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Regierungschef Ulf Kristersson mit Parteikollegin Maria Malmer Stenergard

© AFP/Jessica Gow/TT

Maßnahme erreicht „bestenfalls“ 700 Menschen jährlich: Warum Schweden Migranten 30.000 Euro Rückkehrprämie zahlen will

Schwedens Regierung will Geflüchteten Zehntausende Euro für die freiwillige Ausreise zahlen – obwohl ihr eigener Untersuchungsbericht das für sinnlos hält. Warum vor allem eine Partei das Projekt trotzdem umsetzen will.

Stand:

Sichtbar stolz lud Maria Malmer Stenergard Anfang August zu einer Pressekonferenz ein. „Das sollten Sie nicht verpassen“, schrieb die damalige schwedische Migrationsministerin auf dem Kurznachrichtendienst X (vormals Twitter) und wollte nur einen Tag später richtig gute Nachrichten verkünden.

Es wandern mehr Menschen aus als ein, enthüllte sie gut 24 Stunden danach in Stockholm. Die Zahl der Asylanträge sei auf einem historischen Tiefstand, auch die asylbezogenen Aufenthaltsgenehmigungen gingen im größten nordeuropäischen Land weiter zurück. „Die Bemühungen der Regierung zahlen sich aus“, triumphierte die Politikerin der Moderaten Sammlungspartei (M). „Zum ersten Mal seit 50 Jahren hat Schweden eine Nettoauswanderung.“

Schwedens liberalkonservative Minderheitsregierung scheint zwei Jahre nach Amtsantritt den versprochenen Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik geschafft zu haben – mit harter Asyl- und Einwanderungskritik konnten die konservativen Moderaten, gemeinsam mit den Juniorpartnern der Liberalen und Christdemokraten die Reichstagswahl 2022 für sich entscheiden.

Bürgerliche Regierung übernimmt rechte Forderung

Ihre Regierungsgeschäfte stützen alle drei Koalitionspartner aber auf einen wichtigen Mehrheitsbeschaffer im Parlament: Die rechten Schwedendemokraten (SD), zweitstärkste Kraft im Hohen Haus in Stockholm, arbeiten aktiv mit der Dreierkoalition zusammen.

Zur Halbzeit der Legislaturperiode scheint die Rechte die Dividende dafür einstreichen zu wollen.

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Milliarden Kronen will Schwedens Regierung allein 2026 für freiwillige Ausreisen ausgeben.

Denn Stockholm ist nun bereit, weitere Maßnahmen zu ergreifen, um die sogenannte freiwillige Ausreise weiter zu steigern, und bietet Rückreisewilligen ab 2026 eine Prämie von 350.000 Kronen (etwa 30.900 Euro) – 35-mal mehr als bisher.

Derzeit können Migrantinnen und Migranten knapp 880 Euro pro volljähriger Person und 440 Euro pro Kind erhalten, insgesamt aber maximal gut 3500 Euro pro Familie.

Insgesamt stellt die Regierung allein für freiwillige Ausreisen 1,4 Milliarden Kronen (123 Millionen Euro) 2026 bereit, im darauffolgenden Jahr zusätzlich knapp eine Milliarde Kronen. Zudem sollen 105 Millionen Kronen (9,2 Millionen Euro) unter anderem für Informationskampagnen ausgegeben werden, die das Angebot besser vermarkten sollen. Das teilte Schwedens Regierung bei der Vorstellung des neuen Haushalts vergangene Woche mit.

Chef der rechten SD: Jimmie Åkesson will seine Partei bei der nächsten Wahl in Regierungsverantwortung führen.

© REUTERS/TT NEWS AGENCY

Die bürgerliche Minderheitsregierung um Ministerpräsident Ulf Kristersson setzt damit durch, was die rechten Schwedendemokraten seit Jahren vehement fordern: Die Rückkehr von Ausländern in ihre Heimatländer war eines ihrer Hauptziele im Wahlkampf 2022.

Das erhöht nicht gerade die Bereitschaft, sich in die Gesellschaft zu integrieren.

