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Britischer Ex-Premier Boris Johnson kämpft mit der Wahrheit rund um die Partygate-Affäre.

© REUTERS/Peter Nicholls

Nachwehen von „Partygate“ : Hat Boris Johnson das Unterhaus wissentlich belogen?

Der britische Ex-Premier muss vor Parlamentsausschuss aussagen. Er könnte suspendiert werden und seinen Abgeordnetensitz verlieren.

Hat Boris Johnson als Premierminister das Unterhaus belogen? Machte er zu den zahlreichen Lockdown-Partys an seinem Amtssitz in der Downing Street wissentlich oder unwissentlich falsche Angaben?

Und schließlich: Informierte er die Abgeordneten gemäß der parlamentarischen Geschäftsordnung so rasch wie möglich über Mitteilungen, die sich als falsch herausgestellt hatten?

Um diese drei Fragen wird sich alles drehen, wenn an diesem Mittwoch der Integritätsausschuss des Unterhauses Alexander Boris de Pfeffel Johnson (58) in den Zeugenstand ruft. Ungewöhnlicherweise wird die Anhörung live im Fernsehen übertragen.

Johnson hat Staranwalt dabei

In einer schriftlichen Verteidigung, die am Dienstag veröffentlich wurde, gab der Lockdown-Sünder die Verteidigungslinie vor: Das Komitee habe „keinerlei Beweise“ dafür, dass er „vorsätzlich oder leichtsinnig“ das Unterhaus angeschwindelt habe. Er akzeptiere, dass in einigen seiner Aussagen »das Unterhaus in die Irre geführt worden« sei und er entschuldige sich dafür, betonte Johnson. Vorsichtshalber wird Johnson den ebenso berühmten wie teuren Kronanwalt Lord David Pannick an seiner Seite haben, auf Kosten der Steuerzahler.

Der Boris-Effekt auf das Abschneiden meiner Partei scheint abzunehmen.

Lord Robert Hayward, konservativer Meinungsforscher

Für Johnson geht es um viel. Das siebenköpfige Gremium kann Sanktionen vorschlagen, welche von der gesamten Parlamentskammer abgesegnet werden müssen, was normalerweise Formsache ist.

Die Strafen reichen von der Verpflichtung zu einer förmlichen Entschuldigung bis hin zur 30-tägigen Suspendierung vom Hohen Haus, was automatisch eine Nachwahl im West-Londoner Wahlkreis Uxbridge zur Folge hätte.

Ob die Karriere des herausragenden Politikers, der seinen scharfen Verstand gern hinter flotten Sprüchen und zerzausten Haaren verbirgt, damit endgültig beendet wäre? Lang haben die Briten dem weißblonden Spaßvogel in der Downing Street fast alles verziehen und ihm 2019 einen triumphalen Wahlsieg beschert.

Je deutlicher sich sein damaliger Slogan „Den Brexit vollenden“ (Get Brexit done) als – wissentliche oder unwissentliche? – falsche Versprechung herausstellt, desto stärker wendet sich die Bevölkerung aber von ihrem einstigen Liebling ab.

83
Menschen verstießen im Kontext der Affäre gegen Corona-Vorschriften und damit gegen geltendes Recht.

„Der Boris-Effekt auf das Abschneiden meiner Partei scheint abzunehmen“ urteilt der vorsichtige konservative Meinungsforscher Lord Robert Hayward. „Das ist gut für die Torys.“

Sunak „nicht fokussiert“ auf den Vorgang

So wird es Johnson-Nachfolger Rishi Sunak auch sehen. Der Premierminister parierte zu Wochenbeginn alle Fragen zum bevorstehenden Hearing mit Hinweis auf die „normalen“ Gepflogenheiten des Parlaments.

Ausdrücklich mochte sich der 42-Jährige auch nicht jener Gruppe von Boris-Getreuen um die Ex-Minister Nadine Dorries und Jacob Rees-Mogg anschließen, die den Integritätsausschuss schon vorab als politisch voreingenommenes „Känguru-Gericht“ verunglimpften. Er sei, teilte Sunak mit, auf den Vorgang „nicht fokussiert“.

Die Mitglieder des Ausschusses sind das mittlerweile schon. Nachdem sich der Vorsitzende Chris Bryant wegen allzu Johnson-kritischer Äußerungen entschuldigt hatte, übernahm die Labour-Veteranin Harriet Harman das Zepter.

Downing Street Nr. 10 in London: Hier fanden die verbotenen Partys während der Lockdowns statt.
Downing Street Nr. 10 in London: Hier fanden die verbotenen Partys während der Lockdowns statt.

© Toby Melville/REUTERS

Die 72-Jährige will nach 41 Jahren Zugehörigkeit nicht mehr für das Unterhaus kandidieren, hat also ebenso wenig zu verlieren wie der prominenteste Tory Bernard Jenkin (63). Insgesamt gehören dem Ausschuss vier Konservative, zwei Labour-Leute sowie ein Abgeordneter der schottischen Nationalpartei SNP an.

In den gut drei Jahren seiner Amtszeit bis September 2022 hatte sich Johnson nie um Gepflogenheiten oder Vorschriften geschert; das Parlament behandelte er häufig wie ein lästiges Hindernis. Ob er in der Anhörung zu einem nüchternen Stil findet? Davon dürfte die Schärfe manchen Urteils abhängen.

Keine Zweifel an Rechtsbrüchen während der Lockdown-Partys

Denn an den Tatsachen gibt es wenig zu rütteln. Der Premier hatte im Winter 2021/22 die Existenz von Lockdown-Partys zunächst geleugnet, später seine eigene Unkenntnis beteuert. Dabei ließ der Bericht von Spitzenbeamtin Sue Gray keine Zweifel an den systematischen Rechtsbrüchen in der Downing Street: Alkohol-Gelage bis tief in die Nacht, mit Partymüll übersäte Büros, offener Hohn für Sicherheitsbeamte und Putzpersonal.

Einer separaten Untersuchung der Kriminalpolizei zufolge verstießen 83 Menschen gegen Corona-Vorschriften und damit gegen geltendes Recht. Zu all jenen, die Geldstrafen bezahlen mussten, zählte außer Johnson selbst auch dessen Frau Carrie sowie der damalige Finanzminister Sunak.

Beide hatten im Juni 2020 an einer Geburtstagsparty für den Premier teilgenommen. Dieser übernahm später für die Zustände am Regierungssitz „die volle Verantwortung“, wies Rücktrittsforderungen der Opposition jedoch genervt zurück. Im Juli zwang ihn die eigene Fraktion dazu.

In einer schriftlichen Verteidigung gab der Lockdown-Sünder die Verteidigungslinie vor: Das Komitee habe „keinerlei Beweise“ dafür, dass er „vorsätzlich oder leichtsinnig“ das Unterhaus angeschwindelt habe. Er akzeptiere, dass in einigen seiner Aussagen »das Unterhaus in die Irre geführt worden« sei und er entschuldige sich dafür, betonte Johnson. Mal sehen, ob Harman und ihre Kollegen die Sache ähnlich entspannt sehen.

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