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Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (links) und sein geschäftsführender Premier Gabriel Attal.

© AFP/Teresa Suarez/Pool

Wie geht es in Frankreich weiter?: „Macron ist besessen davon, die Linke von der Macht fernzuhalten“

Frankreich sucht noch immer eine neue Regierung: Der Politologe Samuel Hayat erklärt, wie sich das politische System verändert – und was Präsident Emmanuel Macron für eine Strategie verfolgt.

Stand:

Herr Hayat, was ist los in Frankreich?
Erst einmal sehen wir einen Machtkampf – ausgelöst durch die bisher einmalige Situation, dass wir drei politische Blöcke haben, von denen keiner eine Mehrheit zum Regieren hat. Der Präsident verteidigt seine Vorrechte, einen Premier seiner Wahl zu ernennen, wofür es kein Zeitlimit gibt.

Aber er geht weiter, er dehnt seine Vorrechte aus, damit er eine ihm genehme politische Lösung erreicht. Denn er ist zugleich der Chef einer politischen Bewegung. Das ist anders als in Spanien, wo der König als unabhängige Institution einen Politiker mit der Regierungsbildung betraut.

Präsident Macron wird die Kandidatin des grün-linken Bündnisses, Lucie Castets, nicht zur Premierministerin ernennen. Der Grund: Alle anderen Parteien hatten angekündigt, eine Linken-Regierung sofort zu stürzen. Hat Macron da nicht recht?
Macron hat dem Linkenbündnis eine Absage erteilt, nicht weil er dieses Szenario fürchtet. Er weiß sehr gut, dass es nicht stimmt, dass eine linke Regierung sofort gestürzt würde. Die Regierung würde gebildet, Posten in den Ministerien besetzt, einige Dekrete erlassen. Und anschließend würde das Bündnis, wie von der Kandidatin Lucie Castets angekündigt, vielleicht erst einmal Gesetze zur Abstimmung bringen, die wegen der Parlamentsauflösung liegen geblieben waren.

Wie das wichtige Gesetz zur Sterbehilfe, bei dem die Haltung nicht entlang von Parteigrenzen verläuft. Oder sie würden ein Gesetz zur ökologischen Transition angehen. Dagegen ist niemand, daher wäre es schwierig, die Regierung wegen eines solchen Gesetzesvorhabens zu stürzen. Macron ist vielmehr besessen davon, die Linke von der Macht fernzuhalten.

Unsere Videos zu Macron:

Welche Möglichkeiten hat Macron denn jetzt noch?
Macron könnte das Provisorium einige Zeit so laufen lassen, weitere Gespräche führen. Es gibt ja eine geschäftsführende Regierung. Die Erziehungsministerin hat gerade ihre Pressekonferenz zum neuen Schul- und Universitätsjahr abgehalten, als wäre sie Ministerin mit allen Vollmachten.

Irgendwann käme dann eine Minderheiten-Mitte-Rechts-Regierung, die sich aber nicht halten kann, und dann gibt es wieder Konsultationen. Das würde zwar die Exekutive lähmen, aber wenigstens käme die Linke nicht an die Regierung.

Kandidatin des linken Bündnisses: Lucie Castets.

© AFP/Emmanuel Dunand

Aber das ist doch keine Lösung.
Seit Montagabend gibt es allerdings ein Szenario, das ich bisher für unmöglich gehalten hatte: Der rechtsextreme Rassemblement National (RN) unterstützt eine Mitte-Rechts-Regierung. Marine Le Pen hat nach ihrem Gespräch bei Macron nur gesagt, sie werde jede linke Regierung zu Fall bringen. Bisher hatte sie als Anti-System-Politikerin linke und rechte Regierungen gleichermaßen abgelehnt.

Ein Abgeordneter ihrer Partei sagte anschließend im Radio auf die Frage, ob man eine von Macron eingesetzte Regierung stürzen würde: Das werden wir sehen. Das bedeutet, dass die Rechtsextremen unter Bedingungen eine rechte Regierung akzeptieren würden.

Die Fraktionsvorsitzende des rechtsextremen Rassemblement National (RN) Marine Le Pen und der Parteivorsitzende Jordan Bardella verlassen den Élysée-Palast nach einem Treffen mit dem französischen Präsidenten Macron.

© dpa/AP/Thomas Padilla

Aber bisher hatten doch auch Macronisten und traditionelle Rechte als Teil der sogenannten republikanischen Front die Rechtsextremen bekämpft.
Ja, und es wäre sehr gefährlich, sich auf die Unterstützung durch Marine Le Pen einzulassen. Denn das wäre das Ende des gemeinsamen Kampfes aller Parteien gegen die Rechtsextremen. Und der Preis für die Rechte wäre, sich bei künftigen Wahlen nicht wieder zugunsten der Linken zurückzuziehen, um einen Wahlsieg des RN zu verhindern.

Wir haben es mit einem institutionellen Kräftemessen zu tun, in dem Macron die Gewichte derzeit noch weiter zum Präsidenten verlagert. Das ist eine autoritäre Auslegung, aber kein Staatsstreich.

Samuel Hayat, französischer Historiker und Politologe

Kämen dann die Rechtsextremen bei der nächsten Parlamentswahl an die Macht?
Ihr Aufstieg ist nicht beendet und jedes Chaos nützt ihnen. Aber ich denke, dass es absehbar drei politische Blöcke und Minderheitenregierungen geben wird. Damit wird man umgehen müssen. Also mehr Vorsicht bei der Nutzung des Instruments des Misstrauensantrags. Die Politik wird vielleicht weniger antagonistisch – bisher machte die Linke an der Regierung reine Linken-Politik und die Rechte reine konservative Politik.

Eigentlich hatte schon François Hollande in seiner Präsidentschaft damit gebrochen. Sonst wäre Macron unter ihm kaum Wirtschaftsminister geworden. Und vielleicht müsste die Politik auch stärker mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten und weniger vertikal von oben nach unten.

Müsste es dann nicht auch Koalitionsregierungen geben?
Dazu braucht es einen Kulturwandel und der braucht Zeit. Wir hatten eine Koalition zwischen rechten und linken Parteien bisher noch nicht einmal auf lokaler Ebene. Genau dort müsste man damit beginnen, das ausprobieren. Nicht auf nationaler Ebene.

Der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon hat für den 7. September zu Demonstrationen aufgerufen. Wird die Linke nun das Land lahmlegen?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass es darüber hinaus zu Streikaufrufen kommt. Wäre die Demokratie in Gefahr, wäre das denkbar.

Aber auch wenn die Linke von Demokratieverweigerung oder gar einem Staatsstreich spricht – das stimmt ja nicht. Wir haben es mit einem institutionellen Kräftemessen zu tun, in dem Macron die Gewichte derzeit noch weiter zum Präsidenten verlagert. Das ist eine autoritäre Auslegung, aber kein Staatsstreich.

Allerdings wird Emmanuel Macron sich zurücknehmen müssen. Derzeit lenkt der Präsident die Exekutive und seine Partei – und nun will er auch noch Koalitionen bilden. Das ist zu viel. Und führt in die Sackgasse.

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