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Weihnachtstourismus in Nordeuropa: „Die Toleranzgrenze ist schon lange erreicht“
Wo der Weihnachtsmann lockt, wird es voll. In Finnland und Norwegen bringt der Touristenboom ganze Regionen an den Rand der Belastbarkeit. Verliert Nordeuropa seinen Charme?
Stand:
Wer den Weihnachtsmann im hohen Norden treffen will, muss dafür nur schlappe 65 Euro hinlegen. Von fröhlichen „Ticket-Elfen“ empfangen, geht es mit dem Zauberzug zum Plätzchenbacken in die Lebkuchenbäckerei, am Ende lädt der weißbärtige Mann zur Audienz. Offizielles Weihnachtsmannfoto leider nicht inklusive – aber für weitere gut 30 Euro schnell zu erwerben.
Der „Santa Park“ im nordfinnischen Rovaniemi wirbt seit Jahren erfolgreich um zahlungskräftige Weihnachtsfans aus aller Welt. Der Themenpark liegt nur wenige Fahrminuten vom Flughafen der 65.000 Einwohner kleinen Stadt entfernt und wartet mit allerlei Souvenirshops, Spielhallen und Unterhaltungsshows auf.
Seit 40 Jahren ist das finnische Rovaniemi, Hauptstadt der Region Lappland, die offizielle Heimatstadt des Weihnachtsmannes – zumindest hat man sich das 1985 markenrechtlich schützen lassen.
Heimatstadt des Weihnachtsmanns
In Schweden heißt es, der Weihnachtsmann lebe im Tomteland in Dalarna, die Dänen verorten ihren Juleman auf Grönland. Auf Island hat man den Glauben an den Weihnachtsmann gänzlich verloren, stattdessen erledigen Jahr ein, Jahr aus mehr als ein Dutzend Jólasveinar – Wichteltrolle – die ganze Plackerei mit den Geschenken.
Doch kein nordisches Land hat Weihnachten so clever vermarktet wie Finnland. Immer häufiger auch zum Leidwesen der Einwohnerinnen und Einwohner.
Die selbsternannte Heimatstadt des Weihnachtsmanns, Rovaniemi, verzeichnete zuletzt immer neue Rekorde: In der Wintersaison zwischen November 2024 und März 2025 gab es Nordic Marketing zufolge mehr als 1,1 Millionen Übernachtungen – ein Plus von knapp 20 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
Mit fast einer Million Passagieren pro Jahr fertigte der Flughafen der eigentlich überschaubaren Stadt 2024 mehr als doppelt so viele Fluggäste ab wie noch zehn Jahre zuvor. Besonders auffällig: Immer mehr ausländische Touristen und Touristinnen zieht es in die Nähe des Polarkreises.
Mit verheerenden Auswirkungen für die Einheimischen. Immer häufiger werden Mietwohnungen in Lappland in Kurzzeitunterkünfte für Gäste umgewandelt, Rovaniemi stieg in diesem Jahr erstmals auf Platz eins der finnischen Vermieter-Rangliste auf – und punktet einer Pressemitteilung der „Finnish Landlords“ zufolge dabei vor allem mit kurzen Vermarktungszeiten für Wohnungen.

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„Die Situation ist schwierig“, sagt Pertti Onkalo, Direktor der technischen Abteilung der Stadt Rovaniemi, im finnischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk Yle. Ihm zufolge wurden in der Stadt in den vergangenen Jahren zwar mehr als 3000 Wohnungen geplant oder gebaut. „Leider werden einige der Wohnungen aber nicht dauerhaft zu Wohnzwecken genutzt.“
Fast jede zweite Wohnung in Rovaniemi wird heute über Portale wie Airbnb oder Booking vermietet, die dadurch entstandene Wohnungsnot gefährdet nun auch die Attraktivität als Studierendenstadt.

