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Marine Le Pen verließ den Gerichtssaal noch vor dem Ende der Urteilsverkündung.

© IMAGO/MAXPPP/IMAGO/Stéphane Geufroi

Marine Le Pen kann vorerst nicht Präsidentin werden: Ein Urteil, das Frankreichs Politik auf den Kopf stellt

Die französische Rechtsextremistin ist jetzt eine verurteilte Betrügerin. Dass sie nicht mehr kandidieren darf, hat sie sich selbst zuzuschreiben. Die Politik muss jetzt den Rechtsstaat verteidigen.

Andrea Nüsse
Ein Kommentar von Andrea Nüsse

Stand:

Dieses Urteil ist eine Sensation. Es erschüttert die französische Politik in noch unabsehbarer Weise. Und könnte sich zu einer Demokratiekrise ausweiten, wenn es politisch instrumentalisiert wird. Und das wird es.

Eigentlich ist es ganz einfach: Die Justiz hat ihre Arbeit gemacht. Die Beweise gegen die Fraktionschefin der französischen Rechtsextremen waren erdrückend. Mit großer krimineller Energie habe sie mehr als zwölf Jahre lang ein Betrugssystem aufgebaut und optimiert, um EU-Gelder zu veruntreuen. Schluss war erst, als Brüssel Ermittlungen einleiten ließ.

Dafür ist Marine Le Pen, die Oppositionsführerin und Vorsitzende der größten Fraktion im französischen Parlament, nun zu Recht hart verurteilt worden, zu einer Haft- und Geldstrafe. Das war erwartet worden.

Aber dass die drei Richter des Strafgerichts in Paris auch mit sofortiger Wirkung verfügt haben, dass sie fünf Jahre lang nicht wählbar ist, hat überrascht. Denn damit ist Marine Le Pen für die Präsidentschaftswahl 2027 aus dem Rennen.

Keine Ausnahme für Le Pen

In diesem Punkt hatten die Richter Ermessensspielraum – angesichts der Schwere des Betrugs und der langen Verschleppungstaktik des Rassemblement National (RN) konnten die Richter nach eigenen Angaben aber nicht anders entscheiden. Sie haben den Grundsatz befolgt, nach dem alle Bürger vor dem Gesetz gleich sind. Also keine Ausnahmen. Auch nicht für Le Pen.

Zudem haben sie das aufgerüstete Anti-Korruptions-Gesetz in dem Sinne angewendet, in dem es die Abgeordneten 2016 verabschiedet hatten: stärkere Sanktionen inklusive automatischer Aberkennung des passiven Wahlrechts für bis zu zehn Jahre, um die weit verbreitete politische Korruption einzudämmen.

Damit sollte eigentlich das Vertrauen der Bürger in die Demokratie gestärkt werden. Doch das Gegenteil könnte jetzt der Fall sein. Denn das Urteil greift massiv in die Politik ein: Die Wähler können 2027 ihre Stimme nicht Marine Le Pen geben, die bei ihrem vierten Anlauf gute Chancen gehabt hätte, Staatspräsidentin zu werden – und Emmanuel Macron zu beerben.

Deshalb wird jetzt die Frage laut: Muss die Justiz mögliche politische Konsequenzen mitdenken und in ihr Strafmaß einbeziehen – und dieses notfalls abmildern?

Ist der freie und zukünftige Wählerwille wichtiger als Recht und Rechtsstaatlichkeit in einer Demokratie?

Andrea Nüsse

Insgeheim hatte man fast darauf gehofft. Weil die Angriffe auf die Justiz, die als angeblich politisiert verunglimpft werden wird, und den Rechtsstaat massiv werden und das demokratische System ins Wanken bringen könnten. Das ist ja die bekannte Verteidigungslinie von Le Pen. Womöglich stimmen aus Wut noch mehr Leute für Le Pens Partei.

Die französische Justiz beweist Stärke

Dabei beweist die französische Justiz gerade in mehreren Fällen, dass sie – anders als in der Vergangenheit – nicht mehr so lax mit den Vergehen von Spitzenpolitikern umgeht.

Das derzeit laufende Verfahren gegen Ex-Präsident Nicolas Sarkozy ist ein Beleg dafür, dass mittlerweile strenger vorgegangen wird, unabhängig von der politischen Couleur des jeweils Angeklagten. Diese neue Strenge muss auch in Zukunft gelten.

Es wäre politisch wünschenswert gewesen, dass Le Pen in Wahlen besiegt wird – oder eben auch nicht.

Andrea Nüsse

Im Fall Le Pens stellt sich jetzt aber auch die fast schon philosophische Frage: Ist der freie und zukünftige Wählerwille wichtiger als Recht und Rechtsstaatlichkeit in einer Demokratie?

Es wäre politisch wünschenswert gewesen, dass Le Pen in Wahlen besiegt wird – oder eben auch nicht. Aber die Richter sind ja nicht schuld daran, dass die erfahrene Politikerin Betrug betrieben hat. Das hat sie sich selbst zuzuschreiben.

Unter ihrer Federführung haben neun EU-Abgeordnete, die Partei selbst und 21 ihrer Mitarbeiter ein komplexes Betrugssystem dirigiert oder dabei mitgemacht. Das ist weder ein Kavaliersdelikt noch ein Ausrutscher.

Marine Le Pens Aufstieg ist vorerst gestoppt. Aber das Rassemblement National und dessen Parteichef Jordan Bardella stehen weiterhin zur Wahl. Der demokratische Wählerwillen ist nicht eingeschränkt. Und der Rechtsstaat funktioniert. Chapeau.

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