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Netanjahu spricht vor der UN-Vollversammlung: Verkündet Israels Regierungschef heute die Annexion von Teilen des Westjordanlandes?
Trump und Baerbock warnten Netanjahu bereits deutlich vor einer Annexion des Westjordanlandes. Für arabische Staaten wäre damit eine rote Linie überschritten.
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Schon 2020 soll es final vorbereitete Pläne für eine Annexion von israelischen Siedlungen im Westjordanland gegeben haben. Nur wegen des sogenannten Abraham-Abkommens – Israel hatte diplomatische Beziehungen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain aufgenommen – kamen sie dann laut Berichten nicht zur Sprache. Spätestens aber mit der Wiederwahl Donald Trumps als US-Präsident keimten bei Israels Hardlinern wieder Hoffnungen auf, dass ihre Annexionsträume wahr werden könnten.
Benjamin Netanjahus rechtsextreme Minister Itamar Ben Gvir und Bezalel Smotrich machen aus ihren Zielen schon länger keinen Hehl. Zuletzt drängten beide den israelischen Regierungschef dazu, das Westjordanland zu annektieren, das sie als Teil des biblischen Israels betrachten.
Heute um 15 Uhr spricht Netanjahu als einer der Hauptredner vor der UN-Vollversammlung. Hat er vor, dort eine Annexion von Teilen des Westjordanlandes zu verkünden? Zumindest warnten sowohl Trump als auch Bundesaußenminister Johann Wadephul und seine Vorgängerin, die neue Präsidentin der UN-Vollversammlung, Annalena Baerbock, Netanjahu vehement vor einem solchen Schritt.
Trump, Wadephul und Baerbock warnen
„Ich werde es Israel nicht erlauben, das Westjordanland zu annektieren“, sagte Trump im Weißen Haus. „Es reicht. Es ist Zeit, aufzuhören.“
Wadephul warnte: „Jegliche Schritte zu einer völkerrechtswidrigen Annexion von besetzten Gebieten untergraben die Chance, den Konflikt nachhaltig zu lösen.“
Und Baerbock erinnerte an die Grundprinzipien der UN-Charta. „Annexion ist verboten, genauso wie im humanitären Völkerrecht es verboten ist, humanitäre Hilfe als Kriegswaffe einzusetzen“, sagte die frühere deutsche Außenministerin der Deutschen Presse-Agentur in New York. Im Gaza-Krieg brauche es dringend einen Waffenstillstand, „damit die Geiseln freikommen, damit humanitäre Hilfe nach Gaza reinkommt“.
Die Formulierungen in der UN-Charta und auch die mehrheitliche Position der Mitgliedstaaten seien sehr klar, sagte Baerbock: „Jedes Land auf dieser Welt hat ein Recht auf Selbstbestimmung.“ Schon in einer der ersten UN-Resolutionen des 20. Jahrhunderts sei es darum gegangen, „dass Palästinenser in ihrem eigenen Staat friedlich neben dem Staat Israel leben können, der natürlich auch in Sicherheit leben muss“. Das sei „eine Grundprämisse der Vereinten Nationen. Und daran hat sich jeder Staats- und Regierungschef eigentlich zu halten, denn die Charta der Vereinten Nationen gilt für jedes Land.“
Auf die Frage, ob sie erwarte, dass der israelische Regierungschef – wie von vielen befürchtet – eine vollständige Annexion des Westjordanlandes verkünden werde, entgegnete Baerbock: „Dazu kann ich nichts sagen. Ich kann das nicht vorhersehen.“
Der US-Sender CNN hatte jüngst berichtet, Netanjahu erwäge eine schrittweise Annexion, um internationale Kritik abzufedern – und um sich offenzuhalten, im Gegenzug für eine Normalisierung der Beziehungen mit Saudi-Arabien, die Israel anstrebt, von einer Annexion des gesamten Gebiets abzusehen.
Netanjahu will offenbar erst mit Trump sprechen
Der israelische Regierungschef will Medienberichten zufolge aber erst nach seinem für Montag geplanten Treffen mit Trump eine abschließende Entscheidung treffen. „Die Antwort auf den jüngsten Versuch, uns einen Terrorstaat mitten in unserem Land aufzuzwingen, wird nach meiner Rückkehr aus den USA gegeben“, hieß es aus seinem Büro.
Arabische Staaten machten im Vorfeld bereits klar, dass eine Annexion des Westjordanlandes für sie eine rote Linie wäre. In israelischen Medien wird zudem spekuliert, dass Netanjahu ohne grünes Licht von Trump – die USA sind als Weltmacht der wichtigste Verbündete – eine Annexion nicht forcieren würde.