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Die lokale Fachhochschule hat bereits angekündigt, keine Austauschstudenten mehr aufnehmen zu wollen, zudem werden die Semester zeitlich so gelegt, dass zumindest Präsenzunterricht nicht mehr in der Wintersaison stattfinden soll.
Ähnliche Probleme auch in Norwegen
All das macht den Alltag für die 65.000 Menschen in Rovaniemi immer teurer, in keiner anderen Stadt Finnlands sind die Mieten in dem vergangenen Jahrzehnt so stark gestiegen wie hier.
Eine Situation, die man auch in Norwegen kennt. Fast 350 Kilometer nördlich des Polarkreises liegt Tromsø, die Stadt ist deshalb insbesondere für neugierige Nordlichttouristen interessant.
Mit Kreuzfahrtschiffen, Bussen, Inlandflügen oder Autos reisen monatlich Zehntausende Menschen in den hohen Norden, in den vergangenen sechs Jahren haben sich die Touristenzahlen dort mehr als verdoppelt.
Es gibt zu viele Touristen.
Barbara Vögele, Fraktionsvorsitzende der Grünen in Tromsø
Besonders sogenannte Nordlichtsafaris, Schlittenfahrten mit Huskys oder Walbeobachtungstouren sind für die Gäste interessant, im Winter 2024 fertigte der Flughafen Tromsø mehr als 300.000 internationale Gäste ab. Selbst der Flughafenbetreiber Avinor sieht damit die Schmerzgrenze erreicht.
„Es gibt zu viele Touristen“, sagt Barbara Vögele, örtliche Fraktionsvorsitzende der Partei Miljøpartiet De Grønne, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk NRK. Sie glaubt, dass Kurzzeitvermietungen immer häufiger Einheimische vom Wohnungsmarkt verdrängen.
„Unsere Jugendlichen, Kindergärtner, Zimmerleute und Fischer werden nicht mehr in Tromsø leben können. Dann haben wir ein Problem und verlieren wertvolle Arbeitskräfte.“

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Ihre Sorge scheint nicht unbegründet: Der Wissensbank Nordnorwegen zufolge wurden im Januar 2025 allein in Tromsø mehr als 3300 Unterkünfte über Airbnb gebucht, im ersten Halbjahr des Jahres sind die Einnahmen der Plattform um mehr als die Hälfte im Vergleich zum Vorjahreszeitraum gestiegen. Tendenz steigend.
Auch Hotels profitieren von dem Boom, direkt nach der Pandemie waren die Zimmerpreise im Ort, Angaben des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zufolge, doppelt so teuer wie in New York oder London.
Der extreme Anstieg der Besuchszahlen bringt Nordnorwegen, ähnlich wie das finnische Lappland, immer mehr an seine Grenzen, viele Einheimische fühlen sich mittlerweile von den Touristen verdrängt. In Tromsø sind die Hauspreise allein im November landesweit am stärksten gestiegen.
Der sozialdemokratische Bürgermeister Gunnar Wilhelmsen plädiert deshalb mittlerweile sogar dafür, die Gäste besser zu verteilen. „Sie kommen, um die Nordlichter zu erleben. Die könnten sie sich genauso gut in [den Nachbarkommunen] Lyngen, Hadsel oder Hammerfest ansehen“, sagt er dem NRK.

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Auch die Regierung in Oslo scheint das Problem mittlerweile verstanden zu haben. Im Sommer 2025 wurde eine neue Tourismussteuer im Parlament verabschiedet, ab dem kommenden August kann dann eine Art Kurtaxe erhoben werden. Deren Einnahmen sollen insbesondere in touristische Infrastrukturprojekte fließen.
Doch nicht nur die Anzahl der Gäste wird in Nordnorwegen immer mehr zum Problem, viele der Hunderttausenden Touristinnen und Touristen sind auf die Verhältnisse nördlich des Polarkreises schlecht vorbereitet.
Regelmäßig kommt es zu schweren Unfällen, weil viele der Reisenden entweder zu dunkel gekleidet sind oder die eigenen Fahrkenntnisse überschätzen.
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Polizei, die Flughafengesellschaft Avinor sowie verschiedene Mietwagenfirmen und der norwegische Tourismusverband haben deshalb Ende November eine Art Informationsvideo in mehreren Sprachen veröffentlicht, um Touristinnen und Touristen besser vorzubereiten.
Das extreme Wachstum der vergangenen Jahre sorgt im Norden Europas mittlerweile vor allem für Unruhe, viele sind besorgt, dass Skandinavien seinen Charme verlieren könnte, sie befürchten ähnliche Zustände wie in Spanien.
Anfang des Jahres ergab eine Bürgerumfrage in Tromsø, dass mehr als drei Viertel der Einwohner und Einwohnerinnen finden, dass es im Ort zu viele Touristen gibt – mehr als 70 Prozent halten ihre Stadt sogar für überfüllt.
Im Herbst hat die Stadtverwaltung um Bürgermeister Gunnar Wilhelmsen eine interaktive Karte eingeführt, auf der Einwohner und Einwohnerinnen ihre Erlebnisse mit Gästen festhalten können.
Noch ehe die Saison in diesem Jahr losging, kommentierte ein Anwohner dort: „Die Toleranzgrenze ist schon lange erreicht!!!“
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