Benny Carlson, emeritierter Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Lund

Im Parteiprogramm forderten die Rechten, die in den 80er Jahren bereits „Schweden den Schweden“ skandierten, eine Integrationspolitik, die unter anderem auf dem Grundsatz beruhen soll, dass man „dorthin geht, wo man herkommt“. Ein SD-Politiker warb zudem mit einem Stockholmer U-Bahn-Zug mit blau-gelber Parteiwerbung um Stimmen: „Willkommen im Rückführungszug. Sie haben ein One-Way-Ticket. Nächster Halt: Kabul!“

Einziges Problem: Eine eigens von der Regierung eingesetzte Untersuchung stellte bereits im Sommer fest, dass erhöhte Zuschüsse kaum deutlich mehr Menschen zum Auswandern animieren würden. Das rechtskonservative Bündnis in Stockholm plant zwar mit 4000 freiwilligen Ausreisen 2026 und anschließend etwa 2600 Personen jährlich, die durch die 30.000 Euro angelockt werden sollen.

Wechselte nach zwei Jahren als Migrationsministerin Anfang September ins Außenministerium: Maria Malmer Stenergard

© dpa/Virginia Mayo

Der offizielle Bericht erteilt dem aber eine klare Absage – und stützt sich dabei unter anderem auf Daten aus Dänemark, die ebenfalls mit hohen Beträgen wie bald in Schweden um Freiwillige werben. „Bestenfalls“ ließen sich mit 30.000 Euro Zuschuss zur Ausreise 700 Personen jährlich locken, Geflüchtete aus armen Ländern oder Krisen- und Kriegszonen würden zudem mit „ziemlicher Wahrscheinlichkeit nicht freiwillig“ ausreisen. Gerade die wollen die rechten Schwedendemokraten aber loswerden.

Zudem setzten hohe Subventionen ein falsches Zeichen und würde die Integration von Geflüchteten zusätzlich erschweren, schreibt Joakim Ruist in seinem Bericht an die Regierung. Dies könnte Folgen für die bestehende Erwerbsbeteiligung der Migrantinnen und Migranten als auch für deren Kriminalitätsraten haben.

Schwedendemokraten im Stimmungstief

Benny Carlson, emeritierter Professor für Wirtschaftsgeschichte an der Universität Lund, hält Geldanreize weitgehend für Symbolpolitik. Die Maßnahme zeige vor allem, dass die schwedische Regierung so viele Einwanderer wie möglich loswerden will. „Das erhöht nicht gerade die Bereitschaft, sich in die Gesellschaft zu integrieren“, sagt Carlson dem Tagesspiegel.

Für die Integration sei es viel wichtiger, es Einwandernden zu erleichtern, Arbeit zu finden oder Unternehmen zu gründen. „Schweden ist unbestreitbar ein Land mit Hindernissen verschiedenster Art, die den Eintritt in die Gesellschaft erschweren.“

Trotz der nun verkündeten Prämie, die die Schwedendemokraten als eigenen Erfolg verkaufen können, herrscht bei den Rechten seit einiger Zeit Katerstimmung: Bei der Europawahl im Juni musste die Partei erstmals in ihrer Geschichte eine Wahlniederlage verkraften. Nach zwei Jahren in Regierungsverantwortung scheint die Stammwählerschaft enttäuscht.

Die größte Herausforderung liege in der zweiten Mandatsperiode vor seiner Partei, sagte SD-Politiker Mattias Bäckström Johansson der Tageszeitung „Dagens Nyheter“ Ende August. Vor der nächsten Wahl 2026 wolle man Ergebnisse liefern, die ohne die Rechten als Mehrheitsbeschaffer nicht möglich gewesen wären.

Unbestreitbar haben die Schwedendemokraten Erfolge nötig. Laut der jüngsten Meinungsumfrage des öffentlich-rechtlichen Fernsehsenders SVT kommen sie auf die niedrigsten Zustimmungswerte seit mehr als einem Jahr. Mit repressiver Migrationspolitik scheinen sie sich in den verbliebenen zwei Jahren der Legislatur auf ihr Kerngeschäft konzentrieren zu wollen.

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