
© dpa/Christoph Reichwein
„Viele haben um ihr Leben gefürchtet“: Scholz empfängt freigelassene Gefangene am Flughafen
Angedeutet hatte sich der Gefangenenaustausch des Westens mit Russland schon seit einiger Zeit. Nun kamen mehrere Inhaftierte in Freiheit – und sind teils bereits zurück in ihrer Heimat.
Stand:
Nach dem historischen Gefangenenaustausch zwischen Russland, Belarus und mehreren westlichen Ländern hat Bundeskanzler Olaf Scholz 13 Freigelassene in Deutschland empfangen. „Das war sehr bewegend“, sagte er anschließend am Flughafen Köln/Bonn. „Viele haben um ihre Gesundheit und auch um ihr Leben gefürchtet, das muss sehr klar gesagt werden und deshalb ist es auch wichtig, dass wir ihnen diesen Schutz jetzt hier ermöglicht haben.“
Der SPD-Politiker hatte zuvor seinen Urlaub unterbrochen und war ebenfalls am Flughafen Köln/Bonn gelandet. Unter den Freigekommenen befinden sich fünf Deutsche.
Bei der beispiellosen Aktion unter Beteiligung des türkischen Geheimdienstes MIT wurden insgesamt 26 Gefangene ausgetauscht. Im Gegenzug für die Freilassung politischer Gefangener und Kremlkritiker ließen Deutschland, die USA und Partnerländer einen verurteilten Mörder und unter Spionageverdacht stehende Häftlinge aus Russland gehen.
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So überstellte Deutschland bei der Übergabe auf dem Flughafen der türkischen Hauptstadt Ankara Wadim Krassikow, den sogenannten Tiergartenmörder. Russland ließ unter anderen den wegen Spionage verurteilten „Wall Street Journal“-Korrespondenten Evan Gershkovich sowie prominente Oppositionelle wie Wladimir Kara-Mursa und Ilja Jaschin frei.
Unter den deutschen Staatsbürgern, die frei kamen, war der in Belarus zunächst zum Tode verurteilte und später begnadigte Rico Krieger. Auch Patrick Schobel, der nach Behördenangaben wegen Cannabis-Gummibärchen im Gepäck am Flughafen in Sankt Petersburg festgenommen worden war, wurde an Deutschland übergeben.
Herzlicher Empfang durch Putin auf dem Rollfeld
Auch der russische Präsident Wladimir Putin nahm die vom Westen freigelassenen Russen persönlich in Empfang. Der Kremlchef umarmte mindestens einen der Männer noch auf dem Rollfeld, wo die Präsidentengarde Spalier stand. „Ihr seid zu Hause, Ihr seid in der Heimat“, begrüßte Putin die Freigelassenen und kündigte an, dass sie für staatliche Auszeichnungen vorgeschlagen würden.
In den USA wollen Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris neben Gershkovich auch ihre aus der Haft frei gekommenen Landsleute Paul Whelan und Alsu Kurmasheva am späten Donnerstagabend (Ortszeit) an einem Militärflughafen nahe Washington empfangen. Nach Angaben des Weißen Hauses sollen die drei um 05:30 Uhr (MESZ) ankommen.
„Aus Menschlichkeit Deal mit dem Teufel machen“
Vor allem die Freilassung des „Tiergartenmörders“ Wadim K. sorgte bei aller Freude über die Freilassung der politischen Gefangenen für einen bitteren Beigeschmack. „Niemand hat sich diese Entscheidung einfach gemacht, einen zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilten Mörder nur nach wenigen Jahren der Haft abzuschieben“, sagte Scholz.
Die schwierige Entscheidung sei von der Koalition nach sorgfältiger Beratung und Abwägung gemeinsam getroffen worden, der Oppositionsführer - Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU) - frühzeitig informiert und nach eigenem Bekunden einverstanden gewesen.
