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Thank God It’s International Friday 30: Trumps gefährliches Handelsroulette
Die Themen der Woche: Wie die Finanzkrise in Griechenland bis heute nachwirkt | Wer ist schlimmer – Putin oder Erdogan | Hat Donald Trump einen Plan?

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Diese Woche schreibe ich Ihnen aus Griechenland, wo ich am Delphi Economic Forum teilnehme. Darüber freue ich mich ganz besonders. Nicht nur wegen der vielen spannenden Gespräche, die ich dort führen kann. Sondern auch, weil meine Anreise um ein Haar gescheitert wäre. So wie die etlicher anderer Teilnehmer.
Der lange Schatten der Finanzkrise
Am Mittwoch wurde in Griechenland nämlich gestreikt. Und wie. Flugzeuge, Fähren, Busse, Bahnen – alles stand still. Die zwei größten Gewerkschaften des Landes hatten dazu aufgerufen, die Arbeit niederzulegen. Sie fordern unter anderem, dass die Regierung einige der Sparmaßnahmen zurücknimmt, die infolge der Finanzkrise 2010 verhängt worden waren.
Obwohl sich die griechische Wirtschaft in den vergangenen Jahren positiv entwickelt hat, klagen viele Griechen über zu hohe Lebenshaltungskosten. Mehr als ein Drittel aller Haushalte geben an, über 40 Prozent ihres Einkommens allein für Miete und Heizkosten aufwenden zu müssen. Die Belastung liegt in Griechenland damit deutlich höher als in allen anderen EU-Staaten.
Die empfundene Ungerechtigkeit darüber, wie sich die EU und insbesondere auch Deutschland während der Finanzkrise gegenüber Griechenland verhalten haben, sitzt bei manchen immer noch tief. „Die Ukraine wollt Ihr unterstützen, aber Griechenland habt Ihr damals alleingelassen“, empört sich etwa eine griechische Anwältin im Gespräch mit mir.
Janis Emmanouilidis, der den Brüsseler Thinktank European Policy Centre leitet, glaubt nicht, dass eine Mehrheit der Griechen so denken. Er betont, wie beachtlich der Weg sei, den Griechenland seit der Finanzkrise zurückgelegt habe. Die Wirtschaftsleistung sei stetig gewachsen, die Arbeitslosigkeit kontinuierlich gesunken. „Damit kann sich Griechenland heute im europäischen Vergleich durchaus sehen lassen“, argumentiert der Politikwissenschaftler.
Das sieht auch der griechische Premierminister Kyriakos Mitsotakis so. „Griechenland ist nicht mehr das ‚schwarze Schaf‘, das es einmal war“, gibt sich der konservative Politiker in Delphi selbstbewusst. Heute sei sein Land in der Lage, die europäische Politik zu prägen.
Der Feind im Osten
Wie wichtig es ist, immer wieder die Perspektive zu wechseln, zeigt sich mir auch bei einem anderen Thema. „Wenn Ihr Deutschen vom ‚Feind im Osten‘ sprecht, denkt Ihr an Putin. Wir Griechen denken dabei an Erdoğan“, sagt mir ein Athener Experte für Außenpolitik. Und auch in etlichen anderen Gesprächen klingt durch, wie akut viele Griechen die Bedrohung durch die Türkei unter Erdoğan empfinden.
Apropos Türkei. Dort macht Präsident Erdoğan auch weiterhin Jagd auf alle, die es wagen, sein Regime zu kritisieren. Gut drei Wochen ist es her, dass der Istanbuler Bürgermeister Ekrem İmamoğlu festgenommen wurde; mehrere Verfahren laufen gegen den Präsidentschaftskandidaten der Oppositionspartei CHP. Von Rechtsstaatlichkeit kann dabei keine Rede sein – an der Regierungstreue der türkischen Justiz zweifelt heute kaum jemand.
Und die Verhaftungen kritischer Stimmen gehen weiter. Am Donnerstag wurden die beiden prominenten Journalisten Murat Ağırel und Timur Soykan festgenommen, die für die Zeitungen BirGün Gazetesi und Cumhuriyet arbeiten. Ihnen wird Bedrohung und Erpressung vorgeworfen. Ağirel und Soykan sind für Investigativrecherchen bekannt und sind unter anderem den Verbindungen zwischen der Mafia und türkischen Institutionen nachgegangen. Lesen Sie hier, was unsere Korrespondentin Susanne Güsten aus Istanbul berichtet. 👇
Donald Trump: Einmal hin, einmal her
Wenig überraschend waren beim Delphi Economic Forum Donald Trumps zweite Amtszeit und sein Schlingerkurs in der Handelspolitik das dominierende Thema. Eine immer wiederkehrende Frage lautete: Hat Trump eigentlich einen Plan?
Die Geopolitik-Expertin Leslie Vinjamuri bezweifelt das. „Falls sein Plan ist, andere Staaten unter Führung der USA in einer Allianz gegen China zu vereinen, dann ist es ein schlechter“, sagt sie. Ein solches Ziel könne niemals durch Bedrohung oder Einschüchterung der Partner erreicht werden.
Gerard Baker, Editor-at-Large des „Wall Street Journal“, sieht Trump als zutiefst instinktgetriebenen Menschen. In der Vergangenheit habe das manchmal gut funktioniert. Derzeit zeige sein Vorgehen dagegen katastrophale Auswirkungen.
Leslie Vinjamuri bewertet die Nachricht vom Donnerstag, dass die USA die neuen Zölle gegen alle Staaten außer China für 90 Tage aussetzen werden, dennoch als positiv. Warum? Für die US-Professorin beweist die Entscheidung, dass Trump nicht in allen Fragen beratungsresistent ist und Hoffnung besteht, zumindest in manchen Angelegenheiten zu ihm durchzudringen.
Thomas Pugh von der internationalen Beratungsfirma RSM ist wenig optimistisch: „Das Worst-Case-Szenario ist vorläufig abgewendet. Von einem akzeptablen oder gar guten Zustand sind wir aber meilenweit entfernt.“ Durch sein erratisches Handeln habe Trump das Vertrauen in die US-Märkte fundamental erschüttert. „Die Konsequenzen seines bisherigen Kurses werden die Weltwirtschaft auf Jahrzehnte prägen“, prognostiziert der britische Ökonom.
Alle Fragen geklärt?
Zum Orakel habe ich es in Delphi leider nicht geschafft. Die anderen Teilnehmer anscheinend auch nicht. Denn die häufigste Antwort, die ich von den Rednern der Konferenz gehört habe, war: „Ich weiß es einfach nicht.“ In Zeiten derartig massiver Umbrüche und Ungewissheit, wie wir sie gerade erleben, empfinde ich diese Nüchternheit und Ehrlichkeit als äußerst erfrischend.
Die kommenden zwei Wochen macht der „International Friday“ Osterferien. Wir lesen uns am 2. Mai wieder. Bis dahin wünsche ich Ihnen alles Gute und freue mich, Sie wieder begrüßen zu dürfen, wenn es heißt: Thank God It’s International Friday.
Herzlich
Ihre Anja Wehler-Schöck
P.S.: Vielen Dank an Johannes Altmeyer fürs Feedback und an Sascha Lobers für die Graphik!
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