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Pleiten, Pech und Pannen: Die ersten 100 Tage von Premier Keir Starmer
Erst werden Keir Starmer alte Geschenke zum Verhängnis, dann wirft eine enge Vertraute hin. Bisher lässt der vom britischen Premier versprochenen „Wandel“ auf sich warten. Kann ihm der noch gelingen?
Stand:
Mehr als doppelt so lange wie Liz Truss hat Keir Starmer schon durchgehalten. Seine Vorvorgängerin in der Downing Street 10 schaffte es auf gerade einmal 45 Tage im höchsten britischen Regierungsamt. Wegen ihrer chaotischen Wirtschaft- und Haushaltspolitik warf Truss nach nur einem guten Monat hin.
An diesem Sonnabend ist Großbritanniens neuer Premierminister 100 Tage im Amt. Nach seinem bemerkenswerten Wahlsieg Anfang Juli wundert sich das Königreich, wie schnell der Labour-Chef seinen Glanz verloren hat.
Seit Juli ist die persönliche Zustimmungsrate des Neu-Premiers völlig eingebrochen, ganze 45 Punkte verlor Starmer einer Untersuchung der britischen Denkfabrik More in Common zufolge in den vergangenen gut drei Monaten. Selbst der unbeliebte Ex-Premier Rishi Sunak ist im Vereinigten Königreich aktuell populärer.
Zwei Drittel der Briten sind mit Labour unzufrieden
Die Erwartungen an Starmer waren zu hoch, sagt der Politikwissenschaftler Matt Qvortrup. „Aller Anfang ist schwer, die Regierung muss zuerst die schwierigsten Dinge erledigen.“ Dafür hätten sie aber noch ausreichend Zeit, auch weil die Tories als größte Oppositionspartei nach dem Wahldesaster selbst in einer Klemme steckten.
In Großbritannien hat man inzwischen aber das Gefühl, dass sich die Arbeit der neuen Labour-Regierung kaum mehr von den chaotischen Tories unterscheidet.
Anfang Oktober antworteten knapp zwei Drittel der Brit:innen in einer Meinungsumfrage, dass sich mit Starmer eigentlich nichts geändert hätte. Und das, obwohl der Premier noch im Wahlkampf vor allem eins versprochen hatte: Change, einen Wandel.
„Die Schnelligkeit, mit der die Regierung Starmer an Zustimmung verloren hat, unterstreicht noch einmal, dass die Wahlen mehr von den Tories verloren als von Labour gewonnen wurden“, sagt der Politikwissenschaftler Nicolai von Ondarza dem Tagesspiegel.
„Schon vor den Wahlen gab es keine große Begeisterung für Starmer. Und die Schnelllebigkeit der britischen öffentlichen Debatte hat dazu beigetragen, dass die große öffentliche Unzufriedenheit nun sehr schnell bei der neuen Regierung abgeladen wird.“

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Schuld daran ist auch eine fast beispiellose Pleitenserie Starmers. In den vergangenen Wochen mehrten sich die Berichte über eine Art Vetternwirtschaft politischer Verbündeter bei der Besetzung von Stellen im öffentlichen Dienst, zudem sollen sowohl der Labour-Chef als auch einzelne Regierungsmitglieder großzügige Geschenke von Spender:innen und Lobbyvertreter:innen angenommen haben.
Erst vor einer Woche verließ Starmers Stabschefin Sue Gray das Kabinett. Zuvor enthüllte die öffentlich-rechtliche BBC, dass Gray mehr Geld verdiente als ihr Chef. Sie wolle nach den Berichten nicht von der „wichtigen Arbeit der Regierung“ ablenken, sagte die enge Vertraute Starmers anschließend in einer Mitteilung.

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Dabei war Gray schon vor dem Gehaltsfrust in der Downing Street umstritten. Von dort hieß es immer wieder, dass sich die Stabschefin zu sehr einmische, Gray sehe sich de-facto als eine Art Vize-Premierministerin.
Heikel wurde es für den Premier aber schon in den Wochen zuvor. Starmer inszenierte sich im Wahlkampf besonders gern als integrer Saubermann, wollte sich so auch im Vergleich zu diversen Tory-Vorgänger:innen abgrenzen.
Keir Starmer fehlt weiterhin ein klares politisches Narrativ, wie er den versprochenen Wandel erreichen will.

Nicolai von Ondarza ist Forschungsgruppenleiter Europa bei der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
Sicher auch aus Mangel größerer politischer Visionen der Labour-Regierung stürzten sich britische Medien im Sommerloch dann aber auf zahlreich empfangene Geschenke der neuen Minister:innen.
So wurde publik, dass Starmer als einfacher Unterhaus-Abgeordneter Spenden im Wert von mehr als 120.000 Euro angenommen hatte. Er war auf exklusive Pferderennen eingeladen worden und hatte VIP-Tickets für ein London-Konzert des US-amerikanischen Superstars Taylor Swift erhalten. Obendrein wurde britischen Medienberichten zufolge auch seine Ehefrau Victoria mit Designer-Kleidung und Friseur- und Make-up-Terminen beschenkt.

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Starmer ist mit dem Anspruch angetreten, eine skandalfreie Politik zu führen, betont Politologe Nicolai von Ondarza. „Die Skandale schwächen ihn aber genau in dem Bereich, indem er einen Wandel erreichen wollte.“

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Einen größeren politischen Wechsel scheint Starmer dagegen auch kaum einleiten zu können oder zu wollen. Immer wieder warf der sozialdemokratische Premier der konservativen Vorgängerregierung um Rishi Sunak vor, das Land in einem völlig maroden Zustand hinterlassen zu haben. Mehr als 25 Milliarden Euro sollen im Haushalt fehlen.
Labour kürzt vor allem bei Sozialausgaben
Gespart werden soll nun auch bei sozialdemokratischen Stammwähler:innen: Die Sozialleistungen werden bei kinderreichen Familien nicht erhöht, die zu zahlende Obergrenze bei Pflegeleistungen wurde abgeschafft, ebenso ein Heizungszuschuss für Rentner:innen. Zudem wurden Kürzungen bei Krankenhausprojekten angekündigt. Dabei ist ausgerechnet das britische Gesundheitssystem NHS völlig herabgewirtschaftet.

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Keir Starmer fehle weiterhin „ein klares politisches Narrativ, wie er den versprochenen Wandel erreichen will“, sagt von Ondarza. „Und welches Ziel die bereits angekündigten schmerzhaften Kürzungen etwa im Sozialsektor erreichen sollen.“
Starmers Glück ist nun, dass die politische Konkurrenz weiterhin vor allem mit sich selbst beschäftigt ist. Die Tories suchen seit Wochen einen Nachfolger für den noch Partei-Chef Sunak, erst Anfang November gibt es hier Klarheit. Unter neuem Vorsitz wird sich die Partei aller Voraussicht nach noch weiter nach rechts entwickeln.
„Nichtsdestotrotz hat Starmer natürlich weiterhin die absolute Mehrheit und steht am Anfang seiner Amtszeit“, betont der Politologe Nicolai von Ondarza. „Ein guter Start war es aber für Starmer nicht.“
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