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Streit im östlichen Mittelmeer flammt wieder auf: Die Türkei will Fakten schaffen – und provoziert die EU
Die Türkei will ihre umstrittenen Hoheitsansprüche im Meer zwischen Zypern, Kreta und der Ägäis mit einem neuen Vertrag mit Libyen untermauern. Griechenland und Zypern sind entsetzt.
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Trottel, Putschist und Feigling: Wenn der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und der libysche General Khalifa Haftar in den vergangenen Jahren übereinander sprachen, fielen harte Worte. Erdogan unterstützte Haftars innerlibysche Rivalen und ließ einen Angriff von dessen Truppen auf die Hauptstadt Tripolis mit türkischen Kampfdrohnen abwehren.
Nun aber kommt die Kehrtwende. Erdogans Geheimdienstchef Ibrahim Kalin stattete Haftar diese Woche einen Besuch ab, um ein heikles Thema auszuloten. Erdogan erhofft sich von dem libyschen General die Zustimmung zu einem Vertrag, der die türkischen Hoheitsansprüche im östlichen Mittelmeer erheblich ausweiten würde. Neuer Streit mit der EU zeichnet sich ab.
Im gespaltenen libyschen Staat, der seit dem Tod von Diktator Muammar Gaddafi im Jahr 2011 keine zentrale Regierung mehr hat, stehen sich die international anerkannte Regierung im westlibyschen Tripolis und Haftars ostlibysches Parlament in Tobruk gegenüber. Mehrere internationale Akteure konkurrieren um Einfluss. Die Türkei gehört dazu.
Die Türkei will sich Erdgas sichern
Erdogan schloss mit der Führung in Tripolis vor sechs Jahren einen Vertrag, der das östliche Mittelmeer zwischen der Türkei und Libyen aufteilte. Das Abkommen dehnte das türkische Hoheitsgebiet bis in die Nähe der griechischen Insel Kreta aus; auch Gewässer um Rhodos und andere griechische Mittelmeerinseln sollten von der Türkei kontrolliert werden.
Zypern und Griechenland würden demnach von türkischen oder libyschen Gewässern getrennt. Der Vertrag war einer der Gründe für die Krise zwischen der Türkei und der EU im östlichen Mittelmeer, wo sich Ankara, Nikosia und Athen um Erdgasvorräte streiten.
Der Vertrag von 2019 wurde bisher nicht umgesetzt, weil nur die westlibysche Regierung unterschrieb, nicht aber die Führung von Haftars Machtbereich. Das will Erdogan jetzt nachholen, indem er die Beziehungen zu Haftars Regime verbessert.
Der türkische Präsident schickte neben seinem Geheimdienstchef auch ein Kriegsschiff zu einem Freundschaftsbesuch in den Osten Libyens. Das ostlibysche Parlament könnte nach Medienberichten bald über das Abkommen von 2019 abstimmen.
Sollte das Parlament den Vertrag ratifizieren, wäre das ein wichtiger Erfolg für die Türkei, sagt Nebahat Tanriverdi vom Zentrum für Angewandte Türkei-Studien der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Die Türkei beansprucht unter ihrer Strategie „Mavi Vatan“ – Blaues Vaterland – große Teile von Ägäis und Mittelmeer und will in den Gewässern nach Öl und Gas suchen.
Die Türkei wolle sich mit Haftar arrangieren, um sich nicht länger nur auf die instabile Regierung in Tripolis stützen zu müssen, sagte Tanriverdi dem Tagesspiegel. Die Türkei interessiert sich für die Ölreserven Libyens, die größten Afrikas; das Seeabkommen würde der Türkei das Recht einräumen, vor der libyschen Küste nach Öl und Gas zu suchen.
Türkei durchkreuzt Unterwasserkabel-Projekt
Die Gelegenheit für Erdogan ist günstig. Haftars einstiger Partner Russland ist wegen des Ukraine-Krieges abgelenkt. Ankara sieht laut Tanriverdi deshalb die Chance, den türkischen Einfluss in Libyen auf den Osten des Landes auszuweiten.
Erdogans neue Libyen-Politik macht andere Staaten in der Region nervös. Griechenland, Zypern und Ägypten planen ein Unterwasser-Stromkabel im östlichen Mittelmeer, das Afrika und Europa – unter Umgehung der Türkei – miteinander verbinden soll. Das türkisch-libysche Abkommen könnte das Projekt unmöglich machen.
Zypern bekräftigte jetzt in einem Brief an die UN seinen Widerstand gegen das türkisch-libysche Abkommen. Ägypten, das im Westen an Libyen grenzt, fordert laut Medienberichten, die USA sollten einschreiten, um die Zustimmung von Haftars Regime zum Vertrag mit Erdogan zu verhindern. Griechenland verstärkt seit einiger Zeit seine Bemühungen, Haftar auf seine Seite zu ziehen.
EU warnte Türkei schon zuvor
Expertin Tanriverdi erwartet, dass Athen und Nikosia auf mehreren Ebenen auf die türkische Initiative reagieren werden. Dazu gehöre der Versuch, direkt auf Haftar und das ostlibysche Parlament einzuwirken, um die Ratifizierung des türkisch-libyschen Vertrages zu verhindern.
Griechenlands Außenminister Giorgos Gerapetritis besuchte den libyschen Militärführer im Juli, der seinerseits um griechische Investitionen in Libyen bat. Zudem dürften die Rivalen der Türkei den Vertrag rechtlich anfechten und EU-Institutionen zum Widerstand gegen das Vorhaben auffordern, meint Tanriverdi.
Die EU hatte die Türkei zuletzt bei einem Gipfel im Juni gewarnt, das Abkommen mit Libyen verletze internationales Recht und die Rechte von Griechenland und Zypern. Sollte das ostlibysche Parlament in Tobruk den Vertrag ratifizieren, „wird sich die EU zu einer Antwort gezwungen sehen“, sagt Tanriverdi. Die türkisch-europäischen Beziehungen, die sich in jüngster Zeit wieder etwas erholt hatten, könnten in eine neue Krise schlittern.
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