
© dpa / Vadim Ghirda
„Haben nicht mehr viel Zeit“: Militärexperten besorgt – wendet sich Putin nach Ukrainekrieg gegen die Nato?
Entlang der Nato-Ostflanke baut das russische Militär seine Aktivitäten aus: Es werden Eisenbahnlinien gebaut und Armeequartiere errichtet. Militärexperten beobachten die Entwicklungen mit Sorge.
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Militärexperten bewerten die jüngsten Aktivitäten Russlands an der Grenze zu Finnland als mögliche Vorbereitungen des Kremls auf einen Konflikt mit der Nato. Das berichtete das „Wall Street Journal“ am Sonntag unter Berufung auf Informationen von westlichen Militär- und Geheimdienstvertretern.
Demnach errichtet Russland derzeit in Petrosawodsk, nur 160 Kilometer östlich der Grenze zu Finnland, ein neues Armeehauptquartier, das in den nächsten Jahren Zehntausende Soldaten betreuen könnte. Die dort stationierten Soldaten sollen dem Bericht zufolge „das Rückgrat der russischen Armee“ bilden, und sich in dem Stützpunkt „auf die Konfrontation mit der Nato vorbereiten“.
Russland will wohl Militärpräsenz an Nato-Ostflanke ausbauen
Weitere Maßnahmen des Kremls würden ebenfalls dafür sprechen, dass Moskau seine Aktivitäten nahe der Nato-Grenze weiter ausbaut. So werden derzeit entlang der Grenzen zu Finnland und Norwegen sowie südlich von St. Petersburg bis zur estnischen Grenze neue Eisenbahngleise verlegt. Bereits bestehende Bahnstrecken werden aktuell weiter ausgebaut.
Die Logik des letzten Jahrzehnts zeigt, dass wir mit einem Konflikt mit der Nato rechnen müssen.
Ruslan Puchow, Verteidigungsanalyst
Der finnische Major Juha Kukkola beobachtet die Entwicklungen mit Sorge: „Wenn man sieht, dass sie neue Gleisköpfe bauen und alte renovieren, sollte man aufmerksam werden.“
In Sputnik, im Murmansker Bezirk Pechengsky ganz im Norden des Landes und unmittelbar an der Grenze zu Finnland gelegen, entsteht eine neue Militärstadt, heißt es in dem Bericht. In Sankt Petersburg wird derzeit ein Militärkrankenhaus umfassend saniert. Und in Kamenka im Grenzgebiet vor Südfinnland entstehen neue Truppenunterkünfte.
Darüber hinaus läuft die russische Rüstungsindustrie derzeit auf Hochtouren und wird künftig weiter ausgebaut. Es wird nicht nur in neue Produktionslinien investiert – Russland räumt überdies alte Sowjetbestände an Panzern leer, um sie nach einer Generalüberholung und Aufrüstungen wieder in den aktiven Bestand zu überführen. Mittlerweile habe Russlands rasant wachsende Rüstungsindustrie die der Nato-Länder überholt, berichteten Experten jüngst.
Wie bald rechnen Experten mit einem russischen Nato-Konflikt?
Der polnische Verteidigungsminister Władysław Kosiniak-Kamysz betonte in einem kürzlich gegebenen Interview, dass die Nato „ein starkes Bündnis“ bleiben muss. In dem Zusammenhang forderte er ein starkes Kommandosystem und den Ausbau gut ausgerüsteter Streitkräfte. „Wir haben nicht mehr viel Zeit“, warnte Kosiniak-Kamysz.
Der russische Verteidigungsanalyst Ruslan Puchow berichtete dem„Wall Street Journal“: „Wenn die [russischen] Truppen [aus der Ukraine] zurückkehren, werden sie über die Grenze auf ein Land blicken, das sie als Gegner betrachten“. Er warnte: „Die Logik des letzten Jahrzehnts zeigt, dass wir mit einem Konflikt mit der Nato rechnen müssen.“
Ein europäischer Geheimdienstmitarbeiter mutmaßte gegenüber der Zeitung, dass Russland durch einen Einmarsch in ein kleines Nato-Land wie beispielsweise Estland versuchen könnte, den Zusammenhalt des Bündnisses auf die Probe zu stellen.
Der US-amerikanische Militäranalyst Michael Kofman berichtete der Zeitung: „Wenn man mich fragt, wie bald das russische Militär eine begrenzte Operation gegen die baltischen Staaten durchführen könnte, würde die Antwort ziemlich bald lauten.“
Sobald Russlands Krieg gegen die Ukraine beendet sei, könne sich Putin gen Westen wenden. Konkret rechnet er mit einem Zeitrahmen von zwei bis drei Jahren nach Kriegsende mit einem neuen Konflikt. Ein neuer großangelegter Krieg, wie beispielsweise gegen die Nato, könne in sieben bis zehn Jahren erfolgen.
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