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In Israel fällt die Brandmauer: Europas Rechtsextreme sind die neuen Verbündeten
Israels Regierung intensiviert die Beziehungen zu europäischen Rechtsextremen. Mit ihnen will sie jetzt eine Antisemitismus-Konferenz veranstalten. Was sich beide Seiten davon versprechen – und warum Felix Klein nicht hinfährt.
Stand:
Das ist ungewöhnlich. Der deutsche Antisemitismusbeauftragte Felix Klein hat seine Zusage zur Teilnahme an einer Antisemitismuskonferenz in Israel zurückgezogen. Ebenso der britische Chefrabbiner Rabbi Ephraim Mirvis und der französische Philosoph Bernard Henry-Lévy.
Eigentlich wollten sie an der Internationalen Konferenz zur Bekämpfung des Antisemitismus am 26. und 27. März in Jerusalem teilnehmen, zu der der israelische Diaspora-Minister Amichai Chikli von der Likud-Partei einlädt.
Aber Klein und immer mehr andere angefragte Teilnehmer wollen nicht an einem Tisch sitzen mit dem Chef der französischen rechtsextremen Partei Rassemblement National (RN) Jordan Bardella. Oder dem Vertreter der spanischen rechtsextremen Vox-Partei oder dem EU-Abgeordneten von der rechtsextremen Freiheitspartei des Geert Wilders in den Niederlanden.
Brandmauer gefallen
Mit der offiziellen Einladung dieser Vertreter des europäischen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus nach Israel scheint eine Brandmauer zum Rechtsextremismus zertrümmert zu werden – diesmal in Israel.
Der radikale Minister Amichai Chikli, der unter anderem die israelische Besiedlung des besetzten Gazastreifens unterstützt, mag zwar teilweise unkontrolliert und auf eigene Faust handeln, aber zum Abschluss der Konferenz will auch der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu sprechen.
Und Präsident Jitzchak Herzog lädt am Vorabend in seine Residenz – laut Diaspora-Minister ist das die Auftaktveranstaltung der Konferenz. Am Mittwoch gab das Staatsoberhaupt bekannt, dass es nur bestimmte Teilnehmer einlädt und der Empfang in seinen Augen nicht offizieller Teil der Konferenz ist. Es soll sich bei den Gästen dann wohl nur um Vertreter jüdischer Organisationen weltweit handeln, berichtet die israelische Zeitung „Haaretz“.

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Die Einladung radikaler Kräfte ist kein Ausrutscher. Die Regierungspartei Likud von Netanjahu sucht angesichts der Kritik an dessen Politik in den besetzten palästinensischen Gebieten neue politische Allianzen in Europa.
Neue Partner im EU-Parlament
Ende Februar hat Außenminister Gideon Saar die israelischen Diplomaten in Frankreich, Schweden und Spanien angewiesen, mit der bisherigen Politik zu brechen und Kontakte zu den rechtsextremen Parteien Rassemblement National, Schwedendemokraten und Vox aufzunehmen. Das war aufgrund von deren oft antisemitischen Wurzeln und Einstellungen bisher ein Tabu.
Bereits Anfang Februar hatte der Likud, der im EU-Parlament einen Beobachterstatus hat, sich dort der Fraktion „Patrioten für Europa“ angeschlossen, in der rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien zusammengeschlossen sind. Dort arbeitet der Likud mit Viktor Orbáns Fidesz-Partei, Marine Le Pens Rassemblement National oder Geert Wilders Freiheitspartei zusammen.

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Zuvor hatte sich die israelische Regierungspartei in der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformer verortet. Dort sind die polnische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und die italienische Fratelli d’Italia von Regierungschefin Giorgia Meloni vertreten.
Wo steht der Likud politisch?
Für die Leiterin des Programms der Beziehungen zwischen Europa und Israel am israelischen Mitvim-Institut ist die Sache klar: Die jüngsten Entwicklungen seien der Beleg, dass der Likud „integraler Teil der extremen, illiberalen populistischen Rechten“ ist, sagte Maya Sion-Tzidkiyahu gegenüber „Haaretz“.
Der Likud zählt zu dieser neuen Bewegung illiberaler Parteien.
Peter Lintl, Politikwissenschafter
Auch der Israel-Experte der Stiftung für Wissenschaft und Politik, Peter Lintl, zählt ihn „zu dieser neuen Bewegung illiberaler Parteien“. Seit Mitte der 2000er Jahre beobachtet er eine „Transformation des Likud zu einer rechtspopulistischen Formation“.
Die Rechtspopulisten eine die Ablehnung von Universalismus, der Fokus auf eine oft ethnisch definierte Nation, die Geringachtung von Medien und Justiz sowie eine Ablehnung von Migration, insbesondere aus islamisch geprägten Staaten, sagt Lintl. Sie machten zudem Muslime für den Antisemitismus in Europa verantwortlich.

