
© Foto: AFP/Mandel Ngan
US-Außenpolitik unter Präsident Biden: „Es braucht mehr als vier Jahre, um die Beziehungen zu reparieren“
Außenpolitische Aufräumarbeiten nach der Trump-Ära: Am Dienstag will US-Präsident Biden seine erneute Kandidatur bekanntgeben. Was läuft unter seiner Administration gut – und was nicht?
Stand:
US-Präsident Joe Biden wird diese Woche voraussichtlich seine Kandidatur für eine weitere Amtszeit verkünden. Wodurch zeichnete sich für Sie die US-Außenpolitik unter seiner Administration aus?
Man muss Bidens Außenpolitik vor dem Hintergrund der enormen Komplexität der aktuellen Weltlage bewerten: die geopolitischen Machtverschiebungen durch den Klimawandel, die technologischen Entwicklungen, den Krieg in der Ukraine. Hinzu kommen die vielen Probleme, die ihm sein Vorgänger Donald Trump hinterlassen hat.
Ich sehe drei zentrale Fortschritte unter Biden: Erstens, die Beziehungen zu den Verbündeten der USA wieder zu kitten. Zweitens, den Blick auf die gemeinsamen globalen Herausforderungen, insbesondere den Klimawandel, zu schärfen. Drittens, anzuerkennen, in einem wettbewerbsorientierten Umfeld in die Erneuerung des eigenen Landes investieren zu müssen.
Wo sehen Sie die Defizite?
Der Rückzug aus Afghanistan war nicht das, was die Biden-Administration der Welt gerne gezeigt hätte. Es war klar, dass man diesen Rückzug wollte. Aber erstens hätte es besser geplant und ausgeführt werden müssen, mit Blick auf die vorhersehbaren Konsequenzen und vor allem die Evakuierung von Menschen, die die westlichen Verbündeten unterstützt haben. Zweitens hätte es einer Kommunikationsstrategie bedurft – auch um der Welt zu vermitteln, dass die USA in der Region engagiert bleiben würden.
Empfohlener redaktioneller Inhalt
An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.
Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.
Nach den Jahren der Trump-Administration waren die europäischen Erwartungen an Präsident Biden sehr hoch – und wurden dann teils schnell gedämpft. Wie viel „America First“ ist in der Bidenschen Außenpolitik übriggeblieben?
Die Biden-Administration zeigt, dass das Gleichgewicht der amerikanischen Führung – das gilt auch für einige Republikaner – in die richtige Richtung tendiert. Und das heißt: Engagement in der Welt.
Natürlich gibt es in den USA auch andere Stimmen, und unter Trump hatten sie mehr Einfluss. Die vorige Regierung kritisierte die Nato scharf, erkannte die Komplexität der EU nicht, vernachlässigte die wichtigen Beziehungen zur Ukraine. Das wieder auszugleichen, ist ein noch unvollendetes Projekt. Es braucht wahrscheinlich mehr als vier Jahre, um die Beziehungen vollständig zu reparieren.
In einem Aufsatz für „Foreign Affairs“ haben Sie vor kurzem kritisiert, dass der Supreme Court immer stärkeren Einfluss auf die US-Außenpolitik nimmt. Inwiefern?
In den letzten Jahren hat der Gerichtshof zunehmend aggressive Rechtsauslegungen vorgenommen. Allein im letzten Jahr hat er Fälle entschieden, die die grenzüberschreitende Sicherheitszusammenarbeit, die Regulierung finanzieller Risiken und die Führungsrolle der USA in der Klimapolitik betreffen.
Damit werden die Handlungsmöglichkeiten der US-Regierung, auch international, erheblich eingeschränkt. Gleichzeitig hat sich der Kongress weitgehend aus der Außenpolitik zurückgezogen.
Im Moment herrscht an der Grenze ein Chaos, das weder gut ist für Mexiko noch für die USA noch für viele der zentralamerikanischen Länder, aus denen die Menschen kommen.
Tino Cuéllar, Präsident des globalen Thinktanks Carnegie
Andererseits betonen Sie, dass die US-Bundesstaaten eine stärkere Rolle in der Außenpolitik spielen können. Wie sieht das konkret aus?
Manche Bundesstaaten haben erheblichen Einfluss. Kalifornien, Florida, New York und Texas erwirtschaften zusammen etwa 37 Prozent der amerikanischen Wirtschaftsleistung. Wenn Bundesstaaten neue politische Ansätze ausprobieren, für die es im Rest des Landes noch keine Unterstützung gibt, kann das sehr prägend sein.
Die kalifornische Politik für emissionsfreie Fahrzeuge wurde von China als Vorbild für ein ähnliches System genommen. Die Bundesstaaten können auch ein wichtiger Faktor der Kontinuität über verschiedene Regierungen hinweg sein. Als die USA unter Trump zum Beispiel aus dem Pariser Klimaabkommen ausgestiegen sind, haben sich Staaten wie Kalifornien und New York weiterhin beteiligt und gezeigt, dass die USA ein wichtiger Akteur in der Klimapolitik bleiben.
Ich denke, dass sich die Zusammenarbeit zwischen Bundesstaaten und anderen Ländern intensivieren wird, vor allem in Bereichen wie Energie, Technologie, aber auch zivilgesellschaftlichen Initiativen.

© Imago/agefotostock/Gary Moon
Sie sind in Mexiko und den USA aufgewachsen und haben viel zu Migrationspolitik gearbeitet. Wie hat sich dieses Thema, das unter Präsident Trump so kontrovers war, während der neuen Administration entwickelt?
Migration ist ein außerordentlich kompliziertes Politikfeld, das sowohl Prinzipien als auch Praktikabilität erfordert. Die meisten Amerikaner teilen die Ansicht, dass wir ein Einwanderungsland sind. Deshalb haben wir eine lebendige, dynamische und vielfältige Gesellschaft.
Aber es erfordert auch, dass wir die Notwendigkeit eines geordneten und fairen Systems ernst nehmen, das ein hohes Maß an legaler Einwanderung bewältigen kann. Das ist ein langfristiges Projekt, aber angesichts der aktuellen Bewegungen auch eine drängende Aufgabe. Konkret hat die Biden-Regierung unter anderem versucht, das System zur Bearbeitung von Asylanträgen an der mexikanischen Grenze zu reformieren, das die Trump-Administration durchgesetzt hatte.
Das ist ein Beispiel dafür, wie der Supreme Court durchgesetzt hat, dass die Politik der Trump-Ära weiterläuft. Im Moment herrscht an der Grenze ein Chaos, das weder gut ist für Mexiko noch für die USA noch für viele der zentralamerikanischen Länder, aus denen die Menschen kommen.
Sie sind Präsident des Carnegie Endowment, das Büros in mehreren Ländern, darunter China unterhält. Wie kann man als unabhängiger Thinktank in einem Land arbeiten, in dem es keine Meinungsfreiheit gibt?
Wir sind unserer Unabhängigkeit und intellektuellen Integrität verpflichtet. Unser Auftrag besteht darin, Ideen zu entwickeln und Wissen zu verbreiten, um die globale Zusammenarbeit zu fördern. Dafür müssen wir mit Ländern auf der ganzen Welt zusammenarbeiten, auch mit denen, die nicht unbedingt mit den Ansichten vieler unserer Wissenschaftler übereinstimmen. Selbstverständlich erfordert das ein hohes Maß an Vorsicht.
Gleichzeitig ist der Austausch mit chinesischen Wissenschaftlern wertvoll, um besser zu verstehen, was innerhalb des Landes passiert. Wir überprüfen unsere Arbeit kontinuierlich, um sicherzugehen, dass wir keinerlei Abstriche machen. Manche der Themen bearbeiten wir bewusst nicht vor Ort, sondern in Washington oder Brüssel.
Im April 2022 hat die russische Regierung das Carnegie-Büro in Moskau geschlossen. Welche Lehren haben Sie aus dieser Erfahrung gezogen?
Dass Carnegie immer seinen Prinzipien treu bleiben wird. Wenn wir nicht mehr mit intellektueller Integrität arbeiten können, verlassen wir einen Standort. Es kam nicht überraschend, dass die russische Regierung die Schließung unseres Büros anordnete, denn unsere Wissenschaftler waren unabhängig. Sie standen der Regierung kritisch gegenüber. Sie wiesen darauf hin, dass Russland sich mit diesem Krieg ein massives Problem geschaffen hat.
Unsere Mission werden wir dennoch fortsetzen. Das bedeutet, dass wir Projekte manchmal neu erfinden müssen. Wie mit unserer Büroeröffnung in Deutschland. Unser Expertenteam wird künftig in Berlin arbeiten, einem Epizentrum der Politikgestaltung für Europa und die Welt, wenn es um Russland und Eurasien geht.
- Afghanistan
- China
- Die EU
- Donald Trump
- Joe Biden
- Kalifornien
- Klimawandel
- Mexiko
- Migration
- Nato
- Ukraine
- USA
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: