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Wahlsieger Donald Trump

© Gestaltung: Tagesspiegel/Foto: REUTERS/Brian Snyder

Thank God It’s International Friday 12: Trump 2: Umarmung statt Zeigefinger?

Die Themen der Woche: Trump siegt über Harris | Wie stark ist Europa? | Joseph Stiglitz, Mark Rutte und Wolfgang Ischinger über eine zweite Amtszeit Trumps

Anja Wehler-Schöck
Eine Kolumne von Anja Wehler-Schöck

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Kamala Harris hat verloren. Und ich auch. Heute früh musste ich meine Wettschulden begleichen und Stephan Haselberger wohl oder übel eine Flasche Taittinger rosé überreichen. Er hatte aber netterweise auch eine Flasche Champagner dabei, als Trost für mich.

Den kann ich auch gebrauchen. Denn auch wenn mancher Donald Trumps Wahlsieg bereits mit einem Schulterzucken quittiert und sagt, dass wir seine erste Präsidentschaft ja auch überstanden hätten: Ich befürchte, dass eine zweite Amtszeit noch wesentlich mehr politischen Schaden anrichten wird als die erste. Warum ich das so sehe, habe ich in meinem Leitartikel nach der Wahl aufgeschrieben. 👇

Was nun?

Trotz aller Differenzen kommen Deutschland und die EU nicht umhin, weiter eng mit den USA zusammenzuarbeiten. Nun ist der Moment gekommen, in dem die EU beweisen muss, dass sie die Idee der europäischen Souveränität mit Inhalt füllen, nach außen geschlossen auftreten und eine globale Führungsrolle einnehmen kann. Dabei geht es nicht nur darum, die Interessen der EU gegenüber Trump zu verteidigen. Sondern auch darum, weltweit für den Wert der Demokratie und des Multilateralismus einzutreten.

Man muss Donald Trump umarmen, sagt Wolfgang Ischinger, der ehemalige deutsche Botschafter in Washington. „Das Rezept, Donald Trump mit erhobenem Zeigefinger zu begrüßen und ihm zu sagen, wo es langgeht, halte ich für untauglich“, erklärte er in unserem Gespräch am Morgen nach der Wahl. Er rät, Trump bei seiner Eitelkeit zu packen und ihn möglichst bald zu einem Gipfel einzuladen.

Trump und die Nato: Positive Antriebskraft?

Diese Woche war Mark Rutte, der neue NATO-Generalsekretär, zu seinem Antrittsbesuch in Berlin. Er sieht einer zweiten Amtszeit Trumps gelassen entgegen. Mit Blick auf das europäische Engagement in der Nato sagte er mir im Gespräch: „In den vier Jahren seiner Amtszeit hat er uns dazu gedrängt, mehr zu tun. Zu Recht!“

Eine geringere Unterstützung der Nato durch die USA befürchtet er nicht. Die Nato existiere nicht nur aus historischen Gründen, sondern aus einem existentiellen täglichen Sicherheitsinteresse auf beiden Seiten des Atlantiks. „Es geht nicht darum, nett zu den Europäern zu sein. Die Nato macht die USA stärker und sicherer“, zeigte sich der Niederländer zuversichtlich.

Warum ist Trump für eine Mehrheit wählbar?

Die Überlegungen, wie mit einer zweiten Trump-Administration umzugehen sein wird, stehen derzeit natürlich im Vordergrund. Gleichzeitig müssen wir uns damit befassen, warum so viele Menschen für Trump gestimmt haben. Nicht zuletzt auch mit Blick auf die Lehren daraus für die – wann auch immer – anstehenden Neuwahlen in Deutschland.

Wie konnte Trump mit einem Wahlkampf, der geprägt war von Hetze, Drohungen und Beleidigungen, eine Mehrheit der Wähler hinter sich versammeln? Eines steht fest: Es war eine Wahl der Emotionen, des Bauchgefühls der Wählerinnen und Wähler. Denn darüber, was die Faktenlage ist, besteht in der amerikanischen Gesellschaft längst kein Konsens mehr.

Eine wachsende Mehrheit der US-Bevölkerung konsumiert keine klassischen Medien mehr. Sie beziehen ihre Informationen ausschließlich aus den Sozialen Medien. Knapp 100 Millionen Nutzer hat die Plattform X in den USA. Ihr Besitzer Elon Musk wurde mit seiner Hetze gegen Joe Biden und Kamala Harris vielleicht zu Trumps wichtigstem Wahlkampfhelfer. Fact-Checking gibt es auf X quasi nicht. Trumps Behauptungen werden für seine Wähler zur empfundenen Wahrheit.

Expertenstimmen finden bei vielen Menschen kein Gehör. Wer beispielsweise für Trump gestimmt hat, weil er glaubt, dass unter ihm die US-Wirtschaft aufblühen wird, der ist damit auf dem Holzweg, hat mir Joseph Stiglitz im Interview gesagt. Gemeinsam mit 22 weiteren Trägern des Wirtschaftsnobelpreises hatte er vor der Wahl davor gewarnt, dass die US-Wirtschaft unter einer weiteren Trump-Präsidentschaft schweren Schaden erleiden könnte.

Das Ende des westlichen Liberalismus?

„Im Schlagabtausch zwischen dem kalifornischen Liberalismus und der rechtspopulistischen Gegenrevolte könnte eine Vorentscheidung darüber gefallen sein, welche Ideologie nach dem Kollaps des Neoliberalismus zur Leitidee des Westens wird“, schreibt Marc Saxer in seinem Gastbeitrag im Tagesspiegel. „Wer der Neuen Rechten nicht das Feld überlassen will, muss an einem Wiederaufbau des Liberalismus im weitesten Sinne arbeiten, der die Herausforderungen der neuen Zeit versteht und bewältigt“, meint Saxer.

Und er hat eine ganze To-do-Liste für das liberale Lager. Nämlich: Schluss mit der „kulturellen Verachtung der arbeitenden Mitte“, „mit ideologischen Projekten, die keinen Bezug zur Lebensrealität der Menschen haben“, „mit Sprachspielen und Haarspaltereien, die von der breiten Mehrheit als unaufrichtig empfunden werden“ sowie „mit dem gegenseitigen Ausspielen identitärer Gruppen“.

Lust auf Diskussion?

In der Reihe „Samma & Hömma: Das Ruhrgebiet diskutiert Außenpolitik“ der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) geht es kommende Woche natürlich auch um die US-Wahl. Über die Auswirkungen einer zweiten Trump-Präsidentschaft auf Deutschland und Europa können Sie am Donnerstag, dem 14. November im Rathaus Duisburg mit Tim Bosch, Aukje van Loon, Dominik Tolksdorf, Jan Stöckmann und mir diskutieren. Zur Anmeldung geht’s hier.

Gibt’s zurzeit eigentlich nichts anderes auf der Welt außer den USA? Doch, sogar jede Menge. Dazu dann nächste Woche wieder mehr, versprochen!

Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende. Bis nächsten Freitag!

Herzlich

Ihre Anja Wehler-Schöck

P.S.: Vielen Dank wie immer an Johannes Altmeyer fürs Feedback und an Anke Dessin für die Graphik!

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