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Nach Ansicht des französischen Experten für Rechtsextremismus, Jean-Yves Camus, teilen der Likud und die europäischen Rechtspopulisten die Ansicht, „dass ihre Zivilisation durch den Islam und eine bestimmte Linke, Stichwort ,Wokismus’, gefährdet ist“, sagt er dem Tagesspiegel.
Was ist mit dem Antisemitismus der neuen Partner?
Mit den teilweise antisemitischen Wurzeln und Äußerungen vieler europäischer rechtspopulistischer Parteien und Politiker scheint man in Israel kein Problem zu haben.
„Ganz offensichtlich wird dies weitgehend ignoriert, solange die Parteien sich pro-israelisch äußern“, sagt Lintl. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán, mit dem Netanjahu seit Langem gute Kontakte unterhält, „ist hier das prominenteste Beispiel“.
Auch der französische Wissenschaftler Camus sieht den Grund für die Kursänderung im Hinblick auf den RN in Frankreich darin, dass Marine Le Pen seit dem Überfall der Hamas am 7. Oktober 2023 die Politik der israelischen Regierung und ihr Vorgehen im Gazakrieg rückhaltlos unterstützt habe.

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Sie habe anders als andere europäische Parteien und Regierungen keine Kritik geäußert und die israelische Position übernommen, dass man keinen palästinensischen Staat anerkennen könne, weil das einer Anerkennung der Hamas gleichkäme.
„Aus Sicht Israels kann man Marine Le Pen seit dem 7. Oktober nichts vorwerfen“, sagt Camus. Allerdings zeigten Untersuchungen, dass die antisemitischen Einstellungen bei Sympathisanten des RN immer noch am höchsten seien.
Radikale Kritik am Gazakrieg kommt in Frankreich von der extrem linken Partei des Jean-Luc Mélenchon (LFI), wobei einige Vertreter grenzwertige Positionen vertreten.
Entsetzt ist Camus besonders darüber, dass von der spanischen Vox-Partei deren EU-Abgeordneter Hermann Tertsch zu der Antisemitismus-Konferenz eingeladen wurde. „Dessen Vater war ein überzeugter österreichischer Nazi, der 1933 der NSDAP beigetreten ist, es bis zum SA-Sturmführer geschafft hat und nach dem Krieg nach Franco-Spanien floh“, sagt er.
Aber Vox ist ein nützlicher Verbündeter: Ihr Vorsitzender Santiago Abascal ist aus Protest gegen die Anerkennung eines palästinensischen Staates durch die spanische Regierung 2024 zu einem Solidaritätsbesuch nach Israel gefahren. Dort wurde er von Netanjahu empfangen.
Rechtspopulisten als Bekämpfer des Antisemitismus?
Nach Ansicht von Peter Lintl entbehrt es „sicher nicht der Ironie“, dass nun ausgerechnet Rechtspopulisten zum Gespräch über die Bekämpfung des Antisemitismus nach Israel eingeladen werden. Er sieht die Erklärung auch in der Person des Diaspora-Ministers Chikli.
Die Lernkurve ist hier nicht besonders steil.
Peter Lintl zum Umgang Deutschlands mit dem radikalen israelischen Diaspora-Minister
„Chikli ist derjenige, der am engagiertesten den Kontakt auch zu rechtsextremen europäischen Parteien sucht.“ Der Grundgedanke dieser Konferenz scheine zu sein, „dass alles links von Chiklis Position israelkritisch und propalästinensisch und damit mindestens latent antisemitisch ist“.
Auswirkungen auf Zusammenarbeit mit Deutschland
Darum verwundert es Lintl, dass mit Felix Klein nun zum wiederholten Male ein deutscher Vertreter einer Einladung des radikalen Diaspora-Ministers zunächst gefolgt ist.
Nach öffentlichem Protest unter Hinweis auf dessen politische Einstellung hätten dann entweder Chikli oder die deutschen Beteiligten in der Vergangenheit wieder abgesagt, erklärt Lintl. „Die Lernkurve ist hier nicht besonders steil.“
„Aber letztlich sollte klar sein, dass weite Teile dieser israelischen Regierung ähnliche politische Positionen beziehen – das gilt eben auch für den Likud, nicht nur für die rechtsextremen Koalitionspartner in der israelischen Regierung“, sagt Lintl.

