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Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj

© IMAGO/ZUMA Press Wire/IMAGO/Tayfun Salci

Ukraine-Invasion, Tag 1385: Selenskyjs cleverer Wahl-Schachzug

Ukraine droht Jahres-Tiefstand an Hilfslieferungen, Kreml lobt Trump, „Koalition der Willigen“ telefoniert 40 Minuten mit US-Präsidenten. Der Überblick am Abend.

Stand:

Bereits kurz nach seinem Amtsantritt bezeichnete US-Präsident Donald Trump seinen Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj als „Diktator ohne Wahlen“ und übernahm damit ein russisches Narrativ. Im am Dienstag veröffentlichten Interview mit „Politico“ legte er nach: Es sei „ein wichtiger Zeitpunkt für eine Wahl“ in der Ukraine.

Statt sich in die Ecke drängen zu lassen, nutzte Selenskyj die Forderung für eine überraschende Offensive. Er sei bereit, Wahlen in der Ukraine abzuhalten – wenn die USA und Europa deren Sicherheit garantieren.

Das könnte ein kluger taktischer Schachzug sein. Nicht nur entkräftet Selenskyj so Trumps Vorwurf und kommt seiner Forderung sogar entgegen. Er verbindet es mit dem Einstieg in die langersehnten Schutzmaßnahmen. Schließlich sind Sicherheitsgarantien die zentrale Forderung der Ukraine in den aktuellen Friedensgesprächen.

„Politico“ sieht den US-Präsidenten dadurch unter Zugzwang. Jetzt müsse „er erst einmal ablehnen, was der Ukrainer da ins Gespräch gebracht hat“.

Konkret vorgeschlagen hat Selenskyj allerdings nichts. Seit dem russischen Einmarsch im Februar 2022 gilt in der Ukraine das Kriegsrecht, das Wahlen verbietet. Seine Partei solle eine Gesetzesänderung ausarbeiten, sagte der ukrainische Präsident. Ob sich im Parlament allerdings eine Mehrheit für die Gesetzesänderungen finde, sei unsicher, schreibt die Deutsche Presseagentur. Schließlich sei Selenskyjs Position nach den jüngsten Korruptionsskandalen angeschlagen.

Dass es zu Neuwahlen kommt, ist auch aus anderem Grund unwahrscheinlich: Moskau hat mehrfach erklärt, dass es für die Zeit des Wahlkampfs und des Wahltermins keine Waffenruhe akzeptieren würde. Trotzdem begrüßte Kremlsprecher Dmitri Peskow Selenskyjs Vorstoß.

In Kiew warnte der oppositionelle Politologe Olexij Holobuzkyj vor einer Destabilisierung durch einen möglichen Wahlkampf. „Ein Wahlkampf ist immer mit Skandalen, Enthüllungen, Anschuldigungen und der Diskreditierung praktisch aller Beteiligten verbunden“, schrieb er bei Telegram. Zu befürchten sei, dass derjenige gewinne, der am ehesten Frieden verspreche. „Von Wahlen vor dem Lauf einer Pistole erwarte ich nichts Gutes“, schloss er.

Die wichtigsten Nachrichten des Tages

  • Der Ukraine droht einer Studie zufolge ein Jahr mit so geringen neuen Hilfszuweisungen wie noch nie seit Kriegsausbruch 2022. Im September und Oktober habe Europa dem von Russland überfallenen Land rund 4,2 Milliarden Euro an Militärhilfe zukommen lassen, wie das IfW am Mittwoch mitteilte. Das sei deutlich zu wenig, um den Ausfall der US-Hilfen unter Präsident Donald Trump zu kompensieren. Mehr dazu hier.
  • Der Kreml hat Trump für seine in der Zeitschrift „Politico“ geäußerte Kritik an Selenskyj und die Forderung nach harten Zugeständnissen an Russland gelobt. Trumps Äußerungen „zu den Themen Nato-Mitgliedschaft, Territorium und so weiter, zum Thema, wie die Ukraine Boden verliert, stimmen mit unserem Verständnis überein“, sagte Kremlsprecher Peskow. Mehr dazu hier.
  • Bundeskanzler Friedrich Merz hat heute zusammen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sowie dem britischen Premierminister Keir Starmer 40 Minuten lang mit Trump über den Stand der Gespräche über einen Waffenstillstand in der Ukraine gesprochen. In dem Telefonat sei es darum gegangen, „weiterzukommen“, teilte das französische Präsidialamt mit. Mehr dazu im Newsblog.
  • Russische Drohnen haben nach ukrainischen Angaben das Gastransportsystem in der südlichen Region Odessa getroffen. „Der Feind hat in den vergangenen 24 Stunden gezielt angegriffen, insbesondere in der Region Odessa, einschließlich des Gastransportsystems und dessen Anlagen“, sagte Vize-Energieminister Mykola Kolisnyk im ukrainischen Fernsehen.
  • Der ukrainische Geheimdienst SBU hat in Odessa ein Schiff wegen des illegalen Anlaufens der von Russland annektierten Halbinsel Krim festgesetzt. Der Frachter habe vor dem russischen Einmarsch von 2022 mindestens siebenmal Sewastopol angelaufen, um illegal Agrarprodukte zu exportieren, teilte der SBU mit.
  • Seit Anfang 2025 sollen die russischen Truppen 0,77 Prozent des Territoriums der Ukraine erobert haben, hätten dabei jedoch unverhältnismäßig hohe Verluste erlitten, wie das Institut für Kriegsforschung in seinem neuen Bericht analysiert. Das ISW hält es für „unwahrscheinlich“, dass die Russen in naher und mittelfristiger Zukunft schneller als im Schritttempo vorankommen werden.
  • Polen will der Ukraine seine letzten Kampfjets MiG-29 überlassen, im Gegenzug für neue Raketen- und Drohnentechnologie aus Kiew. Der polnische Generalstab in Warschau schrieb auf der Plattform X von einer „Spende der Flugzeuge“, sie sei „Teil der Politik der Allianz zur Unterstützung der Ukraine und zur Aufrechterhaltung der Sicherheit der Ostflanke der Nato“. 
  • EU-Ratspräsident Antonio Costa will die Staats- und Regierungschefs der Union notfalls tagelang verhandeln lassen, um eine Einigung über die Finanzierung der Ukraine zu erzielen. Bei dem Gipfel am 18. Dezember soll eine Lösung gefunden werden, wie die Erträge aus eingefrorenen russischen Vermögenswerten für die Ukraine-Hilfe genutzt werden können. 
  • Die ukrainischen Streitkräfte halten nach eigenen Angaben weiterhin Teile der umkämpften Stadt Pokrowsk. Seine Truppen kontrollierten den Norden der Stadt, sagt Oberbefehlshaber Olexandr Syrskyj dem Sender Suspilne. Allerdings seien einige Einheiten in der vergangenen Woche von ungünstigen Stellungen außerhalb der Stadt abgezogen worden.
  • In der Ukraine ist ein britischer Soldat ums Leben gekommen. „Er wurde bei einem tragischen Unfall verletzt, als er ukrainische Soldaten beim Test einer neuen Verteidigungsfähigkeit beobachtete“, teilte das britische Verteidigungsministerium mit. Es war demnach das erste Mal seit Beginn des Kriegs, dass ein britischer Armeemitarbeiter in der Ukraine getötet worden ist.
  • Die Ukraine muss angesichts der russischen Angriffe auf ihre Energie-Infrastruktur die Stromversorgung noch weiter drosseln. Man werde zusätzliche Beschränkungen für die Stromversorgung nichtkritischer Einrichtungen einführen, teilte die Regierung mit. Die Liste der Infrastruktureinrichtungen, die Anspruch auf eine unterbrechungsfreie Stromversorgung hätten, müsse gekürzt werden.

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