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In einem russischen Gefängnis.

© IMAGO/ITAR-TASS

Exklusiv

Ohne konsularischen Zugang: „Niedrige zweistellige Anzahl“ an Deutschen weiterhin in russischer Haft

16 Menschen hat Russland im Tausch gegen acht Gefangene aus westlichen Staaten freigelassen. Dutzende weitere Ausländer bleiben hinter Gittern. Viele davon haben die deutsche Staatsbürgerschaft.

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Acht zum Teil rechtmäßig verurteilte russische Straftäter mussten mehrere westliche Nationen freilassen, im Gegenzug für die Freilassung von 16 Menschen, die zum Teil unter fragwürdigen Bedingungen von Russland und Belarus zu langjährigen Haftstrafen oder in einem Fall gar zum Tode verurteilt worden waren. Die Erleichterung auf Seiten derer, denen nun drakonische Strafen in russischen Gefängnissen oder Lagern erspart bleiben, dürfte gigantisch sein. 

Der größte Gefangenenaustausch zwischen Russland und dem Westen seit dem Ende des Kalten Krieges wirft aber auch ein Schlaglicht auf hunderte weitere Menschen aus dem Westen, die weiterhin in russischen Gefängnissen einsitzen und denen zum Teil ähnlich fragwürdige Vorwürfe gemacht werden.

Seit zwei Jahren kein Kontakt zu Häftlingen mit deutscher Staatsbürgerschaft

Von einer „niedrigen zweistelligen Anzahl an Personen, die in Russland inhaftiert sind und auch die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen“, weiß man beim Auswärtigen Amt. „Seit etwa zwei Jahren verweigern die russischen Behörden den direkten konsularischen Zugang in Form von Haftbesuchen zu deutsch-russischen Doppelstaatlern“, heißt es auf Anfrage des Tagesspiegels aus dem Haus von Außenministerin Annalena Baerbock. 

„Sie behandeln Personen mit russischer und einer weiteren Staatsangehörigkeit ausschließlich als russische Staatsangehörige“, heißt es weiter. Das Außenamt setze sich in allen Fällen mit Nachdruck für konsularischen Zugang ein. Keine Angaben macht das Ministerium dazu, was den einzelnen Gefangenen vorgeworfen wird. Ob diese Personen sich Hoffnungen machen können, möglicherweise auch Teil eines künftigen Austauschs sein zu können? Völlig unklar.

„In Belarus befindet sich nach Kenntnis des Auswärtigen Amts eine einstellige Zahl Deutscher in Haft“, teilte das Auswärtige Amt weiter mit.

Wie viele Deutsche sich aktuell in Russland und Belarus aufhalten, konnte das Außenministerium nicht beziffern. Nur auf die Krisenvorsorgeliste ELEFAND könne man verweisen. Demnach hätten sich mehr als 1.300 Deutsche registriert, die angeben, sich in Russland aufzuhalten. „In Belarus sind es rund 300 Personen“, so das Auswärtige Amt.

Nach Angaben der Vereinten Nationen sind insgesamt in Russland noch hunderte Menschen aufgrund falscher oder politisch motivierter Anschuldigungen in Haft. UN-Menschenrechtsexperten schätzen die Zahl auf 700 bis 1372 Personen, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der Fachleute, die für den UN-Menschenrechtsrat in Genf tätig sind.

Auch mehrere amerikanische Staatsbürger befinden sich darunter. Im Juni hatte die Nachrichtenagentur Reuters unter Berufung auf Angaben der US-Regierung berichtet, dass mindestens „ein Dutzend“ US-Bürger in russischen Gefängnissen einsäßen. Unter den nun freigelassenen Häftlingen befinden sich drei amerikanische Staatsbürger. 

Die Schicksale der verbliebenen US-amerikanischen Inhaftierten sind zum Teil deutlich prominenter als die der Deutschen in russischen Gefängnissen. Einer von ihnen ist der amerikanische Geschichtslehrer Marc Fogel, der im Juni 2022 zu einer 14-jährigen Haftstrafe verurteilt wurde. 

Ähnlich wie der amerikanischen Basketballspielerin Brittney Griner und dem nun freigelassenen Deutschen Patrick Schobel wird ihm Drogenschmuggel vorgeworfen. 2021 hatten Grenzbeamte eine geringe Menge medizinisches Cannabis in Fogels Gepäck gefunden. Seine Angehörigen gaben an, er benötige die Substanz zur Behandlung von starken Schmerzen. 

Zahlen zu politischen Gefangenen gehen weit auseinander

Fogel wurde nach Angaben der „New York Times“ vom selben Gericht verurteilt wie Basketballerin Griner, die für eine geringe Menge Cannabis-Öls für neun Jahre ins Gefängnis sollte. Die Sportlerin kam schließlich im Dezember 2022 im Austausch für den russischen Waffenhändler Wiktor But frei, der in den USA wegen Verschwörung zum Mord und Waffenhandel zu mindestens 25 Jahren Haft verurteilt worden war. 

Die Familie von Marc Fogel kämpft seit seiner Festnahme für seine Freilassung. Dementsprechend groß war die Enttäuschung, dass er nun nicht Teil des Austauschs war. In einer Erklärung, aus der die „New York Times“ zitiert, schreiben seine Frau und seine Söhne, dass es für sie „unvorstellbar“ sei, dass „russische Dissidenten bei einem Gefangenenaustausch gegenüber US-Bürgern bevorzugt würden“. „Marc ist schon viel zu lange zu Unrecht inhaftiert und muss bei allen Austauschverhandlungen mit Russland bevorzugt werden, unabhängig von seinem Bekanntheitsgrad“, heißt es in der Erklärung.

Ein weiterer US-Bürger, der im Zusammenhang mit Drogen verurteilt wurde, ist der Musiker und Veteran der US-Armee Michael Travis Leake, der eine 13-jährige Gefängnisstrafe absitzen soll. Die russisch-amerikanische Staatsbürgerin Xenia Karelia wurde im Februar wegen Landesverrats angeklagt, weil sie von den USA aus umgerechnet 52 Dollar an eine ukrainische NGO gespendet haben soll. Der französische Staatsbürger Laurent Vinatier wurde im selben Monat wegen des Verdachts festgenommen, Informationen über russische Militäraktivisten gesammelt zu haben.

Über die Anzahl politischer Gefangener in Russland gibt es unterschiedliche Angaben. Eine Liste des im Exil lebenden russischen Unternehmers Michail Chodorkowski zählt 70 politische Gefangene, darunter 26 Ausländer. Die russische Menschenrechtsgruppe Memorial führt mehr als 300 Personen in einer entsprechenden Liste auf. Und nach Angaben der russischen Menschenrechts- und Rechtshilfegruppe OVD-Info sind mindestens 3000 Menschen in politisch motivierte Strafverfahren verwickelt. (Mitarbeit: Felix Hackenbruch)

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