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Der Antisemitismusbeauftragte Klein erklärte gegenüber dem Tagesspiegel, dass zum Zeitpunkt seiner Zusage nur das Programm und als weitere Referenten der israelische Politiker Nathan Sharansky sowie der argentinische Präsident Javier Milei bekannt waren. „Eine umfassende Teilnehmerliste wurde erst weit nach meiner Zusage publik.“
Daraufhin habe er seine Teilnahme abgesagt, weil er nicht zusammen mit Personen auftreten oder auf einem Panel sitzen wollte, „zu denen die jüdischen Gemeinden in der Diaspora keine Kontakte pflegen“. Das sei auch nicht mit seinem Bestreben zu vereinbaren, „auch im innerdeutschen Diskurs um die Erhaltung der ‚Brandmauer‘ zu rechtsextremen Parteien klar Stellung zu beziehen“.
Israelische Interessen
Neu ist die Hinwendung der israelischen Regierungen zu illiberalen und populistischen Kräften in Europa nicht.
Regierungen, die die Positionen der israelischen Regierung im Konflikt mit den Palästinensern übernehmen, sind schon länger als Verbündete willkommen. Auch, um die EU zu spalten und damit israelkritische Positionen zu verhindern.

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Am besten funktioniere das mit ideologisch ähnlich Gesinnten wie Viktor Orbán, sagt Lintl. Aber in der Finanzkrise habe Israel auch eine Kooperation mit Griechenland entwickelt, das anschließend innerhalb der EU gegen israelkritische Positionen stimmte.
Sicher hat man in Israel auch beobachtet, dass die Rechtspopulisten bei den jüngsten Wahlen in Europa stets zugelegt haben und teilweise, wie in Frankreich, die stärkste Fraktion im Parlament stellen.
„Man bereitet sich wohl darauf vor, dass Le Pens Partei eine Mehrheit bekommt oder sie 2027 Präsidentin wird“, sagt Camus im Hinblick auf die neue Beziehung zum Rassemblement National.
Reinwaschung von Antisemitismusvorwürfen
Umgekehrt gelten den europäischen Rechtspopulisten Kontakte und Einladungen der israelischen Regierung als „Gütesiegel“ im Hinblick auf die Vorwürfe wegen Antisemitismus.

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Der erste Vizepräsident des RN in Frankreich, Louis Alliot, bejubelt die offizielle Einladung von Parteichef Bardella nach Israel denn auch als „das Ende der Dämonisierung“ der Partei.
Fraktionschefin Le Pen bemüht sich seit Jahren, die antisemitischen Äußerungen und Einstellungen ihres Vaters und Parteigründers vergessen zu lassen, um mehrheitsfähig zu werden.
Und die AfD?
Von ihr hält selbst Minister Chikli weiterhin Abstand. Da passt es gut, dass die AfD nicht Mitglied der EU-Parlamentsfraktion „Patrioten für Europa“ ist, mit der der Likud nun zusammenarbeitet. Lintl weist aber darauf hin, dass es innerhalb der israelischen Rechten durchaus Stimmen gibt, die eine Annäherung an die AfD fordern.
„Aber für die meisten scheint der Schritt zu groß zu sein aufgrund des völkischen Teils der AfD, der die NS-Vergangenheit relativiert.“ Die Aussagen von Björn Höcke oder Maximilian Krah würden jedoch auch in der israelischen Rechten rezipiert.
Jüdische Gemeinden in Europa
Rechtsextremismusforscher Camus ist auch ein guter Kenner der jüdischen Vertretungen und Gemeinden in Frankreich. Hier werde die Annäherung an rechtspopulistische Parteien teilweise mit großer Sorge und Unwohlsein betrachtet, betont er.
„In Frankreich fürchten viele, dass ihr Judentum mit dieser israelischen Politik assoziiert wird.“ Das könne sogar die Gemeinden „in Gefahr“ bringen.
Allerdings räumt Camus ein, dass auch Mitglieder Marine Le Pen ihre Stimme gegeben haben. Prominentestes Beispiel: der ehemalige „Nazi-Jäger“ Serge Klarsfeld.
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