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Der moderate Kandidat Massud Peseschkian – hier bei einer Wahlkampfveranstaltung am 23. Juni – hat die Präsidentenwahl im Iran gewonnen.

© dpa/Arne Immanuel Bänsch

Update

Reformer will bessere Beziehungen zum Westen: Peseschkian gewinnt Stichwahl um Präsidentenamt im Iran klar

Die Wahlbeteiligung war besser als im ersten Durchgang, doch sie blieb unter 50 Prozent. Peseschkian setzte sich dabei deutlich gegen den erzkonservativen Konkurrenten Dschalili durch.

Stand:

Der moderate Politiker Massud Peseschkian hat die Präsidentenwahl im Iran in der zweiten Runde gewonnen. Das gab Wahlbehördensprecher Mohsen Eslami am Morgen im Staatsfernsehen bekannt.

Peseschkian erreichte demnach 53,7 Prozent, sein ultrakonservativer Herausforderer Said Dschalili 44,3 Prozent der Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag nach Worten der Wahlbehörde bei 49,8 Prozent.

„Mit der Mehrheit der am Freitag abgegebenen Stimmen ist Peseschkian der nächste Präsident des Irans geworden“, teilte das Innenministerium mit. 

Peseschkian gilt als Reformer, aber auch als systemtreu

Rund 61 Millionen Menschen waren am Freitag dazu aufgerufen, zwischen Peseschkian und Dschalili zu wählen. Den Angaben zufolge kam Peseschkian nun auf mehr als 16 Millionen Stimmen, Dschalili auf mehr als 13 Millionen Stimmen.

Videos in den sozialen Medien zeigten, wie Anhänger von Peseschkian in vielen Städten des Landes auf den Straßen tanzten und Autofahrer seinen Sieg mit Hupen bejubelten. In der nordwestlichen Stadt Urmia, der Heimatstadt des neuen Präsidenten, verteilten die Menschen Süßigkeiten auf der Straße, wie Zeugen berichteten. 

Die vorgezogene Wahl war nach dem Tod von Amtsinhaber Ebrahim Raisi angesetzt worden, der im Mai bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben gekommen war.

Die Wahl fand vor dem Hintergrund erhöhter regionaler Spannungen wegen des Kriegs im Gazastreifen, eines Streits mit dem Westen über das iranische Atomprogramm und der Unzufriedenheit im Land über den Zustand der von Sanktionen betroffenen iranischen Wirtschaft statt.

Im Wahlkampf warb der bisher eher unscheinbare Politiker für neues Vertrauen zwischen Regierung und Volk, das nach gescheiterten Reformversuchen, politischer Repression und einer Wirtschaftskrise von der Politik maßlos enttäuscht ist.

Peseschkian erklärte nach seinem Sieg, die Wahl sei der Beginn einer „Partnerschaft“ mit dem iranischen Volk. „Der schwierige Weg, der vor uns liegt, wird nur durch Ihre Begleitung, Ihrem Einfühlungsvermögen und Vertrauen zu bewältigen sein“, schrieb der 69-jährige Wahlsieger im Onlinedienst X. „Ich reiche Ihnen meine Hand.“

Wie viele Politiker des Reformlagers forderte er eine Verbesserung der Beziehungen zum Westen, auch um das Land zu öffnen und die angeschlagene Wirtschaft anzukurbeln. Unter der zweiten Präsidentschaft Mohammed Chatamis (2001-2005) sammelte Peseschkian bereits Regierungserfahrung als Gesundheitsminister.

Die Möglichkeit abzustimmen, wurde am Abend noch verlängert.

© Arne Bänsch/dpa

Trotz seiner gemäßigten Worte gilt er als Mann des Systems, stellte sich hinter die mächtigen Revolutionsgarden und lobte den Angriff mit Drohnen und Raketen auf Israel. Er steht loyal zum Obersten Führer, Ajatollah Ali Chamenei. In den TV-Debatten bezeichnete er sich selbst als wertkonservativen Politiker, der jedoch Reformen für notwendig hält.

Religionsführer Chamenei gratuliert Peseschkian

Chamenei gratulierte Peseschkian zur Wahl. „Ich rufe alle zur Zusammenarbeit auf“, sagte das Staatsoberhaupt laut Irans staatlicher Nachrichtenagentur Irna. Die politische Rivalität im Wahlkampf solle nun in Freundschaft umgewandelt werden. 

