zum Hauptinhalt
Auf diesem vom Pressedienst der 24. Mechanisierten Brigade der Ukraine zur Verfügung gestellten Foto verbessert ein Soldat der 24. Mechanisierten Brigade seine taktischen Fähigkeiten auf einem Übungsplatz in der Region Donezk.

© picture alliance/dpa/Ukrainian 24 Mechanised brigade

Update

Personalmangel an der Front: Ukraine setzt offenbar Luftabwehr-Spezialisten als Infanteristen ein

Die Armee Kiews hat große Probleme, ihre Lücken aufzufüllen. Der Generalstab versucht einem Bericht zufolge, die ersten Linien durch Versetzungen zu verstärken. Die Militärs weisen dies zurück.

Stand:

Seit fast drei Jahren kämpft die Armee der Ukraine gegen die russischen Invasionstruppen, die täglich unter offenbar zum Teil hohen Verlusten angreifen. Seit längerem ist bekannt, dass es für die militärische Führung in Kiew schwieriger geworden ist, ausreichend Soldaten für den Einsatz an der Front zu finden. Kritiker werfen dabei unter anderem Präsident Wolodymyr Selenskyj vor, das Mobilisierungsalter für Männer von derzeit 25 nicht auf 18 Jahre herabzusetzen.

Einem Medienbericht zufolge ist der Personalmangel in der ukrainischen Armee inzwischen so gravierend, dass der Generalstab die bereits dezimierten Luftabwehreinheiten angewiesen habe, mehr Männer freizusetzen, um sie als Infanteristen an die Front zu schicken. Dies berichtet die britische Zeitung „The Guardian“ online. Besonders im Osten des Landes haben sich die Probleme der ukrainischen Truppen in den vergangenen Wochen verschärft.

Wir haben ein kritisches Niveau erreicht, bei dem wir nicht mehr sicher sein können, dass die Luftverteidigung ordnungsgemäß funktioniert.

Offizier einer Einheit zur Luftabwehr

„Wir haben ein kritisches Niveau erreicht, bei dem wir nicht mehr sicher sein können, dass die Luftverteidigung ordnungsgemäß funktioniert“, zitiert das Blatt eine Quelle aus betroffen Einheiten, die wegen der Sensibilität des Themas anonym bleiben wollten. „Diese Leute wussten, wie die Luftverteidigung funktioniert, einige waren im Westen ausgebildet worden und verfügten über echte Fähigkeiten, jetzt werden sie an die Front geschickt, um zu kämpfen, wofür sie keine Ausbildung haben“, so der Offizier.

Wie es in dem Bericht weiter heißt, habe bereits im November die Abgeordnete Mariana Bezuhla auf Telegram geschrieben, dass Flugabwehrtruppen zu Infanterieeinheiten verlegt würden, was dazu führe, dass weniger russische Drohnen abgeschossen würden. Juri Ihnat, ein Sprecher der Luftverteidigungskräfte, bestätigte damals demnach, dass solche Versetzungen stattfanden und sagte, sie seien „sehr schmerzhaft“. Er bestritt jedoch, dass sich dies auf die Abschussquote auswirke.

Das Blatt zitiert jedoch mehrere Quellen, die bestätigen, dass die Forderungen, mehr Personal abzugeben, die Luftabwehr zusehends schwieriger mache. „Das geht schon seit einem Jahr so, aber es wird immer schlimmer“, sagte demnach ein Offizier, der in der Luftabwehr eingesetzt ist. Seine Einheit sei bereits „auf weniger als die Hälfte der vollen Stärke geschrumpft“.

Zuletzt habe die Rekrutierungskommission Dutzende weitere Soldaten für die Front im Kampf gegen die Einheiten des russischen Machthabers Wladimir Putin gefordert. „Ich habe nur noch die über 50-Jährigen und die Verletzten. Es ist unmöglich, die Dinge so zu führen“, sagte er demnach.

Am Sonntag meldete das ukrainische Militär der Agentur Reuters zufolge, es habe in der Nacht 52 russische Drohnen abgefangen und zerstört. Insgesamt hätten die russischen Streitkräfte 103 Drohnen auf Ziele in der Ukraine gestartet. Eine Drohne habe den ukrainischen Luftraum in Richtung Belarus verlassen, 44 Drohnen habe man aus den Augen verloren.

Generalstab der Ukraine reagiert auf Bericht

Der ukrainische Generalstab versuchte am Wochenende, den Bericht des „Guardian“ zu relativieren. Die erhobenen Behauptungen seien „nicht glaubwürdig und falsch“, heißt es dem Portal „Kyiv Independent“ zufolge in einem Facebook-Post. In dem Facebook-Post heiße es, dass zwar einige Soldaten aus rückwärtigen Einheiten in Kampfpositionen versetzt worden seien, dies aber nicht für Luftverteidigungsspezialisten gelte, die „mit dem Schutz des ukrainischen Himmels beauftragt sind“.

„Die Versetzungen betreffen militärisches Personal der ukrainischen Sicherheitskräfte, einige rückwärtige mobile Feuerkräfte sowie Personal, das nicht mit der Wartung und dem Betrieb von High-Tech-Rüstung und militärischer Ausrüstung befasst ist“, heißt es in der Erklärung. Der Generalstab erklärte demnach außerdem, dass die Luftverteidigungsoperationen weiterhin wirksam seien. „Die Zahl der abgeschossenen Drohnen hat nicht abgenommen.“

Ein Ende der Kämpfe in der Ukraine, ein Waffenstillstand oder gar ein Friedensabkommen sind längst nicht abzusehen. Wie schlecht es bereits offenbar um die ukrainischen Einheiten an der Front bestellt ist, beschreibt in dem Bericht ein Offizier, der derzeit in der 114. ukrainischen Territorialverteidigungsbrigade dient und in den vergangenen zwei Jahren in verschiedenen Krisengebieten stationiert war. „Die Menschen, die wir jetzt bekommen, sind nicht mehr die gleichen wie zu Beginn des Krieges.“

„Kürzlich haben wir 90 Personen aufgenommen, aber nur 24 von ihnen waren bereit, in die Stellungen zu ziehen. Der Rest war alt, krank oder alkoholabhängig. Vor einem Monat liefen sie noch in Kiew oder Dnipro herum, jetzt liegen sie in einem Schützengraben und können kaum eine Waffe halten. Schlecht ausgebildet und schlecht ausgerüstet“, sagte er.

Gesetz ermöglicht Deserteuren Rückkehr

Ein großes Problem stellt für die Ukraine auch die deutlich gestiegene Zahl von Deserteuren dar. Daten der ukrainischen Staatsanwaltschaft zeigen, dass seit 2022 fast 95.000 Verfahren gegen Soldaten wegen unerlaubter Abwesenheit oder Desertion eröffnet wurden. Die Zahl der Fälle ist mit jedem Kriegsjahr stark angestiegen: Fast zwei Drittel stammen allein aus dem Jahr 2024.

Die Armee setzt inzwischen auch auf die Wiedereingliederung flüchtiger Soldaten, um die Reihen gegen die zahlenmäßig überlegene russische Armee aufzufüllen, wie Reuters berichtete. Ein Gesetz entkriminalisiert demnach das erstmalige unerlaubte Fernbleiben eines Soldaten und ermöglicht so eine Rückkehr in die Armee.

Zwei Militäreinheiten erklärten allerdings demnach, sie würden nur Soldaten wiederaufnehmen, die sich von ihren Stützpunkten entfernt hätten, nicht jedoch solche, die aus dem Kampf desertiert seien.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })