
© IMAGO/Pool /Ukrainian Presidentia
Selenskyj gerät innenpolitisch unter Druck: „Die Mehrheit der Bevölkerung versteht nicht, welchen Plan das Land verfolgt“
Während Präsident Selenskyj versucht, mit Russland und den USA eine Waffenruhe auszuhandeln, steigt in der Ukraine die Unzufriedenheit. Ex-Präsident Poroshenko äußert eine klare Forderung.
Stand:
Oppositionspolitiker in der Ukraine fordern ihren Präsidenten Wolodymyr Selenskyj dazu auf, den Fortschritt der Verhandlungen mit Russland und den USA transparent zu machen. Das berichtet das US-Medium „Politico“. Sie wollen, dass Selenskyj im Parlament vorstellig wird und erklärt, was genau der aktuelle Stand ist.
Viele Abgeordnete fühlen sich demnach aus dem Friedensfindungsprozess ausgeschlossen, obwohl sie einen möglichen Deal ratifizieren müssten, sobald er unterschrieben ist.
Der ehemalige ukrainische Präsident Petro Poroshenko, Vorsitzender der größten Oppositionspartei „Europäische Solidarität“, machte seinen Ärger in dieser Woche deutlich: „Die ,Europäische Solidarität’ im Parlament fordert eine außerordentliche Parlamentssitzung mit Selenskyj, in der er den ukrainischen Plan für einen Weg zum Frieden und Details zum Verhandlungsprozess verkündet.“
Ist der Rohstoffdeal noch Teil des Friedensplans?
Abgeordnete der Poroshenko-Partei fragen sich unter anderem, ob der Rohstoffdeal weiterhin Teil des Friedensplans ist. „Leider haben die von Selenskyj zu den Verhandlungen Gesandten seit mehreren Monaten schon jegliche Kommunikation mit dem Parlament vermieden“, sagt die Abgeordnete Iryna Gerashchenko zu „Politico“.
Leonid Jemets ist ebenfalls Mitglied der Partei „Europäische Solidarität“, sitzt allerdings nicht im ukrainischen Parlament, sondern im Stadtrat von Kiew. Auch er erhält Informationen über den Verhandlungsprozess ausschließlich aus offenen Quellen.
„Natürlich kommuniziere ich mit meinen Kollegen im Parlament, aber wir erhalten keine Informationen aus dem Büro des Präsidenten oder anderen Quellen“, sagt Jemets dem Tagesspiegel. Er kommuniziere auch weiterhin mit Politikern aus dem Ausland und erfahre wichtige Neuigkeiten. Allerdings seien das, „private Informationen, die ich nicht weitergeben kann”, sagt Jemets.
Ukrainische Opposition sieht sich in Rechten eingeschränkt
Dem Kiewer Stadtratsmitglied ist es wichtig zu betonen, dass die Ukraine eine parlamentarisch-präsidentielle Republik ist. Es gebe zwar Abgeordnete im Parlament, die Zugang zu Staatsgeheimnissen haben – womit er die Mitglieder der Regierungspartei „Diener des Volkes“ meint. Und er verstehe auch, dass Einzelheiten über den Verlauf und den Inhalt der Verhandlungen in Zeiten des Krieges sehr sensibel behandelt werden müssten. Allerdings sieht er die Opposition im Parlament dadurch „in ihren Rechten eingeschränkt“.
Auch von anderen Parteien kommen kritische Worte zum aus ihrer Sicht intransparenten Vorgehen der Regierung. Roman Kostenko sitzt für die Partei „Stimme“ im ukrainischen Parlament, ist Sekretär des Parlamentsausschusses für nationale Sicherheit, Verteidigung und Nachrichtendienste – und kämpfte zu Beginn des Ukraine-Kriegs noch aktiv mit.
Kostenko bedauert, dass Abgeordnete Informationen über die Verhandlungen wenn, dann nur aus persönlichen Gesprächen erfahren würden, während die ukrainische Gesellschaft überhaupt nicht über die Position der Regierung und die „roten Linien” informiert ist. Er hält dies für falsch, da das Leben aller Ukrainer von der diplomatischen Front abhängt. „Die Mehrheit der Bevölkerung versteht nicht, welchen Plan das Land verfolgt“, erklärt er dem Tagesspiegel.
Der Mangel an Kommunikation mit den Behörden sei inakzeptabel, sagt Kostenko. Wenn die Gesellschaft mal Informationen erhalte, dann kämen diese aus den Medien, oft aus ausländischen Quellen. „Die Bevölkerung lässt sich von den Schlagzeilen der westlichen Presse leiten”, so Kostenko.
Etwas anders sieht es der Abgeordnete des ukrainischen Parlaments Oleh Dunda, der Selenskyjs Partei „Diener des Volkes“ angehört. Auf die Frage, inwieweit ukrainische Abgeordnete über Fortschritt von möglichen Friedensvereinbarungen informiert werden, antwortete Dunda, dass die Volksvertreter so viele Informationen erhalten würden, wie sie anforderten. Wenn ein Abgeordneter es wünsche, könne er sämtliche Informationen erhalten, auch wenn sie nicht zur Veröffentlichung bestimmt seien. „Politico“ zufolge hat Selenskyj auf die Rufe der Opposition bislang nicht reagiert.
Dunda betont, dass die Chancen für einen Waffenstillstand und für Vereinbarungen – in London, Paris, Saudi-Arabien oder anderswo – gleich null seien und keine Aussicht auf Erfolg hätten. Nach Ansicht des ukrainischen Abgeordneten müsse Russland mehr in die Pflicht genommen werden. „Es hängt nicht von uns ab – es hängt von Moskau ab. Moskau will nicht, dass der Krieg aufhört“, erklärt er.
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