Auch der Kommandeur der Revolutionsgarden, Hussein Salami, gratulierte: „Wir sind umfassend bereit, die Zusammenarbeit und Interaktion zwischen den Revolutionsgarden und der Regierung fortzusetzen und zu stärken.“

Peseschkian, der seit 2008 im Parlament saß, sprach sich für „konstruktive Beziehungen“ zum Westen aus und für eine Wiederbelebung des Atomabkommens mit westlichen Staaten, das die USA 2018 einseitig aufgekündigt hatten. Der Iran solle so „aus der Isolation“ geholt werden, warb der Reformer für seinen Kurs.

Zudem solle der Iran auf die Aufhebung der Sanktionen des Westens hinwirken. „Wenn wir es schaffen, dass die Sanktionen aufgehoben werden, werden die Menschen ein einfacheres Leben haben, während die Fortführung der Sanktionen den Menschen das Leben schwer macht“, sagte er bei einem Fernsehinterview.

Wegen seines umstrittenen Atomprogramms ist der Iran mit internationalen Sanktionen belegt und vom weltweiten Finanzsystem weitgehend abgeschnitten. Das Land benötigt Investitionen in Milliardenhöhe.

Junge Generation im Iran offenbar politikverdrossen

Bei der ersten Runde am vergangenen Freitag lag die Wahlbeteiligung nach offiziellen Daten bei nur rund 40 Prozent. Das bedeutete den niedrigsten Wert seit der islamischen Revolution im Jahr 1979. Darin spiegelt sich die große Enttäuschung vor allem der jungen Generation, die den Glauben an große innenpolitische Veränderungen verloren hat.

Der Tod der jungen Kurdin Jina Masa Amini im Herbst 2022 entfachte landesweite Proteste gegen das islamische Herrschaftssystem. Große Straßendemonstrationen hat es seitdem nicht mehr gegeben, wohl auch aus Angst vor gewaltsamer Repression. Die Enttäuschung ist jedoch allgegenwärtig. Viele gebildete Iranerinnen und Iraner mit guten Abschlüssen wollen das Land verlassen.

Hardliner dominieren Parlament im Iran

Das Parlament im Iran ist aktuell mehrheitlich von radikalen Hardlinern dominiert. Irans politisches System vereint seit der Revolution von 1979 republikanische und auch theokratische Züge. Freie Wahlen gibt es jedoch nicht: Der sogenannte Wächterrat, ein mächtiges islamisches Kontrollgremium, prüft Kandidaten stets auf ihre Eignung. Von 80 Präsidentschaftsbewerbern ließ der Wächterrat diesmal nur sechs als Kandidaten zu.

Ob sich die verschiedenen Machtblöcke von seinen Ideen beeindrucken lassen, ist offen.

Tareq Sydiq, Politikwissenschaftler an der Universität Marburg

Der Politikwissenschaftler Tareq Sydiq von der Marburger Universität sagt: „Selbst unter Anhängern des Regimes gibt es trotzdem bedeutende Massen, die sich für einen moderateren Umgang, für vorsichtige Reformen aussprechen.“ Er sieht in Peseschkians Wahlsieg einen symbolischen Erfolg für moderate und reformgesinnte Kräfte innerhalb des Irans.

„Das wird sicherlich auch innerhalb des Machtsystems zumindest zur Kenntnis genommen werden“, sagt der Iran-Experte. Es sei auch unklar, wie Peseschkian in der Praxis seine Kritik an der Kopftuchpolitik und den scharfen Kontrollen der Moralpolizei umsetzen will. „Ob sich die verschiedenen Machtblöcke von seinen Ideen beeindrucken lassen, ist offen.“

Anders als in vielen anderen Ländern ist der Präsident im Iran nicht das Staatsoberhaupt. Die eigentliche Macht konzentriert sich auf den Religionsführer, seit 1989 ist das Chamenei. Auch die Revolutionsgarden haben ihren politischen und wirtschaftlichen Einfluss in den vergangenen Jahrzehnten ausgebaut.

Im Wahlkampf debattierten die Kandidaten vor allem über Wege, die gravierende Wirtschaftskrise im Land zu bewältigen. (dpa, AFP, Reuters)

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