Nach dem Treffen mit den Freigelassenen bezeichnete Scholz den Austausch als richtige Entscheidung. „Und wenn man da irgendwelche Zweifel hatte, dann verliert man die nach dem Gespräch mit denjenigen, die jetzt in Freiheit sind.“
Der SPD-Außenpolitiker Michael Roth schrieb auf X, manchmal müsse man „aus Gründen der Menschlichkeit mit dem Teufel einen Deal machen“. Justizminister Marco Buschmann räumte ein, für die Freiheit der Gefangenen habe man schmerzhafte Zugeständnisse machen müssen. Mit Blick auf die Ausweisung des verurteilten Mörders Wadim K. sagte er: „Ein besonders bitteres Zugeständnis verantworte ich als Justizminister.“
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US-Präsident Joe Biden lobte Kanzler Olaf Scholz für diese Entscheidung. „Ich bin vor allem dem Bundeskanzler zu großem Dank verpflichtet“, sagte Biden bei einer Ansprache im Weißen Haus in Washington, bei dem Angehörige der aus russischer Haft freigelassenen Amerikaner dabei waren. Angesichts der Forderungen aus Russland habe er „erhebliche Zugeständnisse“ von Deutschland erbitten müssen. „Dieser Deal wäre nicht möglich gewesen ohne unsere Verbündeten, Deutschland, Polen, Slowenien, Norwegen und die Türkei, die sich alle an unsere Seite gestellt haben“, sagte Biden.
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Gefangene wurden in Ankara ausgetauscht
Der türkische Geheimdienst MIT teilte mit, dass insgesamt sieben Flugzeuge beteiligt gewesen seien. Ausgetauscht wurden demnach in der türkischen Hauptstadt Ankara Gefangene, die auch in Gefängnissen in Polen und Slowenien, Norwegen und Belarus saßen. Der Geheimdienst MIT hat den Deal nach eigenen Angaben selbst organisiert. Er sprach von einem historischen Gefangenenaustausch.
USA wollten mit Deal ursprünglich auch Nawalny frei kriegen
Bei den Verhandlungen zum Gefangenenaustausch wollten die USA vor dessen Tod ursprünglich auch den Kremlkritiker Alexej Nawalny freibekommen. „Wir haben mit unseren Partnern an einer Vereinbarung gearbeitet, die auch Alexej Nawalny betroffen hätte“, sagte der Nationale Sicherheitsberater Jake Sullivan auf Nachfrage in Washington. Dann sei Nawalny jedoch verstorben.
Der Austausch war seit längerem erwartet worden - Kremlchef Wladimir Putin hatte zuletzt wiederholt die Bereitschaft dazu erklärt. Putin steht in der Kritik, politische Gefangene als Geiseln zu nutzen, um Russen aus westlichen Gefängnissen freizupressen. Die USA hatten etwa auf Freilassung des wegen Spionage verurteilten Reporters Gershkovich vom „Wall Street Journal“ bestanden.
Putin wollte „Tiergartenmörder“ nach Russland holen
Putin hatte wiederum besonders großes Interesse an dem in Deutschland inhaftierten Russen. Der sogenannte Tiergartenmörder hatte in einer Parkanlage in Berlin einen Georgier getötet, der in Deutschland Schutz gesucht hatte. Der russische Präsident nahm den Mörder öffentlich in Schutz, weil er aus russischer Sicht einen Staatsfeind beseitigt hatte. Das Opfer nannte Putin einen „Banditen“, „Mörder“ und „blutrünstigen Menschen“.
Ein Gericht in Berlin sah es 2021 als erwiesen an, dass der Russe im staatlichen Auftrag den Georgier am 23. August 2019 in der Parkanlage heimtückisch erschoss. Der Mann habe seit langem im Visier Moskaus gestanden, weil ihm vorgeworfen worden sei, während des zweiten Tschetschenien-Krieges mehrere Jahre lang eine Miliz im Kampf gegen Russland angeführt zu haben. Er war nach Moskauer Darstellung für Dutzende Tote unter russischen Sicherheitskräften verantwortlich.
Buschmann traf Entscheidung
Die Entscheidung, den „Tiergartenmörder“ auszutauschen, traf letztendlich Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Von seiner lebenslangen Freiheitsstrafe hatte der Inhaftierte knapp fünf Jahre abgesessen. Eine rechtliche Grundlage dafür, dass er Deutschland dennoch verlassen konnte, bietet Paragraf 456a der Strafprozessordnung.
Hier heißt es: „Die Vollstreckungsbehörde kann von der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe, einer Ersatzfreiheitsstrafe oder einer Maßregel der Besserung und Sicherung absehen, wenn der Verurteilte wegen einer anderen Tat einer ausländischen Regierung ausgeliefert, an einen internationalen Strafgerichtshof überstellt oder wenn er aus dem Geltungsbereich dieses Bundesgesetzes abgeschoben, zurückgeschoben oder zurückgewiesen wird.“
Dabei gibt es einen Ermessensspielraum. Die Entscheidung trifft der Generalbundesanwalt. Allerdings hat das Bundesjustizministerium ihm gegenüber ein Weisungsrecht, von dem es in diesem Fall auch Gebrauch gemacht hat.
Das vorzeitige Ende der Haft für den „Tiergartenmörder“ wühlte auch die Hinterbliebenen des Opfers auf. „Das war eine niederschmetternde Nachricht für uns Angehörige“, teilten diese über ihre Anwältin Inga Schulz der Deutschen Presse-Agentur mit. „Einerseits sind wir froh, dass jemandes Leben gerettet wurde. Gleichzeitig sind wir sehr enttäuscht darüber, dass es in der Welt anscheinend kein Gesetz gibt, selbst in Ländern, in denen das Gesetz als oberste Instanz gilt.“
Ungewöhnlichen Verlegung von Gefangenen
In Russland hatten sich vor Bekanntwerden des Gefangenenaustauschs Nachrichten einer ungewöhnlichen Verlegung von politischen Gefangenen gehäuft. Sie waren offenbar für den Gefangenenaustausch nach Moskau gebracht worden. Unter den freigelassenen Russen sollen auch der Menschenrechtler Oleg Orlow von der Organisation Memorial und die Künstlerin Alexandra Skotschilenko sein.
Alle sind Gegner des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine, sie hatten langjährige Haftstrafen erhalten. Der Westen hatte die Urteile als Justizwillkür kritisiert und die Freilassung der Gefangenen gefordert.
Im Zuge des Gefangenenaustausches hatte Putin die in Russland verurteilten und nun freigelassenen Häftlinge begnadigt. Putin habe insgesamt 13 am Donnerstag freigelassene Gefangene begnadigt, erklärte der Kreml auf seiner Website. Demnach unterschrieb Putin unter anderem Dekrete zur Begnadigung des US-Reporters Evan Gershkovich und des früheren US-Soldaten Paul Whelan sowie der Deutsch-Russen Kevin Lick und Dieter Voronin.
Schon früher trotz Krieg Gefangene ausgetauscht
Die wiederum vom Westen freigelassenen Russen könnten in ihrer Heimat nun wie frühere zurückgekehrte Gefangene auf Ehrungen und politische Posten etwa als Abgeordnete in der Staatsduma hoffen, meinte die Politologin Tatjana Stanowaja. Sie hatte bereits zuvor mitgeteilt, dass sich ein großer Austausch anbahne.
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Großbritanniens Premierminister Keir Starmer begrüßte die Freilassung der Gefangenen. Seine Gedanken seien bei ihnen und ihren Lieben, die nun wiedervereint würden, teilte Starmer auf der Plattform X mit. „Wir werden weiterhin von Russland fordern, die Freiheit der politischen Meinungsäußerung zu wahren.“
Die britische Regierung hatte seit Langem die Freilassung von Kara-Mursa gefordert, der unter dem Vorwurf des Hochverrats zu 25 Jahren Lagerhaft verurteilt worden war und als einer der schärfsten Kritiker des russischen Präsidenten Wladimir Putin gilt.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International begrüßte den Gefangenenaustausch mit Russland, warnt aber vor den Folgen solcher Deals. Russlands Präsident Wladimir Putin instrumentalisiere augenscheinlich Recht und Gesetz, um mit politischen Gefangenen als Faustpfand seine Interessen durchzusetzen.
„Daher hat der Austausch einen bitteren Beigeschmack. Ein Mörder und andere Verbrecher, die in einem fairen Prozess verurteilt wurden, kommen nun frei im Austausch für Menschen, die nur ihr Recht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen haben“, sagte der stellvertretende Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland, Christian Mihr.
Die USA und Russland haben trotz ihrer gespannten Beziehungen in der Vergangenheit immer wieder Gefangene ausgetauscht. Im Dezember 2022 und damit schon im laufenden russischen Angriffskrieg gegen Ukraine kam die wegen eines Drogenvergehens verurteilte US-amerikanische Basketballspielerin Brittney Griner frei.
Moskau erhielt dafür den in den USA verurteilten russischen Waffenhändler Viktor But. But hatte nach der Rückkehr seine Unterstützung für Russlands Angriffskrieg in der Ukraine geäußert und ist nun Politiker. (dpa, AFP, Reuters, Tsp)
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