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Vatikan empört über Israels Vorgehen in Gaza: Papst Leo XIV. fordert „Ende der Barbarei“
Nach einem Angriff der israelischen Armee auf eine katholische Pfarrei im Gazastreifen mit drei Toten herrscht zwischen dem Vatikan und Jerusalem Eiszeit. Papst Leo XIV. findet klare Worte.
Stand:
Eigentlich wollte sich Papst Leo XIV. in seiner Sommerresidenz in Castel Gandolfo südlich von Rom zwei Wochen entspannen – aber von Einkehr und Muße konnte bisher keine Rede sein.
Am Sonntag hat er, unter dem Beifall von Tausenden Menschen auf dem Platz vor dem Papstpalast, „ein sofortiges Ende der Barbarei des Krieges“ gefordert. Die internationale Gemeinschaft müsse dafür sorgen, dass das humanitäre Völkerrecht beachtet und der Schutz der Zivilbevölkerung gewährleistet bleibe.
Drei Menschen bei Beschuss ums Leben gekommen
Namentlich forderte der Papst, dass das völkerrechtliche Verbot von Kollektivbestrafungen eingehalten und dem „unverhältnismässigen Einsatz von Gewalt und der gewaltsamen Vertreibung der Bevölkerung“ Einhalt geboten werden.
Der Appell des ersten US-Amerikaners auf dem Stuhl Petri hatte keinen konkreten Adressaten – aber es war offensichtlich, an wen er gerichtet war: die israelische Regierung.
Auslöser war der Angriff gegen den Komplex der katholischen Kirche der Heiligen Familie vom vergangenen Donnerstag in der Stadt Gaza. Bei dem Beschuss sind drei Menschen ums Leben gekommen, die Leo XIV. in Castel Gandolfo einzeln bei ihrem Namen nannte.
Mehrere Personen wurden außerdem zum Teil schwer verletzt, unter anderen auch der katholische Pfarrer der Kirche, Gabriel Romanelli.
Auf dem Gelände der einzigen katholischen Pfarrei im Gazastreifen befanden sich neben dem Personal und Gläubigen auch mehrere hundert Flüchtlinge, die angesichts der unablässigen Offensive der israelischen Armee dort Schutz gesucht haben.

© AFP/OMAR AL-QATTAA
Der Beschuss der Pfarrei hat nicht nur beim Papst, sondern im ganzen Vatikan und bei unzähligen katholischen Gläubigen auf der ganzen Welt Entsetzen ausgelöst.
Die israelische Militärführung hatte zwar umgehend von einem „Versehen“ gesprochen. „Aber das glaubt hier niemand“, betonte der lateinische Patriarch von Jerusalem, Kardinal Pierbattista Pizzaballa.
Heute haben sie uns Christen getroffen, aber hier sterben jeden Tag Dutzende Menschen.
Kardinal Pierbattista Pizzaballa
Pizzaballa war, zusammen mit dem griechisch-orthodoxen Patriarchen von Jerusalem, Theophilos III. und mit 500 Tonnen Hilfsgütern im Gepäck, nach dem Angriff umgehend nach Gaza geeilt, um der christlichen Gemeinde im Gazastreifen und der ganzen Bevölkerung des Gazastreifens seine Solidarität auszudrücken.
„Heute haben sie uns Christen getroffen, aber hier sterben jeden Tag Dutzende Menschen. Es ist Zeit, diesen absurden Krieg sofort zu beenden“, betonte Pizzaballa.
Der 60-jährige Kardinal aus Bergamo, der beim letzten Konklave zu den am meisten genannten Papabili gehörte, hat sich seit dem israelischen Angriff nicht mehr aus der Pfarrei wegbewegt: Er ist nun eine Art menschlicher Schutzschild der Gemeinschaft.
In Gaza hat ihn auch ein Anruf von Papst Leo XIV. erreicht. „Papst Leo XIV. hat mehrfach betont, dass das, was geschehen ist, nicht zu rechtfertigen sei und dass alles getan werden müsse, damit es keine weiteren Opfer mehr gibt“, sagte Pizzaballa gegenüber den vatikanischen Medien.
Papst Leo XIV. forderte Friedensverhandlungen
Das Kirchenoberhaupt hatte nach dem Angriff telefonisch beim israelischen Premier Benjamin Netanjahu interveniert und sofortige Friedensverhandlungen gefordert. In einem weiteren Telegramm an Pizzaballa zeigte sich Leo XIV. „zutiefst traurig“ über „das Massaker an Unschuldigen“.
Das Verhältnis zwischen dem Vatikan und Israel war seit Jahrzehnten nicht mehr so zerrüttet wie seit dem Angriff gegen die Pfarrei in Gaza.
Nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 hatte sich sich die israelische Regierung zunächst über den im April verstorbenen Papst Franziskus echauffiert, weil dieser angesichts des Vorgehens der israelischen Armee im Gazastreifen die Einsetzung einer internationalen Kommission angeregt hatte, die einen eventuellen Völkermord seitens Israels im Gazastreifen untersuchen sollte.
Sein Nachfolger Leo XIV. hatte den Kurs nach seiner Wahl teilweise korrigiert und sich zurückhaltender und weniger einseitig zum Konflikt geäussert als sein Vorgänger - ohne jedoch das Vorgehen der israelischen Armee zu beschönigen oder gar zu rechtfertigen.
Seitens Israel wurden bereits viele Grenzen überschritten.
Pietro Parolin, Kardinalstaatssekretär
Mit dem Beschuss der Pfarrei hat Israel nun offenbar eine rote Linie überschritten. Am Wochenende erklärte die Nummer 2 im Vatikan, Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin, dass es „berechtigte Zweifel“ daran gebe, ob es sich beim Angriff um ein Versehen gehandelt habe.
Es könnte auch sein, dass es „eine Absicht gab, gezielt eine christliche Kirche zu treffen“, weil die Christen im Nahen Osten zwischen Juden und Palästinensern „ein Element der Mäßigung“ seien. Jedenfalls seien seitens Israels „bereits viele Grenzen überschritten worden“, betonte Parolin.
„Wie kann man eine Bevölkerung wie die in Gaza zerstören und aushungern?“ Die Äußerungen Parolins waren ohne Zweifel Wort für Wort mit Papst Leo XIV. abgesprochen.
Christliche Minderheit erlebt Übergriffe
Der Angriff gegen die Pfarrei der Heiligen Familie wiegt für den Vatikan umso schwerer, als auch in dem von Israel besetzten Westjordanland die Übergriffe gegen die christliche Minderheit in den letzten Wochen zugenommen haben.
Bei der Ortschaft Taybeh haben rechtsextreme jüdische Siedler wiederholt Bewohner angegriffen, Autos in Brand gesteckt und auch eine christliche Kirche angezündet – offensichtlich in der Absicht, die palästinensische und christliche Bevölkerung zu vertreiben.
Die Übergriffe der Siedler waren selbst dem ultrakonservativen US-Botschafter in Israel, Mike Huckbee, zu schwerwiegend: Er bezeichnete die Angriffe als Terrorakte, die „harsche Konsequenzen“ haben müssten.
„Kirchen, Moscheen und Synagogen anzuzünden, ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit und gegen Gott“, betonte Huckbee gegenüber der Zeitung „Times of Israel“.
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