
© dpa/Evgeniy Maloletka
„Schwerpunkt der russischen Angriffe“ : Truppen der Ukraine stehen im Osten offenbar massiv unter Druck
Die Streitkräfte wehren sich Präsident Selenskyj zufolge gegen heftige Attacken der Russen. Hunderte Soldaten drohten offenbar eingekesselt zu werden. Dem Westen macht Kiew schwere Vorwürfe.
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Schlechte Nachrichten für die Ukrainerinnen und Ukrainer: Die Streitkräfte Kiews sind im Osten des Landes nach Darstellung von Präsident Wolodymyr Selenskyj schwer unter Druck. Vor allem die Lage rund um Pokrowsk im Gebiet Donezk sei von der Militärführung gründlich analysiert worden, sagte Selenskyj in seiner abendlichen Videoansprache.
„Dieses Gebiet war und ist nach wie vor der Schwerpunkt der russischen Angriffe.“ Es müsse alles getan werden, um die ukrainischen Verteidigungspositionen in der Region zu stärken.
Der Besatzer muss spüren, dass dies ukrainisches Land ist.

Wolodymyr Selenskyj, Präsident der Ukraine
Ohne einen konkreten Anlass zu nennen, sprach er allen ukrainischen Verbänden, die russische Stützpunkte und Logistik in den besetzten Gebieten angriffen, „besondere Anerkennung“ aus: „Der Besatzer muss spüren, dass dies ukrainisches Land ist“, sagte Selenskyj.
Ukrainische Medien hatten zuvor unter Berufung auf Militärquellen in Kiew von einem Raketenangriff auf einen Militärflughafen auf der seit 2014 von Russland annektierten Krim berichtet. Über die Auswirkungen des Angriffs wurden zunächst keine Angaben gemacht. Von russischer Seite gab es dazu keine Erklärung.
Scheinangriffe der Armee Putins an anderen Orten
Die Streitkräfte von Machthaber Wladimir Putin setzen ihre Prioritäten bei Angriffen nach Erkenntnissen des ukrainischen Militärgeheimdienstes HUR rund um den Donbass. „Dort werden aktuell die heftigsten Kämpfe ausgetragen“, sagte HUR-Vertreter Andrij Jusow im ukrainischen Fernsehen. Rund um das Kohlegebiet in der Ostukraine werde an fast allen Frontabschnitten gekämpft. Russland hat den Donbass für annektiert erklärt, kontrolliert aber nicht alle Bereiche seines neuen „Staatsgebiets“.
„An allen anderen Abschnitten führt der Gegner Scheinangriffe und Ablenkungsmanöver durch“, so Jusow. Vor allem in der Region südlich der Großstadt Saporischschja seien zahlreiche Scheinangriffe registriert worden. In Wirklichkeit seien diese jedoch auf Umgruppierungen und Neuaufstellungen auf russischer Seite zurückzuführen. Doch bleibe dies nicht ungefährlich, zumal Russland rund 90.000 Mann in der Region Saporischschja stationiert habe.
Nach Meinung ukrainischer Militärexperten reiche diese Menge an Soldaten zwar nicht für einen Frontdurchbruch aus, doch könne die ukrainische Armee durchaus unter Druck gesetzt werden.
Medienberichten zufolge habe im Osten des Landes zuletzt hunderten Soldaten der Ukraine Gefangenschaft oder gar der Tod gedroht. Wie unter anderem der Sender ntv berichtet, soll zwei ukrainischen Brigaden der Ausbruch aus der Einkesselung durch die Wladimir Putins Truppen gelungen sein. Dieser Vorfall habe sich in der Nähe der Ortschaft Prohres nordwestlich von Awdijiwka ereignet. Die Region wird im Ukraine-Krieg als eine Schlüsselregion betrachtet.
Die russischen Truppen waren demnach rasch nach Westen vorgestoßen und hatten die ukrainischen Bataillone umzingelt. Der dem ukrainischen Militär nahestehender Analyse-Kanal Deepstate bestätigt dies. Demnach habe es für die eingekesselten Soldaten keinen Befehl der Brigadeführung gegeben, sich freizukämpfen. Die Soldaten hätten eigenständig mitgeteilt, dass sie sich aus dem Kessel befreien würden.
Russische Waffen mit ausländischen Bauteilen
Angeblich mit Erfolg: „Dank der koordinierten Aktionen der Artillerie, Luftaufklärung und benachbarten Kräfte sowie unter der Führung der Offiziere vor Ort gelang es den Kämpfern der Bataillone, vollständig aus dem Kessel auszubrechen.“ Das Ganze sei eine „nervenaufreibende und schwierige Operation“ gewesen, so Deepstate. Der Kanal ist für gewöhnlich gut informiert und wurde in der Vergangenheit nur in seltenen Fällen aus den Reihen des Militärs kritisiert.
Das russische Militär greift die Ukraine der Agentur dpa zufolge offenbar mit Raketen und Drohnen an, deren Bauteile zum großen Teil aus dem Ausland stammen.
„Die Raketen und Drohnen, die Russland täglich für Angriffe auf friedliche Städte und Ortschaften in der Ukraine einsetzt, enthalten ausländische Komponenten, die in mehr als 20 Ländern hergestellt wurden“, sagte Natalja Nestor, Expertin des ukrainischen Justizministeriums. „Zu diesen gehören China, Deutschland, Japan, die Niederlande, die Schweiz, Taiwan, die Vereinigten Staaten, Kanada, der Iran.“
Nach den bisherigen Untersuchungen ihres Experten-Teams würden in den ursprünglich aus dem Iran stammenden Shahed-Kamikazedrohnen etwa Prozessoren und Schalter aus den USA, elektrische Kraftstoffpumpen aus Deutschland, Dichtungen aus Taiwan sowie Module aus Südkorea verwendet. Bei der Hyperschallrakete „Kinschal“ wiederum seien Bauteile aus Spanien, den USA, Japan, Taiwan, der Schweiz und Deutschland verwendet worden.
„Das bedeutet, dass für alle Raketen und Drohnen, ihre wichtigsten Hightech-Komponenten, ohne die sie nicht existieren könnten, nicht in Russland, sondern in anderen Ländern hergestellt werden“, sagte Nestor. „Wir sprechen hier von Komponenten für Navigation, Steuerung, Leitsysteme, Mikrochips, verschiedene Chips, Sensoren, oder Platinen.“
Trotz umfassender Sanktionen des Westens gegen Russland gelingt es Moskau, das Embargo über Drittländer zu umgehen. Vor allem die Anrainerstaaten Russlands in Zentralasien galten zuletzt als Lieferanten westlicher Elektronik.
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