seinen Verbündeten signalisieren, einen Plan zu haben. Was umso wichtiger wird, je länger der Krieg dauert, da mit der Dauer im Westen auch die Zweifel wachsen, ob die Ukraine Russland noch etwas entgegenzusetzen hat.

Selenskyj jedenfalls verkündete diese Woche, dass er US-Präsident Joe Biden im September einen Plan präsentieren will, wie Russland besiegt werden kann. Die Offensive im russischen Grenzgebiet Kursk sei Teil dieses Plans. (mit Agenturen)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })