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UN-Hochkommissar für Menschenrechte im Interview: „Ich habe in der Tat schlaflose Nächte“
Volker Türk soll die Menschenrechte verteidigen. Wie belastend ist das? Ein Gespräch über Gräueltaten im Sudan, den Haftbefehl gegen Putin, Trumps Migrationspolitik und die Macht der Justiz.
Stand:
Herr Türk, Ukraine, Nahost oder Sudan – wohin man schaut, ist es sehr schlecht um die Menschenrechte bestellt. Wo sehen Sie die gefährlichste Entwicklung?
Ganz klar, die vielen Kriege weltweit und die damit einhergehende Mentalität, jeder Konflikt lasse sich militärisch lösen, haben eine große Kraft mit gravierenden Folgen entfaltet. Auch wenn jedem bewusst sein müsste, dass nur mit friedlichen Mitteln nachhaltige Ergebnisse erzielt werden können.
Der Sudan ist dafür ein bezeichnendes Beispiel: Dort bekämpfen sich zwei Kriegsherren auf brutalste Weise, denen das Leid der Bevölkerung völlig gleichgültig ist. Dabei ist es bewundernswert und faszinierend, was die Sudanesinnen und Sudanesen im Jahr 2019 aus eigener Kraft erreicht haben.
Es frustriert mich sehr, dass die Massaker im Sudan nicht verhindert wurden.
Volker Türk, Hoher Kommissar für Menschenrechte
Sie meinen den Sturz des Diktators Omar al Baschir?
Ja, das war eine Revolution im wahrsten Sinne der Menschenrechte! Die Bevölkerung im Sudan hat es damals friedlich geschafft, eine brutale Militärherrschaft zu beenden – und das unter Lebensgefahr. Das waren junge Menschen, vor allem viele Frauen. Für mich war das gelebte Menschenrechtsarbeit, von der wir alle vieles lernen können.
Macht Sie der Krieg im Sudan besonders zornig?
Ich halte nichts davon, Leid zu hierarchisieren. Jedes Menschenleben zählt, egal, wo und wie es bedroht ist. Aber es stimmt schon, die ausufernde Gewalt und das Leid in einem solch besonderen Land beschäftigt mich sehr. Zumal dieser Konflikt viel zu lange nicht in der Weltöffentlichkeit präsent war.
Ich habe an die 30 Stellungnahmen zum Sudan abgegeben und – wiederholt – auch vor möglichen Gräueltaten in der Stadt El Fascher gewarnt, die dann tatsächlich von der Miliz Rapid Support Forces dort verübt wurden. Es frustriert mich sehr, dass diese Massaker nicht verhindert wurden.

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Muss sich der UN-Hochkommissar in einem solchen Fall eingestehen, dass er kaum etwas bewirken kann?
Nein. Warnungen sind wichtig, auch für die spätere Aufarbeitung und womöglich strafrechtliche Konsequenzen. Denn dadurch wird Akteuren signalisiert: Wir schauen dorthin, sehen sehr wohl, was passiert. Wenn ich dazu schweigen würde, fühlten sich die verschiedenen Profiteure eines solchen Konfliktes erst recht bestätigt, dass sie tun und lassen können, was ihnen gefällt.
Hinzu kommt: Es gehört zu unseren zentralen Aufgaben, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Vergehen gegen Menschenrechte seriös und umfangreich zu dokumentieren, Beweismittel zu sammeln und aufzubewahren.
Das ist die Grundlage für eine strafrechtliche Verfolgung der Täter. Mitunter braucht es eine längere Zeit, bis sie belangt werden. Aber ausgeschlossen ist das eben nicht.
Glauben Sie wirklich, dass ein Kriegsverbrecher wie Russlands Präsident Wladimir Putin etwas zu befürchten hat?
Ich erinnere Sie an den früheren philippinischen Machthaber Rodrigo Duterte. Der ist im Frühjahr an den Strafgerichtshof in Den Haag ausgeliefert worden – ein Gericht, das er selbst früher immer wieder verspottete.
Gegen ihn lag ein internationaler Haftbefehl vor wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit aufgrund seines „Krieges gegen die Drogen“. Ich hätte nie erwartet, dass es dazu wirklich kommt. Doch es ist passiert. Und vor ihm geschah das Gleiche vor verschiedenen internationalen Gerichten, mit Staatschefs wie Liberias Charles Taylor, Serbiens Slobodan Milošević und Kambodschas Khieu Samphan.
Sie wollen nicht ausschließen, dass auch Putin in Den Haag irgendwann vor Gericht steht?
Ich schließe das für niemanden aus.

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Der Kremlchef wird alles daransetzen, nicht belangt zu werden. Was kann dagegen getan werden?
Mir macht vor allem die internationale Justiz Hoffnung. Es gibt ja nicht nur den Strafgerichtshof, sondern auch das Weltrechtsprinzip. Schwere Straftaten wie Genozid, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit können überall verfolgt werden. Und zwar unabhängig davon, wo die Tat begangen wurde, und welche Staatsangehörigkeit Täter oder Opfer haben.
Insbesondere bei der Migrationspolitik der Trump-Administration habe ich große Bedenken, dass diese mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der USA noch übereinstimmen.
Volker Türk, Hoher Kommissar für Menschenrechte
Gerade der Strafgerichtshof wird massiv infrage gestellt. Nicht zuletzt von den USA. Ist Amerika unter Donald Trump eine Gefahr für die Menschenrechte weltweit?
Die jetzige US-Regierung hat ein restriktives Verständnis, was Menschenrechte betrifft. Immer wieder schimpft sie zum Beispiel über zu viel Wokeness. Aber diese Form von Aufmerksamkeit sichert Gleichheit, Gleichberechtigung und den Schutz vor Diskriminierung, Sexismus und Rassismus. Das sind wichtige Säulen der Menschenrechte.
Insbesondere bei der Migrationspolitik der Trump-Administration habe ich große Bedenken, dass diese mit den völkerrechtlichen Verpflichtungen der USA noch übereinstimmt. Auch der Beschuss von angeblichen Drogenbooten in der Karibik ist für mich ein klarer Verstoß gegen Menschenrechte.
Egal ob Südamerika, Gaza oder die Ukraine: Trump geht es immer um Deals. Verkauft der US-Präsident die Menschenrechte um der eigenen Profilierung willen?
Das weiß ich nicht. Was ich allerdings weiß: Mit Menschenrechten kann man keine Deals machen. Sie sind ein moralischer und juristischer Kompass. Vor allem Gerichte, auch jene in den USA und anderswo, setzen der Willkür Grenzen. Das ist eine wichtige Korrekturfunktion. Die Angriffe auf die Justiz in mehreren Ländern bereiten mir aber erhebliche Sorgen.

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Apropos Sorgen: Bringt Sie Ihr Amt zuweilen um den Schlaf?
Ich habe in der Tat schlaflose Nächte. Das beeinträchtigt meine Begeisterung für Menschenrechte trotzdem nicht. Und es macht mir Hoffnung, dass insbesondere junge Menschen weltweit gegen Unterdrückung und für die Freiheit auf die Straße gehen.
Sie geben allerdings selbst zu, dass es trotz Ihrer Warnungen zu Massakern im Sudan gekommen ist. Frustriert Sie das nicht?
Wir haben nicht die Macht, solche Gräueltaten zu verhindern. Dennoch ist es uns immer wieder auch gelungen, Schlimmeres zu verhindern, sogar Bürgerkriege.
Mit Menschenrechten kann man keine Deals machen. Sie sind ein moralischer und juristischer Kompass.
Volker Türk, Hoher Kommissar für Menschenrechte
Wo zum Beispiel?
Die Situation in Bangladesch etwa hätte völlig außer Kontrolle geraten können. Dort war es im August 2024 zu schweren Unruhen gegen die autoritäre Regierung mit Hunderten Toten gekommen. Unsere Gespräche mit allen – zusammen mit unseren klaren öffentlichen Stellungnahmen – haben meiner Meinung nach zur Beruhigung der Lage beigetragen.
Bedauern Sie, dass sich Ihre Amtsbefugnisse aufs Dokumentieren, Mahnen und Anprangern beschränken?
Nein. Uns ist es vergangenes Jahr gelungen, mehr als 3000 politische Gefangene aus Haftanstalten freizubekommen – mit Verhandlungsgeschick.
Und: Wir sind für viele verfolgte Menschen, die keine Stimme haben, eine Art Hoffnungsträger. Wichtig ist immer, mit allen zu reden. Und den Tätern deutlich zu machen, dass Ihr Vorgehen sehr wohl Konsequenzen für sie haben kann. Wenn man ihnen gegenübersitzt, lautet die Devise: Auf keinen Fall lächeln.
Von Ihnen wird auch Geschick erwartet. Während des Gaza-Kriegs ist ihnen vorgeworfen worden, zu sehr das Vorgehen der israelischen Armee zu kritisieren, aber zu wenig die Verbrechen der Hamas. Wie schwierig ist es in Ihrem Amt, das richtige Maß zu finden?
Diesen Vorwurf weise ich aufs Schärfste zurück. Ich habe stets auch die Grausamkeiten der Hamas beim Namen genannt. Ich konnte jedoch nicht dazu schweigen, was Israel im Gazastreifen Schreckliches an schweren Menschenrechtsverletzungen begangen hat. Es geht nicht ums Abwägen. Sondern darum, diese klar zu benennen. Egal, wer sie begeht. Deshalb ist der UN-Hochkommissar für Menschenrechte nie populär.
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