Netanjahu hat in seiner Rede wohl vor allem Frankreich im Visier
Stattdessen wird er laut Berichten in seiner Rede am Freitag vor allem die Anerkennung eines Palästinenserstaates von westlichen Staaten verurteilen. Insbesondere auf Frankreich hat er es in seiner Rede offenbar abgesehen, wie eine damit vertraute Quelle der „Times of Israel“ sagte.
Frankreich, Großbritannien, Kanada und weitere westliche Staaten hatten kürzlich einen palästinensischen Staat anerkannt. Weltweit haben das bereits rund 150 der 193 UN-Mitgliedstaaten getan.
Zuletzt hatte Netanjahu diesen eher symbolischen Schritt bereits scharf kritisiert. „Die beschämende Kapitulation einiger Staatschefs vor dem palästinensischen Terrorismus verpflichtet Israel in keiner Weise“, teilte Netanjahus Büro am Mittwochabend mit. „Es wird keinen palästinensischen Staat geben“, unterstrich Netanjahu da erneut.
Zudem wird er sich in seiner Rede laut „Times of Israel“ auch den Chancen im neuen Nahen Osten nach der Niederlage der Hamas zuwenden, insbesondere mit Blick auf die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien. Und er werde Israels Dankbarkeit gegenüber Trump zum Ausdruck bringen.
Diplomaten zufolge wird zudem damit gerechnet, dass zahlreiche Vertreter von Ländern den Raum aus Protest wegen der israelischen Kriegsführung in Gaza verlassen werden.
700.000 Siedler inmitten von drei Millionen Palästinensern
Netanjahus rechtsreligiöse Regierung treibt den Siedlungsausbau im Westjordanland und in Ost-Jerusalem stetig voran. Israel hatte 1967 unter anderem das Westjordanland und Ost-Jerusalem erobert, wo heute Schätzungen zufolge 700.000 bis 800.000 israelische Siedler inmitten von rund drei Millionen Palästinensern leben. Mitte der 90er Jahre waren es noch 150.000 jüdische Siedler, im vergangenen Jahr rund 500.000. Die Palästinenser wiederum beanspruchen die Gebiete für einen eigenen Staat.
Die Bundesregierung, die anderen Staaten in der Anerkennung eines palästinensischen Staats diese Woche nicht folgte, nennt diese Gebiete – wie auch den Gazastreifen – „besetzte Gebiete“ und erkennt keine Änderungen an den Grenzen von vor 1967 an, die nicht zwischen den Konfliktparteien vereinbart worden sind.
Israelische Siedlungen in den besetzten Gebieten bewertet die Bundesregierung als völkerrechtswidrig, ein Hindernis für den Frieden und eine Gefahr für die Grundlagen der Zweistaatenlösung, wie auf der Seite des Auswärtigen Amts zu lesen ist.
Palästinenserpräsident Mahmud Abbas sagte vor der UN-Vollversammlung, dass ein solcher Staat friedlich neben Israel existieren solle. Die Rede wurde per Videoschalte übertragen, da die USA der palästinensischen Delegation keine Visa zur Einreise ausgestellt hatten.
Israel wegen Gaza-Kriegs zunehmend isoliert
Immer mehr westliche Partner wenden sich wegen der aggressiven israelischen Kriegsführung im Gazastreifen von der Regierung des israelischen Ministerpräsidenten ab. Nach Großbritannien und Kanada hatte am Montag unter anderem auch Frankreich den Staat Palästina anerkannt. Slowenien erklärte Netanjahu zur unerwünschten Person und verbietet ihm damit die Einreise. Netanjahu wiederum wirft ihnen vor, damit den Terrorangriff der Hamas vor fast zwei Jahren auf Israel zu belohnen.
Kurz vor seiner UN-Rede traf sich der israelische Ministerpräsident in New York mit den Staatschefs mehrerer verbündeter Länder. Er dankte dem argentinischen Präsidenten Javier Milei, dem serbischen Staatschef Alexandar Vucic und Paraguays Präsidenten Santiago Peña für ihre Unterstützung und sprach mit ihnen über Israels Bemühungen, die von der islamistischen Palästinenserorganisation Hamas in den Gazastreifen verschleppten Geiseln nach Hause zu holen.
In dem abgeriegelten Küstenstreifen befinden sich nach israelischen Informationen noch 48 Geiseln. 20 von ihnen sollen noch am Leben sein. (mit Agenturen)
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