
© AFP/Focke Strangmann
Zwei Drittel für Aufrüstung: Die Deutschen sehen die geopolitische Lage bemerkenswert realistisch
Eine große Mehrheit befürwortet angesichts von Putins Kriegen das Fünf-Prozent-Ziel. Linkspartei, AfD, BSW und der linke Flügel der SPD liegen mit ihrer Hoffnung auf Erfolg mit Anti-Militär-Populismus daneben.

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Das ist eine kleine Sensation: Die Bundesregierung möchte fünf Prozent für Verteidigung ausgeben. Und es gibt nicht nur keine Massendemonstrationen. Sondern zwei Drittel der Deutschen unterstützen das neue Ziel laut ZDF-Politbarometer.
Offenbar haben die politischen Parteien die Bürgerinnen und Bürger über Jahre falsch eingeschätzt. Die Deutschen, so hieß es oft, seien zu einem Volk von Pazifisten geworden.
Doch die Menschen sehen die geopolitische Lage viel realistischer, als viele Volksvertreter es ihnen zugetraut hätten.
Aufrüstung ist natürlich kein begrüßenswertes Ziel. Sie ist die notwendige Antwort auf die Bedrohung. Seit drei Jahren tobt ein brutaler Krieg in Europa.
Wladimir Putin wird sich mit der Ukraine nicht zufriedengeben und ist nicht zugänglich für Diplomatie. Sobald er seine Ziele dort erreicht hat – entweder durch einen „Frieden“ per Diktat oder durch das simple Einfrieren der Kampffronten aus Erschöpfung –, hat er die Hände frei, seine Truppen anderswo einzusetzen.
Die mentale Zeitenwende in Deutschland ist unverkennbar. Die Bürger sehen die Gefahren – und sind bereit, auch unangenehme Wahrheiten mit ihrer Unterstützung zu honorieren.
Christoph von Marschall, Diplomatischer Korrespondent der Chefredaktion
Europa und seine größte Volkswirtschaft, Deutschland, haben in Donald Trumps Präsidentschaft nur eine Option, wie sie einen Angriff auf die Ostflanke der Nato verhindern können: durch glaubwürdige militärische Abschreckung.
Eine strategische Schwachstelle ist Litauen, wo die Bundeswehr die Nato-Schutztruppe anführt. Die militärische Aufstellung dort wirkt wie eine Einladung an Putin, die europäischen Nato-Staaten und ihr Beistandsversprechen zu testen.
Deshalb ist der Plan, 3,5 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) für die Verteidigung auszugeben und weitere 1,5 Prozent in die militärisch relevante Infrastruktur zu stecken, keineswegs übertrieben. Nur wenn Brücken, Bahnlinien und Straßen instand gesetzt werden, können die Einheiten der Verbündeten den Deutschen und den Litauern im Angriffsfall rasch zu Hilfe kommen. Heute ist das nicht der Fall.
All das konnte man seit Jahren wissen. Doch sowohl in den Merkel-Jahren als auch unter der Ampelkoalition fürchteten die Regierenden den angeblichen Friedensidealismus der Bürger. Die Union wagte es nicht einmal, sich im Wahlkampf für zwei Prozent Wehretat einzusetzen.
Anti-Militär-Polemik zieht nicht mehr
SPD, Linke – und vor Putins Angriff auf die Ukraine auch viele Grüne – setzten auf die Anti-Militär-Polemiken. Jeder Euro für die Bundeswehr bedeute gesellschaftlichen Schaden, weil das Geld dann für Soziales und Klimapolitik fehle. Hinzu kam bei ihnen wie bei der AfD – trotz deren Flirts mit dem Trump-Team – und dem Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) eine romantische Verklärung der Beziehungen zu Russland und ein kaum verhohlener Antiamerikanismus.
Das hat sich geändert. Putin macht den Deutschen Angst, ebenso der unberechenbare Trump, der den Glauben an die Beistandszusage der USA ausgehöhlt hat. Die deutsche Armee ist plötzlich populär, das zeigte auch der „Tag der Bundeswehr“ am Wochenende.
Lügen der Linkspartei
Dennoch wenden sich Linkspartei, AfD, BSW und der linke Flügel der SPD weiter mit verzerrten Narrativen gegen die Verteidigungspolitik. Sehen sie nicht, dass die 30 Prozent, die das Fünf-Prozent-Ziel laut ZDF-Politbarometer kritisch sehen, eine kleinere Zahl sind als die Summe der Stimmen, die sie bei der Bundestagswahl erzielt haben? Anders gesagt: Sie verringern mit dieser Haltung ihr Wählerpotenzial.
Die Linkspartei behauptet unverdrossen, jeder Euro für die Rüstung fehle für Kindergärten. Das ist eine glatte Lüge. Die Bundesregierung hat schließlich beschlossen, dass die höheren Ausgaben für Verteidigung nicht anderswo eingespart, sondern aus Schulden finanziert werden. Diese Festlegung kann man falsch finden, aber sie gilt. AfD und BSW sind mit ihren Behauptungen auch nicht näher an der Wirklichkeit.
Die Sprachrohre der linken SPD, etwa Rolf Mützenich und Ralf Stegner, verdrehen die Realität mit ihrer Forderung nach mehr Diplomatie und der Berufung auf Willy Brandts Entspannungspolitik. Brandt stützte seine Ostpolitik in den 1970er-Jahren auf Stärke. Die Bundesrepublik gab damals mehr als 3,5 Prozent vom BIP für Verteidigung aus, auf die Infrastruktur und auf die USA war Verlass. Brandt taugt also als Kronzeuge FÜR das Fünf-Prozent-Ziel, nicht dagegen.
Klar doch, die Umfrage ist eine Momentaufnahme. Bei den parallelen Erhebungen zur Wehrpflicht ist die Skepsis größer. Aber die mentale Zeitenwende in Deutschland ist unverkennbar.
Die Bürger sehen die Gefahren. Und sie wollen weder mit Lügenmärchen noch mit verbalen Beruhigungspillen abgespeist werden. Sie erwarten Führung – und sie sind bereit, auch unangenehme Wahrheiten mit ihrer Unterstützung zu honorieren.
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