
© Frederic Koberl
Was wählen wir da eigentlich?: So viel Macht hat das Europaparlament
Vom 6. bis zum 9. Juni sind in ganz Europa rund 360 Millionen Wahlberechtigte aufgerufen, ein neues Europaparlament zu wählen. Aber wie setzt sich das eigentlich zusammen und welchen Einfluss hat es?
Stand:
Seit 1979 findet in der Europäischen Union alle fünf Jahre die Europawahl statt. Gewählt werden dabei die Abgeordneten des Europäischen Parlaments, in jedem Mitgliedsstaat getrennt voneinander. Nach der Wahl zum indischen Parlament ist sie die zweitgrößte demokratische Wahl der Welt.
Wer darf wählen?
In Deutschland dürfen mehr Menschen wählen als jemals zuvor. Denn das Wahlalter für das Votum am 9. Juni wurde von 18 auf 16 Jahre herabgesetzt. Dadurch hat sich die Zahl der Wahlberechtigten von rund 61 auf 65 Millionen Menschen erhöht.
Wie viele Menschen von ihrem Wahlrecht tatsächlich Gebrauch machen werden, ist unklar. Bei der Abstimmung 2019 war die Wahlbeteiligung deutlich gestiegen auf rund 50 Prozent. Davor war sie über Jahrzehnte kontinuierlich auf knapp über 40 Prozent zurückgegangen.
Warum wird an vier Tagen gewählt?
Die Europawahl findet von Donnerstag, dem 6. Juni bis Sonntag, den 9. Juni statt. Mit den unterschiedlichen Daten sollen Wahltraditionen der verschiedenen Länder erhalten werden.
So wird in den Niederlanden, die am 6. Juni starten, traditionell an einem Wochentag gewählt, meistens Mittwoch. Irland wählt meistens an Freitagen, Lettland und Malta an Samstagen. Die meisten europäischen Staaten stimmen, so wie Deutschland, sonntags ab.
Wer wird gewählt?
Gewählt werden 720 Abgeordnete, von denen Deutschland als bevölkerungsreichstes Land der EU mit 96 Abgeordneten die meisten stellt. Das EU-Recht sorgt allerdings dafür, dass die Deutschen im Parlament rechnerisch unterrepräsentiert sind. So vertritt ein deutscher Abgeordneter rund 875.000 Menschen, ein Parlamentarier aus Luxemburg aber nur rund 108.000 und ein Kollege aus Malta gar nur etwa 88.000 Menschen. Ohne den Grundsatz der „degressiven Proportionalität“ aber müsste das ohnehin schon sehr große EU-Parlament noch größer werden, oder kleine Staaten wären nur von einem Abgeordneten vertreten. Kritiker sehen darin ein Problem der Legitimität des Parlaments.
Welche Aufgaben hat das Parlament?
Das Europaparlament verabschiedet neue Gesetze, kontrolliert die EU-Organe und den EU-Haushalt. Initiativrecht, also das Recht, neue Gesetze vorzuschlagen, hat in der EU – anders als etwa in Deutschland – aber ausschließlich die Kommission, die Exekutive der Union. Das Parlament kann die Kommission aber auffordern, sich mit einem bestimmten Thema zu beschäftigen – aber etwa auch die Bürgerinnen und Bürger mittels eines Volksbegehrens mit mindestens einer Million Stimmen.
Auch das fehlende Initiativrecht ist ein häufig genannter Kritikpunkt, der dem Parlament den Spitznamen „zahnloser Tiger“ eingebracht hat. Der Aufforderung, sich mit Themen zu beschäftigen, kommt die Kommission tatsächlich nicht immer nach. Zuletzt sind aber auch mehrere europäische Verbraucherschutzgesetze aus Vorschlägen des Parlaments entstanden.
Legt die Kommission einen Gesetzesentwurf vor, wird der im Parlament in mehreren Lesungen debattiert. Die zweite Kammer der EU-Gesetzgebung, der Ministerrat (vergleichbar mit dem Bundesrat) muss zustimmen. Gibt es keine Einigung, kann ein Vermittlungsausschuss eingesetzt werden. Schlussendlich können bei dem Verfahren Verordnungen beschlossen werden, die sofort verbindlich sind oder Richtlinien, die von den nationalen Parlamenten in innerstaatliches Gesetz umgewandelt werden müssen. Außerdem gibt es Stellungnahmen und Empfehlungen, die keinen verbindlichen Charakter haben.
Auch kontrolliert das Parlament die Arbeit und Haushaltsführung der Kommission. Auf Vorschlag der Staats- und Regierungschefs der EU-Staaten bestimmt es den Präsidenten der Kommission. Durch ein Misstrauensvotum kann sie die Kommission zum Rücktritt zwingen. Gemeinsam mit dem Ministerrat stellt das Parlament den Haushalt auf. Dadurch hat das Parlament Einfluss darauf, wie viel Geld einzelne Politikbereiche bekommen.
Wie viel Macht hat das Parlament tatsächlich?
Bei vielen Vorhaben in jüngster Vergangenheit musste eine Mehrheit im Parlament zustimmen, etwa dem Verbrenner-Aus, Klimagesetzen oder der milliardenschweren EU-Agrarförderung. Kritiker bemängeln allerdings, dass die aktive Beteiligung des Parlaments zuletzt mehrfach eingeschränkt worden sei.
Laut Artikel 122 des Vertrags über die Arbeitsweise der EU können im Notfall weitreichende Eingriffe vorgenommen werden, ohne das Parlament in den Prozess einbinden zu müssen. Diese Abkürzung vorbei am langwierigen Gesetzgebungsverfahren wurde während der Corona-Pandemie öfter genommen: bei der Beschaffung von Impfstoffen, dem Corona-Wiederaufbaufonds mit einem Volumen von 800 Milliarden Euro oder den Kurzarbeiterprogrammen. Infolge der Ukraine-Krise wurden auf diese Weise die EU-Staaten etwa zu Einsparungen beim Gasverbrauch gezwungen.
In Sachen Corona-Wiederaufbaufonds war am Ende die Zustimmung des Parlaments erforderlich. Und hat es indirekt Nachbesserungen erreicht.
Wie arbeiten die Fraktionen im Europaparlament?
Sieben Fraktionen sind derzeit im Europaparlament vertreten. Die Abgeordneten der sechs deutschen Parteien Union, SPD, FDP, Grüne, Linke und AfD verteilen sich dabei auf ihre entsprechenden Parteifamilien. Nur in der Fraktion Europäische Konservative und Reformer sind mit einer Ausnahme keine deutschen Politiker vertreten.
Anders als in Deutschland gibt es keine Regierungs- oder Oppositionsfraktionen. Die EU-Parlamentarier suchen, je nach Thema, nach Mehrheiten und Kompromissen über Parteigrenzen hinweg.
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid:
- false