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Bei der Stichwahl um das Präsidentenamt in Polen tritt der liberale Rafal Trzaskowski (links) gegen den Rechtskonservativen Karol Nawrocki an. (Archivbild)

© Jarek Praszkiewicz/PAP/Attila Husejnow/SOPA Images via ZUMA Press Wire/dpa

Stichwahl um Präsidentenamt: Polen und Europa zittern um die Wette

Wer ist das kleinere Übel? Der Pro-Europäer Trzaskowski und der Nationalpopulist Nawrocki tun sich schwer, ihre jeweiligen Lager zu mobilisieren. Die Realität ist komplizierter als das Rechts-Links-Schema.

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Es ist eine Schicksalswahl für Polen und für die EU. Verliert der liberale Präsidentschaftskandidat Rafal Trzaskowski die Stichwahl an diesem Sonntag, „droht dem politischen Projekt der Regierung Tusk ein bitteres Ende“, sagt Piotr Buras. Er leitet das Warschauer Büro des European Council on Foreign Relations (ECFR).

Tusks Hauptziel ist die Konsolidierung der Demokratie und eine konstruktive EU-Politik. „Die innenpolitische Bilanz der Regierung Tusk ist bisher bescheiden“, erläutert Buras. Der bisherige Präsident Andrzej Duda von der nationalpopulistischen Partei PiS hat die versprochenen Reformen mit seinem Veto blockiert.

Ein Präsident Nawrocki hätte nur eine Aufgabe, daraus macht er keinen Hehl: der PiS-Partei den Weg zurück zur Macht zu ebnen.

Duda darf nach zwei Amtszeiten nicht erneut kandidieren. Für die PiS tritt der parteilose Historiker Karol Nawrocki an. „Ein Staatsoberhaupt Nawrocki hätte nur eine Aufgabe, daraus macht er keinen Hehl: der PiS-Partei den Weg zurück zur Macht zu ebnen“, meint Buras.

„Das wäre eine radikalere Prãsidentschaft als die von Duda“, prognostiziert Buras. „Polen und Europa zittern deshalb um die Wette.“

Die Parlamentswahl im Herbst 2023 hatte das liberale Lager unter Donald Tusk gewonnen. Deutschland und die EU atmeten auf nach acht Regierungsjahren der PiS mit ihrer antideutschen und antieuropäischen Rhetorik sowie der Aushöhlung von Demokratie und Rechtsstaat.

Da der Präsident in vielen Fragen ein Vetorecht hat, konnte die Regierung Tusk viele Wahlversprechen nicht erfüllen. Sie hat an Rückhalt verloren.

Rechtes Lager vorn

In der ersten Runde der Präsidentschaftswahl am 18. Mai lag der liberale, proeuropäische Warschauer Oberbürgermeister Trzaskowski zwar mit 31,3 Prozent knapp vor PiS-Kandidat Nawrocki (29,6 Prozent). Aber die Plätze drei und vier belegten Slawomir Mentzen von der nationallibertären Partei Konfederacja und der rechtsradikale Grzegorz Braun.

Betrachtet man das Ergebnis nach dem Schema von zwei Lagern, hätte Nawrocki als Vertreter des Lagers rechts der Mitte die besseren Chancen in der Stichwahl als Trzaskowski, der Kandidat des Lagers links der Mitte.

Die entscheidende Frage ist jetzt, nicht nur die eigene Anhängerschaft zu mobilisieren, sondern auch unentschlossene Wähler und die Unterstützer der ausgeschiedenen Kandidaten für sich zu gewinnen.

Karolina Wigura ist Soziologin und arbeitet für die Denkfabriken Kultura Liberalna in Warschau und Liberale Moderne in Berlin.

Die gesellschaftliche Realität in Polen ist jedoch komplizierter. Es gibt mehr Spaltungslinien als die zwischen Rechts und Links. Darauf stützen sich nun die Hoffnungen der Regierung Tusk. Der drittplatzierte Mentzen hat keine Wahlempfehlung für Nawrocki abgegeben. Seine Anhänger dürften zu einem Gutteil für Trzaskowski stimmen, erwarten Demoskopen. Sie fühlen einerseits national, andererseits wollen sie im Gegensatz zur PiS möglichst wenig Staat und niedrige Steuern.

Wer ist das kleinere Übel, Trzaskowski oder Nawrocki, aus Sicht der rund 40 Prozent der Wähler, die in der ersten Runde für andere Kandidaten gestimmt haben? „Die entscheidende Frage ist jetzt, nicht nur die eigene Anhängerschaft zu mobilisieren, sondern auch unentschlossene Wähler und die Unterstützer der ausgeschiedenen Kandidaten für sich zu gewinnen“, analysiert Karolina Wigura. Sie arbeitet für die Denkfabriken Kultura Liberalna in Warschau und Liberale Moderne in Berlin.

Sie verweist auf die jungen Wähler: „Bei den unter 30-jährigen waren der rechtslibertäre Mentzen und der Linke Adrian Zandberg am erfolgreichsten, mehr als die Hälfte stimmte für einen der beiden. Das ist eine ähnliche Dynamik wie bei der letzten Bundestagswahl.“

Trzaskowski fällt in Umfragen zurück

In den Umfragen ist Trzaskowski immer weiter zurückgefallen und führt nur noch minimal. Vor der ersten Runde lag er vier Prozentpunkte vorn, jetzt nur noch einen Prozentpunkt.

„Gewinnt Trzaskowski, erhält die Regierung Donald Tusk den Verbündeten, den sie braucht, um den Abbau von Demokratie und Rechtsstaat aus den PiS-Regierungsjahren zu korrigieren und Polens Rolle in der EU zu stärken“, sagt Wigura. „Gewinnt der PiS-Kandidat Nawrocki, ist mit weiteren Blockaden der Reformen zu rechnen.

Der Ausgang hat Folgen für die EU und ihre Unterstützung der Ukraine, zu deren sichtbarsten Befürwortern Premier Tusk zählt. „Tusks starke Position in Europa fußt auf seinem starken innenpolitischen Mandat“, betont Buras. „Eine Wahlschlappe von Trzaskowski würde ihn mächtig schwächen, auch im Ausland.“

Gewinnt Nawrocki, „müsste Tusk seine Politik noch mehr den innenpolitischen Zwängen unterordnen“, sagt Buras. „Die faktische Delegitimierung seiner Macht würde Polens außenpolitische Ambitionen und seinen Einfluss einschränken.“

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