
© imago images/Andreas Vitting
Mit Handelverträgen zu mehr Gleichberechtigung : Wenn die Schweiz Indonesien kontrolliert – und Indonesien die Schweiz
Im globalen Handel müssen Paternalismus und Protektionismus dem Prinzip der Partnerschaft weichen. Damit lassen sich auch ökologische Standards durchsetzen. Ein Gastbeitrag.

Stand:
Protektionismus – das ist der Vorwurf, mit dem sich viele Industrieländer konfrontiert sehen, wenn sie in Handelsverträgen mit Entwicklungs- und Schwellenländern auf die Einhaltung ökologischer und sozialer Standards dringen.
Die Gegenposition lautet: Handelsbeziehungen, die sich an ökologischen und sozialen Kriterien orientieren, bieten Entwicklungs- und Schwellenländern nicht nur kurz- und mittelfristig ökonomische Entwicklungsperspektiven, sie wirken sich für sie auch auf lange Sicht positiv aus, da Nachhaltigkeitsaspekte berücksichtigt werden.
Außerdem könne man davon ausgehen, dass solche Verträge auch reichere Staaten unter Zugzwang setzen würden, sich selbst im eigenen Land für mehr Nachhaltigkeit einzusetzen. Wie also sollte der Handel reguliert werden, um möglichst vielen möglichst viel Wohlstand zu bringen?
Diese Frage ist nicht zuletzt im Zusammenhang mit dem europäisch-kanadischen Handelsabkommen Ceta aktueller denn je, auch wenn sie auf den ersten Blick erstaunen mag. Nach wie vor wird argumentiert, der Freihandel solle nicht durch Regulierung behindert werden, da sonst keine hohen Wohlfahrtsgewinne für alle Beteiligten möglich wären.
Tatsächlich aber zeigte sich spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg, dass gewisse Regeln für den internationalen Handel unabdingbar sind. Zunächst ging es darum, der Praxis von Industrieländern einen Riegel vorzuschieben, einheimische Produkte durch Importzölle vor konkurrierenden, preisgünstigeren Produkten aus dem Ausland zu schützen.
Hinzu kam, dass vor allem Entwicklungsländer häufig nur Rohstoffe exportieren konnten, deren wohlfahrtssteigernde Weiterverarbeitung jedoch den Industrieländern vorbehalten blieb.
Zudem verzerrten Subventionen für einheimische Produkte deren Preise und auch die auf ihnen basierenden Handelsströme. Vor allem diese Aspekte sorgten dafür, dass komparative Kostenvorteile für bestimmte Produkte, die eigentlich die Handelsströme lenken und Wohlfahrtsgewinne maximieren sollten, an Bedeutung verloren.
Die USA haben die WTO aktuell lahmgelegt
Um den Fehlentwicklungen entgegenzuwirken, trat 1948 das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT) in Kraft, dass 1994 durch das Marrakesch-Abkommen abgelöst wurde, dem 1995 die Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) folgte, die heute 164 Mitgliedsländer hat und deren Regeln für 98 Prozent des weltweiten Handels gelten. Zumindest sollten sie es. Da aber die USA seit Jahren die Neubesetzung des für Streitfälle zuständigen Schiedsgerichts blockieren, ist die WTO mehr oder weniger paralysiert.
Gerade weil das Schiedsgericht lahmgelegt ist, dürfte die Regulierung des Handels heute wichtiger denn je sein: Im Interesse hoher wechselseitiger Wohlfahrtsgewinne sollten Handelsbeziehungen wieder an den jeweiligen komparativen Kostenvorteilen ausgerichtet werden – und nicht an geopolitischen Aspekten oder Vorteilen für einheimische Interessensgruppen.
Denn anders als im 18. Jahrhundert, als die Philosophie des Freihandels entwickelt wurde, weiß man heute: Eine weltweite wirtschaftliche Entwicklung ist auf Dauer nur dann erfolgreich, wenn die natürlichen Ressourcen nicht überstrapaziert werden, wenn also beispielsweise der globale Klimawandel abgebremst und der Faktor Arbeit in hoher Qualität gesichert werden kann.
Letzteres ist nicht möglich ohne funktionierende Bildungs- und Gesundheitssysteme sowie ausreichende Ernährung. Es ist aber auch nicht möglich ohne ein ausreichendes Einkommen, mit dem über die Erfüllung von Grundbedürfnissen hinaus Kaufkraft entsteht, die für möglichst wenig Arbeitslosigkeit und möglichst viel Wohlstand sorgt.
All diese Ziele finden sich in den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen, den Sustainable Development Goals (SDGs). Sie wurden 2016 in Kraft gesetzt und sollen bis 2030 verwirklicht werden.
Eines der ersten Handelsabkommen, die explizit konkrete Klauseln zu ökologischen und sozialen Standards auf Produktebene enthalten, ist der im vergangenen November in Kraft getretene Vertrag zwischen der Schweiz und Indonesien. In ihm spielt Palmöl eine zentrale Rolle: Importiert die Schweiz Palmöl aus Indonesien, gelten niedrigere Zollsätze, wenn sichergestellt ist, dass die Palmölproduktion aus ökologischer und sozialer Sicht nachhaltig ist.
Die Einhaltung der Nachhaltigkeitsanforderungen zu kontrollieren, ist zwar schwierig und der direkte Konnex von Nachhaltigkeit und Zollreduktion findet sich etwas versteckt im Vertragstext. Das Abkommen ist aber dennoch richtungsweisend: Denn auch die Schweiz verpflichtet sich, die ökologischen und sozialen Klauseln einzuhalten.

© picture alliance/dpa
Bern kann also im Rahmen von Zertifizierungsverfahren die Produktionsweise auf indonesischen Palmölplantagen beeinflussen. Umgekehrt kann aber auch Jakarta höhere Zölle auf importierte Schweizer Produkte verhängen, wenn diese nicht nachhaltig produziert worden sind – beispielsweise wegen eines hohen Einsatzes an fossilen Energieträgern.
Sind SDGs ernst gemeint, und akzeptieren Industrie- wie Entwicklungs- und Schwellenländer regionale und globale Nachhaltigkeitsziele, können Handelsabkommen mit Umwelt- und Sozialklauseln offensichtlich vorteilhaft für beide Seiten sein. Zugleich bieten Verträge wie der zwischen der Schweiz und Indonesien die Möglichkeit, sich gegenseitig auf unzureichende Bemühungen im Bereich nachhaltiger Produktion hinzuweisen.
Solche Hinweise dürften alles andere als akademischer Natur sein. Ihre Verbindung mit konkreten Handelsinteressen läuft vielmehr auf eine verstärkte Berücksichtigung von Nachhaltigkeitsaspekten hinaus.
Paternalistische Ansätze nach dem Motto „Land A“ (in der Regel ein Industrieland) weiß schon, was gut ist für „Land B“ (in der Regel ein Entwicklungs- oder Schwellenland), würden endlich durch partnerschaftliche Ansätze abgelöst. Eine solche „kopernikanische“ Wende dürfte letztlich auch darauf hinauslaufen, dass Kontrollinstanzen und Sanktionsmechanismen an Bedeutung verlören. Voraussetzung dafür wäre freilich, in puncto Nachhaltigkeitsmaßnahmen deutlich mehr Transparenz herzustellen.
Insgesamt sollte das Ende des Paternalismus und der Beginn der Partnerschaft eine Eigendynamik in Richtung mehr Nachhaltigkeit in Gang setzen können – und im besten Fall die Überstrapazierung unserer natürlichen Ressourcen beenden.
Es drängt sich der Eindruck auf: Baut man in Handelsabkommen ökologische und soziale Klauseln ein, die in beide Richtungen gelten, läuft das gerade nicht auf Protektionismus gegenüber Entwicklungs- und Schwellenländern hinaus.
In Wirklichkeit ist das Gegenteil der Fall: Neben direkten ökonomischen Vorteilen könnten importierende wie exportierende Länder zusätzlich Fortschritte in Sachen Nachhaltigkeit erreichen und so mithelfen, die Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen zu verwirklichen. Das wäre eine Win-win-Situation für alle Beteiligten.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: